GrenzgemeindenDer Bürgermeister von Villerupt hat gemischte Gefühle dem Großherzogtum gegenüber

Grenzgemeinden / Der Bürgermeister von Villerupt hat gemischte Gefühle dem Großherzogtum gegenüber
Pierrick Spizak, 37, ist seit 2020 Bürgermeister der französischen Grenzgemeinde Villerupt. Er ist polnisch-italienischer Abstammung und Mitglied der Kommunistischen Partei Frankreichs. Foto: Editpress/Alain Rischard/Montage:Grafik/Tageblatt

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Esch liegt vor der Tür. Nur wenige Kilometer trennen das Großherzogtum von Villerupt. Die französische Grenzstadt mit industrieller Vergangenheit, geprägt durch italienische Einwanderer, ist heute vor allem eine Stadt im Wandel. Aus 10.000 Einwohnern können bis 2030 deren 15.000 werden. Die Nähe zu Luxemburg sorgt für den Boom. Höhere Löhne drüben, günstigere Wohnungspreise im französischen Grenzgebiet. Pierrick Spizak, Kommunist, seit 2020 Bürgermeister von Villerupt, zeigt nicht mit dem Finger auf die Grenzgänger, er hebt ihn aber mahnend, um auf eine Entwicklung hinzuweisen, die er mit gemischten Gefühlen beobachtet. Einen Teil des Geldes, den seine Einwohner in Luxemburg verdienen und versteuern, möchte er durch eine Art Finanzausgleich zurückhaben und für dringende Projekte in seiner Stadt nutzen.

Tageblatt: In einem Interview mit einer französischen Zeitung haben sie kürzlich gesagt, Villerupt sei zu einem Vorort von Luxemburg geworden.

Pierrick Spizak: Ja, sozusagen der erste Kreis davon (er lacht). Ein wenig wie in Paris. Wer im Zentrum arbeitet und sich dort keine Wohnung leisten kann, wohnt außerhalb. In der Vorstadt eben. Ich möchte in dem Kontext aber betonen, dass wir hier in Villerupt nicht gegen die Entwicklung des Großherzogtums Luxemburg und gegen die Entwicklung der Zahl der Grenzgänger sind.

Das ist ja auch nicht nur negativ.

Natürlich nicht, es ist ja gut, dass Menschen von hier drüben eine Arbeit finden und gut bezahlt werden. Wir begrüßen auch die Strukturen, die es in Luxemburg gibt, Krankenhäuser, Ärzte, den Flughafen oder das Angebot in Belval, zum Beispiel. Das reiche Freizeitangebot im Allgemeinen oder den gratis öffentlichen Transport.

Aber wo liegt denn eigentlich das Problem?

Wir möchten die Mittel haben, um die Entwicklung, die durch Luxemburg hier ausgelöst wird, ebenbürtig begleiten zu können.

Das heißt?

Mit fast 3.500 Menschen haben wir in Villerupt, nach Metz und Thionville, die drittgrößte Zahl an Grenzgängern in der Region. Die Menschen arbeiten in Luxemburg, zahlen dort ihre Steuern, kaufen dort ein. Davon haben wir nichts. Wohnen tun diese Menschen aber hier, haben Ansprüche, sie wollen ordentliche Straßen, Park- und Spielplätze. Wie sollen wir das alles stemmen? Wir müssen liefern, haben aber wenig finanzielle Mittel. Und die Zahl der Einwohner steigt ständig. Heute sind es 10.000 Einwohner. 2030 könnten es 15.000 sein.

Das bedeutet?

Der massive Zustrom bedeutet noch mehr Verkehr! Noch mehr Anforderungen an die Gemeinde. Wir müssten Pflegeheime und Schulen bauen, die außerschulische Betreuung und städtische Dienstleistungen erweitern. Die Infrastrukturen der Sportvereine müssten vergrößert werden. Wir bräuchten mehr Grünflächen, andere Straßen. Dazu müssten wir mehr Mitarbeiter einstellen, aber deren Rekrutierung ist bei unserer Finanzlage schwierig. Da ist eine Entwicklung im Gange, die wir stoppen müssen, denn sie geht mit einer Zunahme des sozialen Ungleichgewichtes auf unserem Gebiet einher. Noch sind die Wohnungspreise bei uns niedriger als in Luxemburg, deshalb ziehen Menschen von dort zu uns. Aber die Preise für Kauf oder Miete einer Wohnung steigen. Bereits heute sind sie höher als in vielen Gemeinden in Lothringen, inklusive Metz. Die rund 22% der Menschen, die bei uns unter der Armutsgrenze leben, haben es zusehends schwerer, sich eine normale Wohnung leisten zu können. Diese müssen dann weiter ins Landesinnere ziehen.

Es scheint klar, sie bräuchten vor allem mehr Geld. Woher nehmen?

