AtomenergieCattenom im „Stop-and-Go“-Betrieb – Eingreiftruppe übte kürzlich für den Ernstfall

Atomenergie / Cattenom im „Stop-and-Go“-Betrieb – Eingreiftruppe übte kürzlich für den Ernstfall
Nahaufnahme eines Kühlturms in Cattenom Foto: Editpress-Archiv/Fabrizio Pizzolante

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In Frankreich hat eine schnelle Eingreiftruppe vor Kurzem geprobt, Cattenom vor dem Super-GAU zu bewahren. Das war wohl keine sinnlose Übung: Gerade musste erst wieder ein Block des betagten Meilers heruntergefahren werden. Dabei ist eine große Inspektion dieser Einheit noch gar nicht lange her – und seitdem gab es auch noch weitere Störungen. 

Erst vor wenigen Tagen ist eine erneute Störung des Betriebsablaufs des französischen Atomkraftwerks Cattenom bekannt geworden, die so schwerwiegend war, dass einer der vier Reaktorblöcke heruntergefahren werden musste (das Tageblatt berichtete). Jetzt ist durch die Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage bekannt geworden, dass bei einer kürzlich erfolgten Übung einer speziellen Notfall-Eingreiftruppe am grenznahen Kernkraftwerk die luxemburgische Seite in keiner Form eingebunden war.

In der Anfrage Nr. 4933 des LSAP-Abgeordneten Dan Biancalana fragt dieser die Regierung, ob es stimmt, dass die „Force d’action rapide du nucléaire“ (FARN) Ende August einen Unfall in Cattenom simuliert hat und inwiefern Luxemburg, etwa über das Rettungskorps CGDIS, dabei involviert war. In ihrer Antwort legt Innenministerin Taina Bofferding dar, dass eine Mitwirkung des Großherzogtums gar nicht der Logik der stattgefundenen Übung entspreche. Die Eingreiftruppe FARN sei als mobile technische Einheit schließlich dazu da, nach einem schweren Unfall in einem Kernkraftwerk die Kühlung des Reaktors aufrechtzuerhalten. „Sie stellt somit eine letzte Barriere dar, die verhindert, dass ein Unfall zu erheblichen radioaktiven Freisetzungen führt“, erklärt Bofferding. Diese Notfallübung vor Ort verfolge also grundsätzlich „ein anderes Ziel als eine Notfallübung außerhalb des Standorts“.

Das Kraftwerk habe im Vorfeld über die Übung informiert. Es gebe zwar keinen detaillierten Bericht, auf der nächsten Sitzung der lokalen Informationskommission werde das Kraftwerk jedoch eine Stellungnahme abgeben. Eine konkrete Angabe, wann das stattfindet, enthält die Antwort nicht. Die Innenministerin betont aber, dass Luxemburg bei der Krisenplanung keinesfalls außen vor bleibe, schließlich würden alle fünf Jahre grenzüberschreitende Übungen organisiert. Die nächste Übung solle im Jahr 2022 stattfinden. Die grenzüberschreitende Koordination sei ein wesentliches Element der Übungen.

Die Eingreiftruppe

Die FARN wurde 2011 nach dem katastrophalen Unfall in Fukushima gegründet. Sie umfasst 300 Mitarbeiter, die auf fünf Standorte in Frankreich verteilt sind.
Sie sollen innerhalb eines Tages in jedem der französischen Kernkraftwerke eingreifen können, um die zur Kühlung notwendige Strom- und Wasserversorgung auch unter widrigsten Umständen zu sichern.
Seit 2016 seien mehr als 40 groß angelegte Übungen absolviert worden, meldet die EDF. Die „nuklearen Feuerwehrleute“ helfen aber auch bei Naturkatastrophen außerhalb von Kernkraftwerken. 

An und aus in Block 3

Der Einsatz der Truppe als letzte Bastion vor dem Super-GAU könnte noch vor dem Ende der Laufzeit von Cattenom nötig werden, befürchten Kritiker des französischen Meilers. Erst vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass einer der vier Blöcke von Cattenom abgestellt werden musste. Am frühen Morgen des 5. Oktober, gegen 3.40 Uhr, schaltete sich der Reaktor des Blocks drei automatisch ab. Obgleich keine weiteren Details bekannt gegeben werden, versichert EDF, das Ereignis habe „keine Auswirkungen für die Sicherheit des Personals oder der Umwelt“ gehabt. 

