SozialwahlenSo funktionieren die größten Wahlen Luxemburgs

Sozialwahlen / So funktionieren die größten Wahlen Luxemburgs
Nie dürfen so viele Menschen in Luxemburg ihre Stimme abgeben wie bei den Sozialwahlen Illustration: Tageblatt/Kim Kieffer

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Grenzgänger, Rentner im In- und Ausland und jeder Arbeitnehmer ab 16 Jahren: Bei den Sozialwahlen im März sind mehr Menschen wahlberechtigt als bei jeder anderen Wahl in Luxemburg. Trotzdem fällt die Wahlbeteiligung meist gering aus. Die wichtigsten Fragen zur größten Wahl des Landes.

616.754. So viele Menschen dürfen im März an den luxemburgischen Sozialwahlen teilnehmen. Das sind mehr als doppelt so viele Wahlberechtigte wie bei den Parlamentswahlen im vergangenen Oktober. „Die Sozialwahlen sind bei weitem die größten Wahlen in Luxemburg“, sagt Sylvain Hoffmann, Direktor der „Chambre des salariés Luxembourg“ (CSL). Die Sozialwahlen, typisch luxemburgisch. Einerseits. Andererseits auch die Wahl, bei der die meisten Nicht-Luxemburger mitmachen dürfen. Zumindest in der Theorie. Denn praktisch haben die Sozialwahlen mit mangelndem Interesse und niedriger Wahlbeteiligung zu kämpfen. Was genau verbirgt sich also hinter diesen besonderen Wahlen?

Die Sozialwahlen, das sind eigentlich zwei Wahlen, die zeitgleich alle fünf Jahre stattfinden. Zum einen ist da die Wahl zum Betriebsrat in jedem Unternehmen im Land mit mindestens 15 Mitarbeitern. Der Betriebsrat vertritt die Interessen der Angestellten gegenüber dem Arbeitgeber und wird am 12. März per geheimer Urnenwahl im Unternehmen gewählt, das die Wahl auch organisiert. Auf der anderen Seite wird über die zukünftige Zusammensetzung der CSL abgestimmt, der Arbeitnehmerkammer Luxemburgs. Hier gibt es wie im Parlament 60 Sitze zu verteilen, um die sich verschiedene Kandidaten der Luxemburger Gewerkschaften bewerben. Wo bei den Parlamentswahlen die Sitze nach den vier Wahlbezirken (Ost, Nord, Zentrum und Süden) vergeben werden, ist bei der CSL-Wahl die Berufsgruppe ausschlaggebend. Insgesamt gibt es neun sozioprofessionelle Gruppen in der CSL: die Eisen- und Stahlindustrie, sonstige Industrie, das Bauwesen, Finanzdienstleistungen, der Dienstleistungssektor, Verwaltung und öffentliche Unternehmen, Gesundheit und Soziales, die Nationale Eisenbahngesellschaft und die Rentner.

Wer darf wählen?

Sylvain Hoffmann, Direktor der „Chambre des salariés Luxembourg“
Sylvain Hoffmann, Direktor der „Chambre des salariés Luxembourg“ Foto: Editpress/Hervé Montaigu

Wahlberechtigt sind 2024 – wie bereits gesagt – 616.754 Personen. Das sind alle Arbeitnehmer, Arbeitssuchende, Lehrlinge und Rentner des luxemburgischen Privatsektors – unabhängig von ihrer Nationalität und ihrem Wohnort. Zum ersten Mal gilt in diesem Jahr bei den Sozialwahlen das Wahlrecht ab 16 Jahren. Rentner dürfen seit dem Einheitsstatut 2008 an der Wahl zur Arbeitnehmerkammer teilnehmen. Mit mehr als 150.000 Personen sind sie die zweitstärkste Gruppe, wie Hoffmann erklärt – hinter dem Dienstleistungssektor mit 250.000 Menschen. Ebenfalls zum ersten Mal wahlberechtigt sind Arbeitnehmer, die arbeitsunfähig sind und die eine Entschädigung von der Arbeitsagentur erhalten. Sie dürfen in der Gruppe wählen, in der sie zuletzt gearbeitet haben. Für die Gruppenzugehörigkeit gibt es übrigens ein Stichdatum: Ende Oktober, dem Zeitpunkt, als die Wahllisten aufgestellt wurden. „Es kann also sein, dass Leute, die inzwischen in Rente sind, noch als Aktive wählen, weil sie im Oktober noch aktiv waren“, so Hoffmann. Wahlberechtigt sind auch alle Rentner im Ausland, die in Luxemburg gearbeitet haben und deshalb eine Teilrente beziehen.

