LCGB vor SozialwahlenPräsident Dury: „Hauptkonkurrent sind die, die nicht gewerkschaftlich organisiert sind“

LCGB vor Sozialwahlen / Präsident Dury: „Hauptkonkurrent sind die, die nicht gewerkschaftlich organisiert sind“
Glaubt an Verhandlungen: Patrick Dury, Präsident des LCGB und Vizepräsident der CSL Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

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Auch der „Lëtzebuerger Chrëschtleche Gewerkschafts-Bond“ (LCGB) steckt im Sozialwahlkampf. Präsident Patrick Dury über gewerkschaftliche Mobilisierung, Streik als letztes Mittel – und das bedauerliche Scheitern eines Projekts, das einen Weg zur Einheitsgewerkschaft hätte weisen können. 

Tageblatt: Die Sozialwahlen sind die Wahlen in Luxemburg mit den meisten Wahlberechtigten, aber auch die mit der geringsten Wahlbeteiligung. Abgesehen von der fehlenden Wahlpflicht – wie erklären Sie sich das?

Patrick Dury: Die Stärke Luxemburgs besteht darin, dass wir so viele Nationen in unserem Land haben. Jeden Tag kommen 200.000 Kollegen über die Grenze zum Arbeiten. Das ist eine Stärke für dieses Land. Das bedeutet aber auch, dass wir unterschiedliche Herkünfte haben, andere Hintergründe. Das Saarland hat eine Arbeitskammer, Rheinland-Pfalz schon nicht mehr. Unsere französischen Kollegen haben das nicht, die belgischen auch nicht so richtig. Das ist wie das Modell der Tripartite, das ist speziell in unserem Land.

Auch durch die vielen Grenzgänger hat sich der Arbeitsmarkt in den letzten Jahrzehnten stark verändert, wie passt man sich da als Gewerkschaft an?

Wenn man 40, 50 Jahre zurückschaut, gab es die Stahlindustrie. Dann ist der Finanzplatz aufgekommen. Der Dienstleistungssektor ist enorm gewachsen. Natürlich mussten wir uns anpassen. Wenn Sie sich unser Infomaterial anschauen: Da ist Deutsch und Französisch Standard. Aber wir haben auch Portugiesisch und Englisch. Wir haben eine App, da kann man sich als Mitglied anmelden und eine Videoberatung machen – auf vier Sprachen. Die Luxemburger Gewerkschaften, auch der LCGB, nehmen jedes Jahr netto mehr Mitglieder auf. Natürlich, die Wirtschaft wächst ein bisschen stärker als wir. Die Quote der Gewerkschaftszugehörigkeit liegt bei 35 Prozent. Der Hauptkonkurrent bei diesen Sozialwahlen sind die Menschen, die die Gewerkschaft noch nicht kennen. Das muss unsere Herausforderung sein, diese Leute in die Gewerkschaft zu bringen.

Was machen Sie, um diese Leute anzusprechen?

Wir arbeiten viel vor Ort. In Remich haben wir 800 bis 1.000 unserer Delegierten durch ein Ausbildungsprogramm für die Wahl geschleust. Ich bin ja auch Vizepräsident der „Chambre des salariés“ (CSL), da wurde dieses Jahr eine große Kampagne gestartet: „You never work alone“. Die ist formidabel. Die ganzen Veröffentlichungen, die wir machen, haben immer auch viel mit Aufklärung zu tun. Wir wollen den Leuten fundiert erklären, wofür wir stehen und was unsere Argumente sind. Auch was eine CSL ist, was die einzelnen Instanzen einer Sozialwahl sind.

Was ist das Ziel des LCGB bei dieser Wahl?

Der LCGB ist gut aufgestellt und strukturiert. Wir sind stark engagiert in den Betrieben über unsere Delegierten und die Gewerkschaftssekretäre. Wir wollen dort Kollektivverträge verhandeln, um die Arbeits- und Lohnbedingungen zu verbessern. Wir wollen das vorrangig über den Verhandlungsweg versuchen, das liegt uns am Herzen, aber wenn es nötig ist, dann muss es auch ein Dossier wie Cargolux geben können. Unsere Prioritäten sind einerseits, die Arbeitsbedingungen, Löhne und Kaufkraft zu verbessern. Andererseits Existenzen abzusichern gegen Krankheit und Arbeitslosigkeit. Natürlich will eine Gewerkschaft so stark wie möglich aus den Sozialwahlen hervorgehen. Aber nochmal: Der Hauptkonkurrent sind die, die nicht gewerkschaftlich organisiert sind.

