EU-Kommission750 Milliarden für „Europas Moment“ – Plan geht über Merkel-Macron-Vorschlag hinaus

EU-Kommission / 750 Milliarden für „Europas Moment“ – Plan geht über Merkel-Macron-Vorschlag hinaus
„Next Generation EU“ wurde der Plan von Kommissionschefin Von der Leyen getauft – die Begrüßungsformen in Brüssel haben sich der Pandemie bereits angepasst  Foto: AFP/Kenzo Tribouillard

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Mit ihrem Plan für den Wiederaufbau geht die EU-Kommission über Kanzlerin Merkel und Präsident Macron hinaus. Sie kommt aber auch den sparsamen Ländern entgegen. Dennoch stehen schwierige Verhandlungen bevor.

Es war das bestgehütete Geheimnis in Brüssel: Nur der engste Kreis um Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kannte die Zahlen, die über die Zukunft der EU entscheiden. Höchstpersönlich wollte Von der Leyen ihren Plan für „Europas entscheidenden Moment“ präsentieren. Doch am Ende war es nicht die deutsche CDU-Politikerin, sondern der italienische Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni, der die wichtigste Zahl verriet. 750 Milliarden Euro will die EU-Kommission an den Finanzmärkten aufnehmen, um den Neustart der Wirtschaft nach Corona zu finanzieren, teilte Gentiloni per Twitter mit.

Das sind 250 Milliarden Euro mehr, als Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron vor einer Woche vorgeschlagen hatten. Aber es ist deutlich weniger, als das Europaparlament fordert. Auch das EU-Budget bleibt hinter manchen Erwartungen zurück.

Der neue „mittelfristige Finanzrahmen“ für 2021 bis 2027 soll sich auf 1,1 Billionen Euro belaufen – das wäre kaum mehr, als vor Corona geplant war. Hier kommt Brüssel den „Frugal Four“ entgegen: Österreich, Holland, Dänemark und Schweden wollen ihren EU-Beitrag auch in der schlimmsten Wirtschaftskrise seit dem 2. Weltkrieg niedrig halten.

Von der Leyen hat versucht, es allen recht zu machen – Merkel und Macron, aber auch Österreichs selbstbewusstem Kanzler Sebastian Kurz, der sich zum Sprecher der „Frugal Four“ aufgeschwungen hat. Zugleich will sie ihren „European Green Deal“ retten, das Klima schützen und die Digitalisierung vorantreiben.

Auf dem Papier gelingt der Balanceakt

Zumindest auf dem Papier ist dieser Balanceakt gelungen. Mit einem ganzen Berg von Dokumenten – insgesamt haben die EU-Beamten 1.000 Seiten vollgeschrieben – kommt von der Leyen allen Wünschen entgegen. Ihr Aufbau-Programm (Titel: „Next Generation EU“) enthält für jeden etwas, es ist ein Wünsch-dir-was für die Post-Corona-Ära.

Sogar die Finanzierung scheint gesichert, jedenfalls fürs Erste. Dabei sah es wochenlang so aus, als könne Von der Leyen nur mit Buchhaltungstricks und Finanzhebeln die nötigen Rekord-Summen aufbringen. Erst als Kanzlerin Merkel eine Wende vollzog und der Aufnahme von EU-Schulden zustimmte, ging die Rechnung plötzlich auf.

Ganz ohne Finanztricks geht es allerdings auch jetzt nicht. So will die EU-Kommission die sogenannte Eigenmittelobergrenze anheben – von derzeit 1,2 Prozent auf bis zu 2 Prozent. In der Praxis bedeutet das, dass sie buchhalterisch über mehr Geld aus den EU-Beiträgen der Mitgliedsstaaten verfügt. Dieses Geld dient dann als Garantie zur Aufnahme von 750 Milliarden Euro Schulden.

Außerdem soll die EU neue Steuern und Abgaben erhalten. Im Europaparlament sprach Von der Leyen vom Ausbau des Emissionshandels, einer neuen CO2-Grenzsteuer und der schon seit Langem geplanten Digitalsteuer. „Hier müssen wir ambitioniert sein“, rief sie den Abgeordneten zu. Denn mithilfe der neuen Steuern sollen die Schulden abgestottert werden. Bis zu 30 Jahre könnte das dauern.

Erst 2058 dürften die Lasten der „Next Generation EU“ abgetragen sein. Doch genau das mache „die Schönheit“ des Vorschlags aus, sagen Kommissionsexperten: Man komme schnell an Geld, um die Krise zu bewältigen und ein klimafreundliches Konjunkturprogramm zu finanzieren – müsse jedoch erst später zurückzahlen (ab 2028) und die klammen Mitgliedstaaten nicht zusätzlich belasten.

Nächster Streit bereits vorprogrammiert

Doch wie viel Geld wird am Ende in Italien, Spanien oder Deutschland ankommen – und zu welchen Konditionen? Darüber dürfte noch heftiger Streit entbrennen. Von der Leyen schlägt vor, dass 500 Milliarden Euro als Zuschüsse vergeben werden, nur 250 Milliarden als rückzahlbare Kredite. Die „Frugal Four“ lehnen das ab, sie wollen nur Kredite.

Auch die Verteilung auf die EU-Länder wirft Fragen auf. Nach einer internen Aufstellung der EU-Kommission sind knapp 173 Milliarden Euro als Zuwendungen und Kredite für Italien reserviert. Spanien könnte bis zu 140 Milliarden bekommen, Deutschland darf mit 28 Milliarden rechnen.

Doch auch die Osteuropäer wollen ihren Teil vom Kuchen abhaben. Zudem soll die Vergabe von EU-Hilfen an strikte Bedingungen wie Rechtsstaatlichkeit, Klimaverträglichkeit oder Strukturreformen gebunden werden. Das könnte für Polen und Ungarn, aber auch für Griechenland zum Problem werden. Vor allem in Athen sind die Auflagen der Troika noch in schlechter Erinnerung.

Am Ende müssen aber alle 27 EU-Staaten und das Europaparlament zustimmen, damit der billionenschwere Kommissionsplan umgesetzt werden kann. Mit einer Einigung wird erst im Sommer gerechnet – unter deutschem EU-Vorsitz.