Einzig Selbstständige und Staatsbeamte dürfen bei den Sozialwahlen nicht wählen. Das führe bisweilen zu Verwirrung, erklärt Hoffmann, weil es eine Gruppe für Verwaltung und öffentliche Unternehmen in der CSL gebe. „Es gibt in diesem Bereich ganz viele Leute, die ein privatrechtliches Arbeitsverhältnis haben. Die Arbeitnehmer sind und keine Staatsbeamten. Die dürfen in der CSL wählen.“ Ausschlaggebend sei nicht das Statut des Arbeitgebers, sondern das Statut des Arbeitnehmers.

Die Berufsgruppen

Rentner bilden mit mehr als 150.000 Menschen die zweitgrößte Gruppe unter den Wählern der Sozialwahlen, ihre Berufsgruppe mit der Nummer neun hat aber in der Kammer nur sechs Sitze, weniger als der Dienstleistungssektor, die Finanzdienstleistungen und die Industrie. Theoretisch soll die Sitzanzahl der Berufsgruppen in der CSL die proportionale Verteilung auf dem Arbeitsmarkt widerspiegeln. „Das klappt nicht mehr so hundertprozentig“, sagt Hoffmann. „Es gibt historische Gründe, warum manche Sektoren noch stärker repräsentiert sind, als manche Wählerzahl es zulassen würde.“ Davon profitieren beispielsweise die Nationale Eisenbahngesellschaft und die Eisen- und Stahlindustrie, für die es jeweils eigene Berufsgruppen gibt.

Die proportionale Verteilung der Sitze wird in einem großherzoglichen Reglement geregelt – und kann angepasst werden. Die letzte Anpassung der Berufsgruppen erfolgte, als 2008 mit dem Einheitsstatut die beiden Kammern der Arbeiter und der Privatangestellten zusammengelegt wurden. Laut Hoffmann bestehe bei den Berufsgruppen ein ähnliches Problem wie bei den Wahlbezirken der Parlamentswahl: Auch sie waren einst an der Bevölkerungszahl orientiert, decken sich heute aber nicht mehr vollständig mit der realen Bevölkerungsentwicklung.

Wie der Wahlzettel aussieht

„Die Sozialwahlen sind logistisch ein extremer Aufwand für die Luxemburger Post“, sagt Hoffmann. Anders als der Betriebsrat wird die CSL mit geheimer Briefwahl gewählt. Die Stimmzettel und alle Wahlunterlagen werden per Post verschickt. Begonnen hat die Aussendung Ende Januar mit den Wahlberechtigten der Gruppe 5, in diesen Tagen werden die letzten Wahlzettel verschickt. 

Jede der neun Berufsgruppen hat einen spezifischen Wahlzettel. Die Zahl der zu vergebenden Stimmen hängt von der jeweiligen Gruppe und ihren Sitzen in der Arbeitnehmerkammer ab. Wahlberechtigte wählen doppelt so viele Mitglieder, wie es Sitze für ihre Gruppe gibt. Ein Beispiel: Der Dienstleistungssektor hat 14 Sitze in der CSL, auf dem Wahlzettel stehen also 28 Mitglieder zur Wahl. Es werden 14 effektive und 14 Ersatzmitglieder gewählt. „Wenn ein Mitglied der CSL zurücktreten oder sterben würde“, erklärt Hoffmann, „dann würde der Nächstgewählte nachrücken.“

