US-WahlenDas Establishment kehrt zurück: Der neue US-Präsident Joe Biden im Tageblatt-Porträt

US-Wahlen / Das Establishment kehrt zurück: Der neue US-Präsident Joe Biden im Tageblatt-Porträt
Anders als Trump, das hat gereicht: Joe Biden wird neuer US-Präsident Foto: AFP/Roberto Schmidt

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Der 46. Präsident der USA wird Joe Biden heißen. Am Samstag ist die Entscheidung endlich gefallen. Die Demokraten haben gewonnen. Biden war kein guter Kandidat. Aber er hat Trump geschlagen. Doch wird Biden ein guter Präsident sein? 

Jamais deux sans trois. Mit dem dritten Anlauf nach 1988 und 2008 kommt Joseph Robinette Biden junior endlich an sein Ziel. Der 77-Jährige hat die US-Präsidentschaftswahl für sich entschieden. Mit Ach und Krach und nach einem unerwartet engen Rennen. Die „blaue Welle“, von der so viele Demokraten hofften, sie würde ihren „Joe“ über Nacht ins Amt tragen, blieb aus. Stattdessen holten sich die Demokraten vom Wahltag am Dienstag bis zu diesem Samstag ein paar neue blaue Flecken ab.

Nach dieser Wahl muss Biden nicht nur die Spaltung in den USA überwinden. Auch seine Partei muss sich wieder aufrichten. Doch Bidens Schultern dürften nach diesen Tagen nicht breiter geworden sein.

Zwar bekam nie zuvor ein demokratischer Kandidat so viele Stimmen wie Biden, trotzdem bleibt ein Beigeschmack, auch Trump sammelte fast sieben Millionen mehr als 2016. Die Wahlbeteiligung war schlichtweg gigantisch – auf jeden Fall fiel sie gigantischer aus als die Abkehr der Amerikaner von Donald Trump, mit der viele nach dessen oftmals als desaströs empfundenen vier Jahren im Amt gerechnet hatten. Vier Jahre voller ungehobelter Geschmacklosigkeiten, Lügen und einer andauernden Gratwanderung am Rande der Illegalität. Und Trump zwingt Biden trotzdem fast in die Knie. Ein Triumph ist das nicht für die Demokraten. Sie haben diese Wahlschlägerei gewonnen, stehen aber jetzt mit einer gebrochenen Nase und einer blutigen Lippe da.

Joe Biden war kein starker Kandidat. Trump hat sich auch selber geschlagen. Bidens Profil war das eines Gegenentwurfs zu Trump. Berechenbar statt erratisch, präsidial statt präpubertär. Viel mehr war da nicht. Trump war 2016 mit dem Versprechen in seine erste Wahlschlacht gezogen, den „Sumpf trockenzulegen“, das Establishment, den „Deep State“, von dem er so gern fantasiert, wegzurasieren. Trumps Umsetzung dieser Ankündigung – nämlich anstelle bewährter Staatsdiener den eigenen Familien- und Cliquensumpf einzurichten – hat dann so viele Amerikaner erschreckt, dass die Demokraten sich dachten, den in diesem Sinn „klassischsten“ Gegenkandidaten ins Rennen schicken zu können. Mit Biden kehrt das Establishment zurück.

Biden mag vieles sein, ein Linker ist er nicht

Bei den ersten Vorwahlen der Demokraten zu Beginn des Jahres landete Biden noch deutlich hinter den dezidiert links positionierten Konkurrenten Bernie Sanders und Elizabeth Warren. Deren Anhänger sind oft jünger. Und lauter, auch in den sozialen Medien. Sanders und Warren sind fordernder, wollen umbauen statt bewahren. Zunächst schienen die Demokraten dem Linksruck zu folgen – und Biden mag vieles sein, aber er ist kein Linker. Seine Aussichten auf die Kandidatur standen schlecht, Biden schien den Ton nicht zu treffen. Er wirkte, als wäre er aus der Zeit gefallen.