Einem Bericht des Saarländischen Rundfunks zufolge gab es ein Problem mit dem Alternator, dem rotierenden Teil des Stromgenerators im nicht-nuklearen Teil der Anlage. Dabei war der Block aber noch gar nicht lange wieder in Betrieb.

Die dritte Zehnjahresinspektion des Blocks, die am 12. Februar begonnen hatte, ist erst vor kurzer Zeit abgeschlossen und der Betrieb am 3. September wieder aufgenommen worden. „Er kann nun weitere zehn Jahre laufen“, hatte die Betreibergesellschaft „Electricité de France“ (EDF) verkündet.

Derzeit ist das aber offensichtlich nur im Sinne eines „Stop-and-Go“-Betriebs möglich: In der Nacht vom 13. auf den 14. September wurde der Block nämlich schon einmal wieder abgeschaltet – für Wartungsarbeiten an einem Filter an einer Pumpe im Maschinenraum im nicht nuklearen Teil der Anlage, wie EDF mitteilt.

Informationslücken sind „ganz normal“

Die Informationspolitik des Cattenom-Betreibers EDF und der Aufsichtsbehörde ASN sind erschreckend zäh und intransparent. Eine übersichtliche Auflistung aller Störungen ist kaum zu bekommen. Die jüngste Meldung auf der deutschsprachigen Seite von Cattenom stammt vom Juni 2021.
Eine spezielle Website der Aufsichtsbehörde stellt zwar eine Suchmaske bereit, doch wenn man hier für Cattenom die INES-Stufe 0 anwählt, sind die jüngsten Meldungen von 2011. Auf mehrfache Aufforderung, hier für Klarheit zu sorgen, heißt es von einer Sprecherin der ASN lediglich: „Die Stufe-0-Störungen werden nicht online gestellt. Hier ergeben sich Lücken. Es ist normal, dass Sie sie nicht finden.“

„Man muss sich wirklich fragen, ob so viele Zwischenfälle normal sind, so kurz nach dieser Inspektion“, findet auch der luxemburgische Greenpeace-Aktivist Roger Spautz. So gut es auch sei, wenn eine automatische Abschaltung ja immerhin Schlimmeres verhüte, so deute sich darüber aber auch an, dass wohl ein Problem vorliegt. „Und diese Notabschaltungen gehen viel schneller als eine geplante. Das setzt das Material auch sehr viel mehr unter Stress!“

Noch während der Inspektion war es jüngst sogar zu mehreren Ereignissen gekommen, die der (zweiten) Stufe 1 der Internationalen Bewertungsskala für nukleare Ereignisse (INES) entsprechen: Anfang August war etwa festgestellt worden, dass eine Notpumpe eine „nicht konforme Durchflussmenge“ aufwies, wie EDF meldete.

Genau genommen war die Pumpe zu diesem Zeitpunkt bereits mehrere Tage komplett außer Funktion. Die laufende Wiederaufnahme des Betriebs des Blocks 3 wurde deshalb wieder abgebrochen. Da die Reparatur dann auch noch länger dauerte, als es die Betriebsspezifikationen vorsahen, habe die Kraftwerksleitung beschlossen, das Ereignis neu zu bewerten – zuvor war es nämlich nicht mit der Stufe 1, sondern der Stufe 0 gemeldet worden. Den Hinweis, dass zu keinem Zeitpunkt die Sicherheit von Mensch oder Material gefährdet gewesen sei, gab die Betreibergesellschaft auch hier ihren Verlautbarungen dazu.

Kritiker wie Markus Pflüger vom Trierer Antiatomnetz kann das aber nicht überzeugen: „Das ständige Herunter- und Herauffahren der Reaktoren ist sehr riskant“, erklärt auch er gegenüber dem Tageblatt. Er findet: „Das ganze Nachrüsten und die Inspektionen können die Sicherheit von Cattenom jedenfalls nicht in akzeptable Bereiche bringen!“ 

In Luxemburg fordert die Regierung ohnehin: „Das AKW Cattenom muss vom Netz genommen werden. Eine Laufzeit-Verlängerung ist unnötig und völlig inakzeptabel.“ So stand es kürzlich in einer gemeinsamen Mitteilung des Luxemburger Umweltministeriums und des Energieministeriums.

