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Forum / Aufrüsten für welchen Krieg?
Polizeiminister Henri Kox und Armeeminister François Bausch gehören beide der grünen Partei an Foto: Editpress/Julien Garroy

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Pazifismus ist eine löbliche Gesinnung. Die leider nicht in unsere gewalttätige Welt passt. Das mussten auch die Grünen erfahren. Angetreten zur sanften „Ökologisierung“ der Gesellschaft brachte die reale Verantwortung in Regierung und Kommunen die einstigen Vertreter des „Verboten zu verbieten“ zu einem erstaunlichen Wandel. So auch in Luxemburg. Polizei-Minister Henri Kox und Armee-Minister François Bausch rüsten auf. Wie nie zuvor in der Geschichte des Landes.

Der Polizeiminister ließ bereits 200 neue Polizeibeamte rekrutierten. Bis 2022 sollen weitere 607 neue Polizisten folgen. Sowie 240 zivile Mitarbeiter. Eine Aufstockung um 1.000 Beamte für totale „Sicherheit“. Zwei Hubschrauber sind im Einsatz. Die Kamera-Überwachung im öffentlichen Raum wird ausgedehnt. China lässt grüßen.

Als Transportminister baut Bausch die Verkehrskontrollen aus. Radarfallen, permanente und mobile, zieren unsere Straßen. Über eine Million Strafzettel später, darunter ein Drittel für „Raserei“ bis zu 5 Stundenkilometer über dem Limit, bleibt das hehre Ziel „Null Tote im Straßenverkehr“ unerreichbar. Selbst im Pandemiejahr 2020 wurden trotz „Home-Working“ und Ausgangssperren immerhin 28 Verkehrstote gezählt.

Als oberster Befehlshaber ist der Grünen-Chef nicht weniger emsig. Wie Reporter feststellt: „Noch nie hat Luxemburg mehr für Verteidigung ausgegeben als dieses Jahr: 0,57% des Bruttoinlandproduktes fließen in die Verteidigung. Das entspricht laut neuesten Zahlen der NATO etwa 389 Millionen Euro. Und die Ausgaben sollen weiter steigen. Auf bis zu 550 Millionen im Jahr 2024 …“

Reporter vergleicht die Rüstungsausgaben mit dem Budget für sozialen Wohnungsbau. Für 2021 sind 173 Millionen Euro vorgesehen. Für 2024 will Minister Kox 216 Millionen Euro gegen die grassierende Wohnungsnot ausgeben. Nicht einmal die Hälfte des Militär-Etats!

Ungeschützte Kröten

Dazu Romain Hilgert im Land: „Armee und Polizei sind die täglich zu schluckenden Kröten für eine Partei, die bis 2001 aus der NATO austreten wollte“. Derweil die grüne EP-Abgeordnete Tilly Metz sich nach alter Sponti-Manier durch illegales Eindringen auf einen NATO-Flughafen werbewirksam „verhaften“ ließ, sind ihre Parteioberen schon längst in der Welt von „Recht und Ordnung“ angekommen.

In einem Wort-Interview rühmte Bausch sich, er habe das Ohr von NATO-Generalsekretär Stoltenberg. Die NATO arbeite bereits an Strategien zur Bekämpfung des Klimawandels. Zum Zurückdrängen des laut Bausch „gigantischen“ Energieverbrauchs der Streitkräfte regt der grüne Vorkämpfer gar die Anschaffung „mobiler Solaranlagen“ an, statt der mit Diesel betriebenen Strom-Generatoren. Was voraussetzt, dass zukünftige Kriege nur tagsüber bei sonniger Wetterlage stattfinden dürfen!

Dabei befreite das Pariser Klimaabkommen die Militärs von der Reduzierung ihres „Karbon-Abdrucks“. Weder der Verbrauch unseres militärischen Flugtransporters noch der CO2-Ausstoß der neuen gepanzerten Vehikel werden der nationalen Klima-Bilanz angerechnet. Für das Militär bleibt „Elektromobilität“ ein Fremdwort.

Es ist nicht bekannt, ob die 80 gepanzerten Fahrzeuge, die nunmehr für 367 Millionen Euro angeschafft werden, weniger Treibstoff verbrauchen als die zu ersetzenden 66 Dingos und 33 Hummer. Treibstoff-Verbrauch steht im Verhältnis zum Gewicht eines Fahrzeuges. Wobei Panzerung bei der Anschaffung wie durch Sprit-Schlucken teuer wird.

Es ist dem Armeeminister nicht vorzuwerfen, dass er seine Unterschrift unter Rüstungsaufträge setzt. Keine Armee kommt ohne Waffen oder Geräte wie gepanzerte Fahrzeuge aus.

Unwirksame Ausgaben?