Am Super Tuesday schwang der Pegel schließlich zu Biden hin. Der linke Flügel der Demokraten ist mit Sanders und Warren und auch der jungen Alexandria Ocasio-Cortez gestärkt, das demokratische Herz aber schlägt weiter mittig. Diese Mitte zog es vor, ihre Jetons nach vier Jahren unter einem dauerpolarisierenden Präsidenten auf die Felder Ruhe und Besonnenheit zu legen – und machte Biden zu ihrem Kandidaten.

Jetzt wird Biden, der 1942 in Pennsylvania geboren wurde und irische Vorfahren hat, der erst zweite katholische Präsident der USA nach John F. Kennedy sein. 36 Jahre war Biden Senator, bis er 2008 zu Barack Obamas Vizepräsident aufstieg. Wie Bill Clinton und Obama ist Biden der Mainstream-Mitte der Partei zuzurechnen. Die linken Einsprengsel im Wahlprogramm wie die Erhöhung des Mindestlohns auf 15 Dollar und die stärkere Besteuerung von Superreichen dürften eher dem Druck des linken Flügels geschuldet sein als ein Herzenswunsch Bidens.

Plumpes Benehmen und viele schlechte Witze

Biden, der Anwalt, der als junger Erwachsener mit den Republikanern liebäugelte, sich aber nicht mit Nixon identifizieren konnte, wurde in den 1960ern und 1970ern sozialisiert. Geblieben sind ein Humor und ein Umgang mit Frauen, die aus der Zeit gefallen sind – und mit denen man sich heutzutage allzu leicht auf gefährliches Terrain begibt.

Biden ist der Typ Mann, der Frauen anfasst, ohne sich etwas dabei zu denken. Der ihre Haare beschnüffelt und das als väterlich bezeichnet. Während des Wahlkampfes wurden Vorwürfe der sexuellen Belästigung gegen ihn laut. Eigentlich der Todesstoß für präsidiale Ambitionen in den USA. Biden stritt alles ab, die Zweifel blieben, aber sie blieben ohne Folgen. Dass die Geschichte nie zum großen Hindernis für ihn wurde, lag vor allem an seinem Gegenüber. Mit einem Grobian-Kandidaten, wie Trump nun einmal einer ist, konnte kein Republikaner ernsthafte Angriffe gegen Biden reiten. Sogar die MeToo-Rädelsführerinnen in den USA fassten ihn mit Samthandschuhen an.

Biden ist auch der Typ Mann, der mit Vorliebe dumme Witze macht. Ohne sich etwas dabei zu denken, und über die nur er lacht. Ein Humor aus den „Good ol’ Days“, Scherze über Inder, über Afroamerikaner. Und Biden ist der Typ Mann, der beleidigend austeilen kann. Etwa indem er im Wahlkampf beim Besuch eines Ford-Werkes einen Facharbeiter mit den Worten „You’re full of shit“ anschnauzt, nachdem dieser gemeint hatte, Biden wolle den Amerikanern das Recht auf Waffenbesitz absprechen.

Biden ist aber auch der Typ Politiker, der mit seinen Reden Menschen einfangen und begeistern kann. Als Kind noch ein Stotterer hat Biden sich dieses Können hart antrainiert. Immer und immer wieder, seit Jahrzehnten, feilt er an seinen Auftritten. Seine Sprache ist einfach, Biden spricht wie der Durchschnittsamerikaner, obwohl er kein Durchschnittsamerikaner ist. Aber Biden ist auch bekannt für seine regelmäßigen Aussetzer. Immer wieder brabbelt er auch mal Unverständliches. Oder Sinnbefreites. Das Internet ist voll mit Top-10-Listen dieser sogenannten „Biden Gaffes“. Beides, Talent und gelegentliches Versagen, legte Biden auch in diesem Wahlkampf an den Tag.

Biden ist Demokrat, aber kein Ideologe. In seiner langen Zeit als Politiker trat er für die Verschärfung des Strafrechts und eine Ausweitung der Todesstrafe auf andere Delikte ein. 1994 brüstete er sich damit, dass auch ein Demokrat harte Maßnahmen unterstützen kann. Eigentlich drohe jetzt nur noch beim Überqueren einer Straße bei Rot keine Todesstrafe mehr, scherzte Biden damals. Bidens Humor, „Good ol’ Days“ eben.