Seitdem ist viel passiert – vor allem Pannen: Die „Neuigkeiten“ auf der Website von Cattenom sind vier Monate alt 
Seitdem ist viel passiert – vor allem Pannen: Die „Neuigkeiten“ auf der Website von Cattenom sind vier Monate alt  Foto: Screenshot

Es gibt offenbar Gründe, den vier Türmen zu misstrauen:  Am 19. August wurde der französischen Aufsichtsbehörde „Autorité de sûreté nucléaire“ (ASN) ebenfalls ein Vorkommnis der Stufe 1 aus Block 3 gemeldet. Demzufolge musste am 14. August, also ganze fünf Tage zuvor, ein externer Mitarbeiter im Zuge der Inspektion dort Rohre durchtrennen. Bei der Ausgangskontrolle wurde dann eine „Kontaminierung am Kopf“ festgestellt – durch radioaktiven Staub, der laut EDF aber schnell entfernt werden konnte. Der Arbeiter habe jedoch die jährlich eigentlich zulässige Jahresdosis um ein Viertel überschritten. (Die Grenze liegt laut EDF für den gesamten Körper bei 20 mSv und für einen Quadratzentimeter Haut bei 500 mSv.)

Im Juni war es zu einem weiteren Ereignis der INES-Stufe 1 im Block 3 gekommen, als erst eine Belüftungsanlage ausfiel und dann auch diese Reparatur länger dauerte als die spezifisch geforderte eine Stunde.

„Normale Lücken“: Will man bei der Aufsichtsbehörde Störungen der INES-Stufe 0 in Cattenom nachschlagen, lässt die Eingabemaske nur noch zu, dass man zehn Jahre alte Ereignisse abfragt
„Normale Lücken“: Will man bei der Aufsichtsbehörde Störungen der INES-Stufe 0 in Cattenom nachschlagen, lässt die Eingabemaske nur noch zu, dass man zehn Jahre alte Ereignisse abfragt Foto: Screenshot

Ein „signifikantes Vorkommnis“, das trotzdem nur der INES-Stufe 0 entsprach, wurde auch noch am 14. September gemeldet – obwohl die Fehlfunktion da bereits vier Tage zurücklag: „Vertauschte Kabel“ in einem Schaltschrank von Block 3 hatten dafür gesorgt, dass „die Grenze für die Einführung eines Steuerstabes zehn Minuten lang überschritten wurde“. Durch das Einfahren der Steuerstäbe wird die nukleare Kettenreaktion verlangsamt oder ganz unterbunden. In welche Richtung der Leistungskontrolle die „Grenze“ überschritten wurde, geht aus der Verlautbarung nicht hervor.

Realist
11. Oktober 2021 - 18.19

@Grober JP: Ein KKW macht nicht so einfach "Boum", schon gar nicht im Falle eines allgemeinen Netzausfalls. Wenn eine Überlastung droht, geht es automatisch vom Netz, so wie jedes andere Kraftwerk auch. Alles andere stammt aus Drehbüchern von Katastrohenfilmen. Worauf ich aber eigentlich hinaus wollte: Während wir hier allen Ernstes über Windmühlen, Dynamos in Dorfbächen und Lastenfahrräder diskutieren, werden in China containergrosse Thorium-Salz-KKWs getestet, die eine ganze Grosstadt mit Energie versorgen und dabei weder nennenswerten Atommüll produzieren, noch anfällig für Kernschmelze sind. Dort spielt die Musik.

Grober J-P.
11. Oktober 2021 - 13.23

@Realist. Wenn Blackout, dann dauert es nicht lange und Cattenom u.a. macht auch BOUM.

Grober J-P.
11. Oktober 2021 - 13.14

Was kostet uns eigentlich der Atomstrom insgesamt?

Realist
11. Oktober 2021 - 11.40

Übt mal lieber für den Fall eines länderübergreifenden Blackouts, dh eines Versagens der Stromversorgung in weiten Teilen Westeuropas. Das ist viel dringender.

Ënner Ons
11. Oktober 2021 - 8.53

So gut für den Menschen wie für alles von ihm geschaffene ist ein Ende vorprogrammiert. Dass man z. B. des Menschen Krankheit und Des Atom Meilers Tätigkeit hinauszögern kann ist normal, aber ihren Tot, den Super-Gau kann ihnen niemand verhindern.

Wieder Mann
11. Oktober 2021 - 8.25

Wollen wir den Klimawandel , müssen mehr Atomkraftwerke gebaut werden. Mehr Atomkraftwerke bedeuten nicht nur unsere Abhängigkeit der Energieversorgung abzusichern, sondern durch zusätzliche Anreicherung des Uran Europa strategisch unabhängig wird von den USA , die EU zur Atommacht werden kann und zur Abschreckung, Verteidigung ihrer Interesse Atomwaffen als Druckmittel zur Verfügung hat.