Luxemburg als Gründungsmitglied der NATO hat Verpflichtungen. Dennoch müssen die Beschlüsse des Bündnisses kritisch hinterfragt werden. Das tat selbst Bausch in seinem Wort-Interview. Die von der NATO „politisch festgesetzte“ Quote eines Militärhaushaltes in Höhe von 2% des Bruttoinlandsproduktes sage „nichts aus über die Wirksamkeit von Militärausgaben“.

Dennoch lässt Luxemburg sich vom großen Bruder aus Washington vorantreiben. Sei es vorher Trump, oder nunmehr Biden. Letzterer mag höflicher sein. Ist jedoch zuerst ein Vertreter knallharter US-Interessen.

Die den NATO-Partnern abverlangte Aufrüstung bis zu mindestens 2% ihres jeweiligen BIP landet zu einem guten Teil in den Kassen der US-Rüstungsindustrie. Die USA sind nicht nur die größte Militärmacht der Welt. Sie sind auch mit Abstand der bedeutendste Produzent und Händler von Waffensystemen.

Luxemburg kaufte für 14,8 Millionen Euro vier neue militärische Ambulanzen. Lieferant ist der spanische Ableger der amerikanischen General Dynamics, u.a. Hersteller der Abrams-Kampfpanzer.

Offiziell ist die NATO ein Verteidigungsbündnis. Artikel 5 zwingt zu automatischer Solidarität. Ein Angriff auf einen Mitgliedstaat verpflichtet alle zur gemeinsamen Reaktion.

Artikel 5 wirkte abschreckend während des Kalten Krieges. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Auflösung des Warschauer Paktes traten dessen ehemalige Mitglieder fast alle der NATO bei. Was zu einer immer engeren Einschnürung der russischen Föderation führte. Der Militärhaushalt der USA stellt nahezu 40% der weltweiten Rüstungsausgaben dar. Mehr als die Addition der Militärhaushalte der zehn nachfolgenden Mächte, China und Russland inbegriffen. Gemeinsam mit ihren NATO-Partnern bestreiten die USA über 50% der weltweiten Rüstungsausgaben. Wer bedroht wen?

„Verteidigung“ wird dehnbar

Die NATO-Staaten spielen immer öfter Krieg. Der „Nine-Eleven“-Anschlag auf das World Trade Center in New York und das Pentagon in Washington aktivierten zum ersten Mal Artikel 5 des Vertrags. Was dazu führte, dass die Alliierten den USA zur nunmehr gescheiterten „Demokratisierung“ Afghanistans beisprangen. Selbst Luxemburg beteiligte sich mit zwei Soldaten an der Verteidigung unserer „Werte“ im Land der Taliban.

Der ursprüngliche Nord-Atlantik-Pakt verfolgt im Gefolge der Weltmacht USA zunehmend globale militärische Ziele. Die luxemburgischen Abgeordneten votierten im Mai 2021 ein neues Gesetz über den verstärkten Einsatz unserer Soldaten und Zivilisten in Krisengebieten quer über den Globus. Laut dem grünen Berichterstatter Carlo Back erhöht das neue Gesetz „die Reaktionsfähigkeit“ unserer Armee. Die Grünen-Sprecherin Stéphanie Empain sah in den verstärkten Auslandseinsätzen ein „wichtiges Puzzlestück einer grünen Verteidigungspolitik“. Sie überzeugte DP, CSV, LSAP und selbst die ADR.

Unsere Armee, mit Musikkapelle keine 1.000 Mann stark, leistet sich nun verstärkten Auslandseinsatz. Neben den zwei Soldaten in Afghanistan sind vier in Litauen im NATO-Einsatz. In Mali werden ab September 22 Militärs „eingebettet“ in EU- oder UN-Einheiten. Ein Polizist ist Instruktor in der Ukraine. Eine Polizistin wirkt im Westjordanland. Zudem schickt Minister Bausch nunmehr einen Offizier und einen Unteroffizier als Ausbilder in den krisengeschüttelten Irak. Ein nachträglicher Beitritt zur „Allianz der Willigen“, welche unter US-Führung das Regime des Saddam Hussein stürzte, ohne die gesuchten „Massenvernichtungswaffen“ zu finden?

Bausch hinterfragt zu Recht die „Wirksamkeit von Militärausgaben“. Doch bleibt er eine halbwegs überzeugende Antwort schuldig, was die nationale Aufrüstung soll. Er philosophiert über das Aufstellen einer 500 bis 700 Mann starken belgisch-luxemburgischen Brigade ab 2028. Die im Kriegsfall was tun sollte?

Brutale Wahrheit ist, dass die NATO-Strategen noch immer die vergangenen Kriege neu planen. Doch was würden 80 leicht gepanzerte Fahrzeuge, ein Militärflugzeug und mehrere hundert Soldaten wiegen, falls es wirklich zu einem Konflikt käme? Eine einzige ferngesteuerte Rakete genügt, um 100 Prozent unserer Luftwaffe zu zerstören.