Es müsste eine Art Finanzausgleich geben, eine Steuerrückerstattung, so wie mit Belgien. Das würde sehr helfen, gibt es aber leider nicht. Irgendwie sehe ich auf Regierungsebene in Luxemburg und in Frankreich zurzeit auch keine wirkliche Bereitschaft, etwas zu unternehmen. Da muss man sich Fragen stellen. Dabei müsste doch jedem klar sein, dass die Steuern, welche die Grenzgänger in Luxemburg zahlen, hier fehlen, um wichtige Infrastrukturarbeiten zu machen. Wir reden da keineswegs von Luxusausgaben oder, wie ein Politiker aus Luxemburg mal sagte, von einer neuen Weihnachtsbeleuchtung. Wie gesagt, ein Finanzausgleich wäre wichtig, um der wachsenden sozialen Ungerechtigkeit entgegenzuwirken. Das ist wichtig in einem Europa, das zusammenwachsen und funktionieren soll. Es ist doch zum Beispiel auch schwer nachzuvollziehen, dass jemand aus Villerupt, der ein Leben lang in Luxemburg gearbeitet hat, dort kein Anrecht auf einen Platz im Altersheim hat. Dann müssen wir das hier stemmen, uns fehlt aber das Geld, um solche Strukturen zu bauen. Es geht um ein Gleichgewicht. Grenzgänger führen ein komfortables Leben und wir müssen kämpfen, sagen meine französischen Bürger. Luxemburg ist ein Partner und soll ein Partner bleiben, aber wir erwarten auch, dass dieser Partner uns ernst nimmt. Innovative Ideen der Partnerschaft sind gefragt in allen Bereichen. Europa ist gefordert, die Länder, Luxemburg und Frankreich und die Gemeinden.

Was würde denn diese Steuerrückerstattung bringen?

Viel. Das Budget der Stadt Villerupt liegt heute bei etwa 15 Millionen Euro. Gäbe es ein Steuerrückerstattungsabkommen wie zwischen französischen und Schweizer Grenzregionen, würden wir aufgrund der Anzahl unserer Grenzgänger einen Ausgleich von rund fünf Millionen Euro erhalten. Ein Drittel unseres heutigen Budgets. Damit könnten wir viel machen.

Sie haben von Rekrutierungsproblemen gesprochen.

Die gibt es auf vielen Ebenen hier. In der Geschäftswelt, im Pflegebereich. Oder, wenn wir als Gemeinde einen Handwerker suchen. Wir haben zwei Jahre nach einem „Plombier“ gesucht und keinen gefunden. Der Lohnunterschied spricht in fast allen Bereichen eindeutig zugunsten von Luxemburg. Das kann man verstehen, bringt uns aber nicht weiter.

Und das Verkehrsaufkommen?

Ja, das ist ein großes und komplexes Problem. Wir haben den Verkehr der Menschen, die hier wohnen, nach Luxemburg zur Arbeit fahren und zurückkommen. Dazu gesellen sich jene, die weiter weg wohnen, aber ebenfalls durch Villerupt fahren. Das ist je nach Uhrzeit oder an Markttagen sowie während des Filmfestivals richtig viel. Wir haben aber noch ein anderes Problem, daran wird oft nicht gedacht, das sind die Handwerker, die hier wohnen, in Luxemburg arbeiten, und ihre Lieferwagen auf den Straßen hier abstellen. Uns fehlt zunehmend Raum für Parkplätze. Zudem lassen sie oft ihren Abfall entlang der Straßen in Villerupt stehen. Was den Verkehr anbelangt, da mache ich mir Sorgen, wie sich das entwickeln wird, wenn die Autobahn von Metz/Thionville nach Luxemburg gebührenpflichtig werden soll.

Was hat die Kulturhauptstadt Esch2022 gebracht?

Na ja, das neue Kulturzentrum „L’ Arche“ ist ein gutes Projekt. Es gibt andere gute Ansätze. Aber man hätte mehr draus machen können, vor allem Strukturen stärken. Ich habe bis heute keinen wirklichen Austausch mit der Stadt Esch oder anderen Nachbargemeinden auf kommunalpolitischem Plan. Ich könnte mir zum Beispiel vorstellen, im Bereich des Schulwesens enger zu kooperieren. Allgemein mehr Austausch wäre nötig, sonst fühlt man sich hier manchmal alleingelassen.

Beim italienischen Filmfestival sind Sie nicht alleine.

Oh nein (er lacht). Dann strömen die Menschen zu uns, nicht nur aus Luxemburg. Das Festival ist eines unserer Aushängeschilder. Leider dauert es nur zwei Wochen, aber die Stimmung ist grandios. Und mit „L’Arche“ haben wir endlich zwei richtige Kinosäle und viel Platz, um Besucher zu empfangen. Und mit dem CNA in Düdelingen und der Kulturfabrik in Esch haben wir auch eine gute regionale Zusammenarbeit. Es entspricht eigentlich dem, was ich mir dauerhaft wünsche, nämlich eine ehrliche und gute Partnerschaft auf Augenhöhe.

Bei allen Schwierigkeiten scheinen Sie aber froh darüber, Bürgermeister zu sein.

Ja, auf jeden Fall. Es verlangt viel Einsatz, viel Zeit, aber es ist eine spannende Arbeit, mit vielen Besonderheiten, auch weil es eine buntgemischte Bevölkerung ist. Kommen Sie einfach mal eine ganze Woche nach Villerupt und begleiten mich. Dann werden Sie sehen, womit ich es täglich hier zu tun habe.

Grenzgemeinden-Serie

Wie erleben unsere Nachbarn die Nähe zu Luxemburg? Das Tageblatt hat in sechs Gemeinden der Nachbarländer nachgefragt. Jeweils samstags können Sie das Interview mit einem Bürgermeister aus der Grenzregion lesen. Bisher erschienen: Arlon und Echternacherbrück.

Nomi
2. Juni 2024 - 16.38

Wann deen Haer sech dann mol no Pareis drei'nen fir no Geld ze ruffen !¨

Ah, vun do gett et keen Echo !
Dann soll hien nach eng Kei'er do unruffen oder dohinner fuhren !
Do kennt hien bestemmt 1% vum Geld krei'en waat zu Pareis verbetzt gett, an daat wir vill mei' wei' di 5 Mio.