Die absolute Mehrheit des OGBL halten Sie also nicht für angreifbar?

Wir sind in einem konkurrierenden Umfeld. Ich will klar sagen, dass wir natürlich ein gutes Wahlresultat erreichen wollen. Aber ich glaube, dass die Gewerkschaften, auch der LCGB, sich insgesamt noch viel mehr mit den Leuten beschäftigen müssten, die nicht gewerkschaftlich organisiert sind.

Ich bin ein Mensch, der fundamental davon überzeugt ist, dass man ohne Streik zu einem Resultat kommen sollte

Patrick Dury, Präsident des LCGB

Wie stehen Sie zum Thema Einheitsgewerkschaft?

Vor einigen Jahren haben wir in der Stahlindustrie die „Sidérurgie asbl“ gegründet. Da waren die beiden Gewerkschaften OGBL und LCGB gemeinsam vertreten – unter dem Präsidenten John Castegnaro. Damals sollten wir sogar gemeinsame Listen machen, das ist aber gescheitert – jedoch nicht an uns. Ich bedaure das noch heute. Das wäre ein Modell gewesen, wie es hätte anders funktionieren können. Aber leider hat das nicht funktioniert.

Glauben Sie, dass die jüngsten Streiks bei Cargolux und Ampacet Auswirkungen auf die Wahl haben werden?

Ich bin ein Mensch, der fundamental davon überzeugt ist, dass man ohne Streik zu einem Resultat kommen sollte. Es gibt aber auch Situationen, in denen es nicht anders geht. Streik ist das allerletzte Mittel. Ich kann Ihnen nicht sagen, ob das mehr oder weniger Mobilisierung bringt. Was für mich wichtig ist, sind die Resultate, die wir für die Leute erreicht haben. Bei der Cargoloux haben wir – würde ich sagen – ein anständiges Resultat erreicht. Luxemburg ist ein Land, das durch sein Sozialmodell auch den sozialen Frieden absichert. Ich würde die Streiks in dieser Hinsicht als Warnsignal sehen. Ich persönlich meine nicht, dass wir mit diesen Beispielen groß werben sollten. Das sollte nicht unser Ziel sein. Aber unsere Mitglieder sollen wissen, wenn solche Situationen auftreten, dann können die Luxemburger Gewerkschaften, dann kann der LCGB solche Aktionen durchziehen.

Anders als bei Cargolux hat der OGBL bei Ampacet ohne den LCGB gestreikt. Auf die Frage nach dem Warum antwortete OGBL-Präsidentin Nora Back kürzlich im Interview: „Das müssen Sie den LCGB fragen.“ Also fragen wir.

Dort, wo der LCGB die Mehrheit stellt, bei der Cargolux, habe ich selbst die Präsidentin des OGBL angerufen und wir haben das alles gemeinsam gemacht. Bei Ampacet ist das nicht so geschehen. Das ist aber auch eine Frage, wie man die Situation in einem Betrieb einschätzt. Wenn man Menschen zu einem Streik bringen will, muss man sie dafür gemeinsam mobilisieren. Bei Ampacet ist die Situation meiner Meinung nach viel differenzierter zu betrachten, weil der Betrieb in einer schwierigen Situation ist. Wie es mit Ampacet weiter geht, werden wir in den nächsten Wochen sehen.

Die Politik hat für 2024 eine breite Debatte über das Rentensystem angekündigt. Sozialministerin Deprez sprach im Tageblatt darüber, dass Menschen, die es sich leisten können, auf private Versicherungen zurückgreifen müssten.

Unser Rentensystem ist ein Umlageverfahren, basierend auf Solidarität und Gerechtigkeit. Wir gehen alle Wege mit, die dieses System absichern. Es kommt für uns nicht infrage, dass wir uns auf eine Grundrente reduzieren und dann mit einer Zusatzpension ergänzen. Das geht nicht. Ein Zerschlagen der ersten Säule der Rentenversicherung kommt für den LCGB nicht infrage. Auch in diesem Thema wollen wir eng mit den Kollegen vom OGBL und der CGFP zusammenarbeiten. Dabei geht es nicht nur um die Frage, wie viel wir in die Rentenkasse einbezahlen. Sondern auch: Was will die Gesellschaft für die Menschen im Alter ausgeben? Nicht nur in der Pension, auch in der Pflege, in der Gesundheit. Da kommen neoliberale Überlegungen für uns nicht infrage.