Es gibt weltweit viele Konflikte. Meistens Bürger- oder Religionskriege. Militärische Besetzungen sind selten. Etwa die Annexion der ehemals russischen Krim durch die Russen. Oder Grenzkonflikte zwischen China und Indien.

Doch Eroberungskriege wie in Weltkrieg II wird es nicht mehr geben. Die Sowjetunion fiel 1991 waffenstarrend in sich zusammen. Es gelang den Amerikanern nicht, sich in Vietnam oder in Afghanistan zu halten. Während des Irak-Kriegs verloren die Amerikaner 4.479 Soldaten. Im Kampf gegen den Islamischen Staat hatten die USA nur noch 14 tote Soldaten zu beklagen.

Der moderne Krieg erfolgt aus der Luft. Drohnen, Raketen, unbemannte Flugzeuge tragen zielgenau den Tod in feindliche Reihen. Die Amerikaner haben bereits ein erstes unbemanntes Schiff im Einsatz. Sie experimentieren mit Torpedo-Drohnen unter Wasser.

Der nächste Krieg findet im Weltall statt. Satelliten schießen Satelliten ab. Um die Kommunikationsnetze der Gegner zu zerstören, seine Energie- und Wassernetze zu lähmen, die wirtschaftlichen Aktivitäten zum Erlahmen zu bringen.

Bauschs Vorgänger Etienne Schneider hatte wenigstens eine Vision für eine luxemburgische Weltraumpolitik. Der grüne Chefstratege plant bieder an leicht gepanzerter Bewaffnung. Teure Playmobile für einen Möchtegern-Patton!

*Der Autor ist ehemaliger Minister und Europaabgeordneter

Boris Fuge
23. Juli 2021 - 10.42

"Was zu einer immer engeren Einschnürung der russischen Föderation führte." Robert Goebbels, in typisch sozialistisch-russlandfreundlicher Manier (was ist eigentlich sozialistisch an Putins Russland, das im Ranking der ungleichen Verteilung des Vermögens an der Weltspitze steht?), verbreitet hier das russische Propaganda-Mantra von der "Einkreisung" durch NATO-Staaten. Dies ist aber, wie vieles aus Putins Reich, eine völlige Verdrehung von Ursache und Wirkung: Sämtliche ehemalige Warschauer-Pakt-Staaten, die später der NATO beitraten, haben das aus eigenem Antrieb getan und im durchaus realistischen Bewussstsein, dass Russland für sie eine Bedrohung darstellt. Was die "Roten" auch gerne ausklammern: Im Gegensatz zur NATO führt Russland Krieg in Europa, und zwar in der Ostukraine, seit 2014, mit bislang mehr als 15.000 offiziellen Todesopfern.

J.C. Kemp
20. Juli 2021 - 21.25

Betreffend 'Sicherheetsgefill', kukkt iech op der engleschsprocheger Wikipedia den Artikel 'security theater' un. Am franzéischen ënnert méi kuerzer Form als 'Comédie sécuritaire' ze fannen. Souvill zur Kamerasiwwerwaachung etc.

Verona
20. Juli 2021 - 12.37

Der Krieg gegen den Klimawandel fängt ja jetzt an.

Rosie
20. Juli 2021 - 12.36

" Über eine Million Strafzettel später, darunter ein Drittel für „Raserei“ bis zu 5 Stundenkilometer über dem Limit," Ja ein Drittel der Leute können den Tacho nicht lesen. Der Jorunalist wurde wohl mehrfach geblitzt.

de spëtzbouf
19. Juli 2021 - 20.06

Einfach zum schieflachen, wenn es nicht so ernst wäre.

Romain Juni
19. Juli 2021 - 13.07

Haben wir auch Pegasus von NSO im Smartphone?Unbedingt aufrüsten.

Théo HARY
19. Juli 2021 - 10.44

SI VIS PACEM PARA BELLUM ? ?

Wieder Mann
19. Juli 2021 - 10.06

Die wundersame Wandlung vom Mitglied des „ Friddenskomitee“ zum Befürworter militärischer Aufrüstung, der Nato. Ein gutes Beispiel einer Politiker - Chamäleon - Natur sich anzupassen , wenn Macht , Gehalt und Vorteile stimmen. Aber auch ein Zeichen der modernen Zeit von Wandlung unserer Parteienlandschaft .Die Gründerväter der Grünen einst das System der Bevormundung, der Verbote , des Konservatismus , des Militarismus, einst bekämpften , heute Teil davon oder die Sozis von der Arbeiterpartei zur Partei der Anwälte, Professoren, Richter,…. mutiert , die CSV gänzlich das Christliche aus den Augen , den Gedanken der Volkspartei verloren , einzig alleine die DP noch immer die Upper Class vertritt.

jung luc
19. Juli 2021 - 7.43

Auch Grüne passen sich an. Die Anpassungspolitik brauchen wir in der Regierung nicht.