Anfang der 1970er, Biden war da gerade ein paar Jahre bei den Demokraten, schien sein Stern am Politikhimmel schon einmal aufzugehen. Der junge, großgewachsene Mann sah aus wie ein Hollywood-Schauspieler, war gutaussehend, erfolgreich und eloquent. Ein künftiger Star. 1972 trat der Lokalpolitiker an, um mit dem Mindestalter von 30 Jahren Senator in Delaware zu werden. Wie jetzt gegen Trump war auch das damalige Rennen ein enges. Wie jetzt gewann auch damals Biden.

Schicksalsschläge, die Biden bis heute prägen

Was folgte, waren aber nicht der steile Aufstieg und das ungetrübte Glück. Was folgte, waren tragische Schicksalsschläge. Am 18. Dezember 1972, Biden war gerade zum Senator gewählt worden, starben seine Frau und seine einjährige Tochter bei einem Autounfall. Biden wurde über Nacht zum alleinerziehenden Vater zweier Söhne. Seine politische Karriere trieb er trotzdem voran. Der ehemalige Sonnyboy hatte jetzt die Aura eines vom Schicksal schwer geprüften Mannes. Dem Schönling wurde nun auch charakterliche Tiefe attestiert. Biden biss sich durch. In seiner Amtszeit als Vizepräsident unter Obama verstarb 2015 Beau, einer seiner Söhne, an einem Hirntumor. Auch diesen Schicksalsschlag konnte Biden bewältigen.

Biden kam über diese tiefen persönlichen Wunden hinweg. Vor allem dank seiner Entschlossenheit, sich nicht unterkriegen zu lassen, dank dieses Vertrauens in das eigene Können, das Bidens Biografen ihm attestieren. Jetzt muss er nicht die eigenen Schicksalsschläge überstehen. Jetzt geht es um die Wunden der Menschen in den Vereinigten Staaten. Sollte er auch das hinbekommen, haben sich alle Fragen erübrigt. Dann wird der schwache Kandidat Joseph Robinette Biden als starker Präsident in die Geschichtsbücher eingehen.

titi
9. November 2020 - 13.00

Alles hat eine Ende. Nun auch die Aera Trump. Herzliche Glückwünsche an Joe Biden. Dazu brauche ich unseren Premier nicht extra zu bemühen.

GéBé
8. November 2020 - 18.33

Für einen überzeugten Europäer ist es ein Kinderspiel den Republikaner an Hand von probanten Beispielen zu zeigen wie man verlorene Wahlen durch einfache Wiederholungen u.d.gl.m. In unantastbare Siege umwandelt. Ob jedoch die Mafia , über die , die yankee Medien kein einziges Wort verloren haben mit solchen Tricks einverstanden wäre......?

GéBé
8. November 2020 - 13.19

Ich hoffe , dass unser Staatsminister dem neuen Us-Präsus erst nach dessen offizieller Ernennung zu seinem Sîeg auch in meinem Namen gratuliert . Wie diesimmer der Fall in der Vergangenheit war !

HTK
8. November 2020 - 10.12

Vernunft und Diplomatie kehren zurück.Aber es war knapp und das sollte zu denken geben,wie weit die amerikanische Gesellschaft abgesackt ist. Hätte Biden z.B. nicht für eine Verschärfung der Waffengesetze plädiert,so wäre er ganz klarer Sieger geworden denn in Staaten wie Texas etc. gehen die Säuglinge mit einem Colt ins Bettchen. Ausserdem hat Obama erfolgreich ALLE aufgefordert zur Wahl zu gehen,nicht wie vor 4 Jahren,wo vor allem Jugendliche gar nicht gewählt haben. Der Rest ist wohl "hausgemacht" von einem unfähigen Psychopaten der alles Porzellan zerschlagen hat. Die Mauer stürzt also schon wieder ein.Bravo.

Miette
7. November 2020 - 22.43

Ich warte auch brav ab um ein Gläschen Schampus auf Trumpelchens Untergang zu trinken. Vorsicht ist die Mutter der Porzelankiste! Also sitze ich hier mit Kräutertee zur Nacht?

frolick
7. November 2020 - 17.46

Ich warte bis die Wahlmänner gewählt haben, ehe ich den Schampus öffne.