Die Wahl an sich funktioniert analog zur Parlamentswahl. Man kann den Stimmzettel auf drei Arten ausfüllen: Entweder man wählt die gesamte Liste einer Gewerkschaft (mit einem einzigen Kreuz ganz oben). Dann bekommen alle Kandidaten dieser Liste eine Stimme. Man kann seine Stimmen aber auch selbst auf einer Gewerkschaftsliste verteilen und auf diese Weise bis zu zwei Kreuzchen hinter einem Namen machen (damit gehen einige Kandidaten auf der Liste leer aus). Zu guter Letzt gibt es auch bei den Sozialwahlen die Möglichkeit zu panaschieren, d.h. seine Stimmen über mehrere Listen unterschiedlicher Gewerkschaften zu verteilen. Anders als bei den Kommunal- und Parlamentswahlen, die deutlich stärker personalisiert sind, panaschieren bei den Sozialwahlen aber die wenigsten. Die meisten Menschen wählen eine Liste. Es gehe mehr um das Kollektiv, sagt Hoffmann. „Das ist schon ein anderes Wahlverhalten.“ 

Zurückgeschickt werden muss der Umschlag mit dem ausgefüllten Stimmzettel bis spätestens zum 12. März, dem Wahltag. Er muss nicht frankiert werden und kann auch aus dem Ausland versendet werden. Zuständig für die Organisation der Wahl und die Auszählung der Stimmen, die sich in der Vergangenheit über mehrere Tage hinzog, ist das Arbeitsministerium. Der QR-Code auf dem gelben Briefumschlag ist übrigens für interne Zwecke im Ministerium bestimmt – und hat schon für Verwirrung unter den Wählern gesorgt.

Jede Berufsgruppe hat ihren eigenen Stimmzettel und unterschiedlich viele Stimmen
Jede Berufsgruppe hat ihren eigenen Stimmzettel und unterschiedlich viele Stimmen Foto: Editpress/Guido Romaschewsky

Große Wahl, kleine Beteiligung?

Anders als bei den Kommunal-, Parlaments- oder Europawahlen ist die Teilnahme an den Sozialwahlen in Luxemburg freiwillig. Und anders als bei den Kommunal-, Parlaments- und Europawahlen ist die Wahlbeteiligung dementsprechend gering. Bei der vergangenen Wahl im Jahr 2019 gaben gerade einmal 33 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme ab. „Eine Erklärung ist sicherlich, dass keine Wahlpflicht besteht“, sagt Hoffmann. Hinzu käme jedoch auch der Fakt, dass es vergleichbare Arbeitnehmerkammern in Frankreich und Belgien gar nicht gebe, in Deutschland nur im Saarland. „Von daher ist das System bei vielen auch nicht so bekannt.“

Hoffmann erzählt, dass er auf Veranstaltungen regelmäßig Grenzgängern begegnet, die davon ausgehen, dass sie in Luxemburg sowieso nicht wählen dürften – auch nicht bei den Sozialwahlen. Aus diesem Grund hat die CSL eine breite Informationskampagne gestartet, über Social Media, in der Grenzregion und auch mit Erklärvideos in verschiedenen Sprachen, die sich an die Zielgruppe der Grenzgänger richten. „Wir sind zuversichtlich, dass wir die Wahlbeteiligung dieses Mal gesteigert bekommen“, sagt der CSL-Direktor.

Die Zahlen zu den vergangenen Sozialwahlen verraten, dass die Wahlbeteiligung bei den französischen Grenzgängern besonders niedrig war. „Wenn man dann bedenkt, dass bei der Beschäftigungsstruktur die Anzahl der Grenzgänger immer stärker zugenommen hat, dann ist das auch ein strukturelles Phänomen, das dazu führt, dass die Wahlbeteiligung nicht unbedingt steigt“, sagt Hoffmann. Aber nicht nur die Nationalität hat Auswirkungen auf die Wahlbereitschaft – auch der Sektor ist ein entscheidender Faktor. „In den Bereichen, in denen die Gewerkschaften nicht so präsent sind, stellt man auch fest, dass die Wahlbeteiligung niedriger ist“, so Hoffmann. Das gelte zum Beispiel für den Dienstleistungssektor. Dort ist die Beschäftigung in den vergangenen Jahren stark gestiegen. „Aber das sind Leute, die eher nicht wählen.“ Im Gegensatz zur alteingesessenen Industrie, der Eisenbahn oder dem Gesundheitssektor.