Staatsministerium28-seitiger Fragenkatalog gibt Abgeordneten erste Anstöße zur Impfpflicht-Debatte

Staatsministerium / 28-seitiger Fragenkatalog gibt Abgeordneten erste Anstöße zur Impfpflicht-Debatte
Der Fragenkatalog enthält auch eine Bandbreite an Statistiken und Grafiken Foto: Editpress/François Aussems

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In Vorbereitung auf die anstehende Debatte zur Impfpflicht im Parlament hat das Staatsministerium ein 28-seitiges Dokument veröffentlicht, um die Abgeordneten vorab zu informieren. Das Dokument macht zwar auf eine ganze Reihe an wichtigen Punkten aufmerksam, die auch unbedingt in der Chamber besprochen werden müssen, gänzlich neu sind sie allerdings nicht.

Premierminister Xavier Bettel kündigte erstmals im Dezember und dann abermals in seinem Neujahrsinterview an, Mitte Januar über die Einführung einer Corona-Impfpflicht im Parlament diskutieren zu wollen – voraussichtlich noch in der Woche vom 10. Januar. Die CSV hatte sich bereits im Dezember für die Impfpflicht ausgesprochen, die Grünen zogen Anfang Januar nach – allerdings nur unter bestimmten Bedingungen.

Das Staatsministerium verschickte am Donnerstag ein 28-seitiges Dokument an die Presse, das auch den Abgeordneten vorab als Informationsquelle nutzen solle. Das Justiz-, das Gesundheits- und das Staatsministerium sowie das Ministerium für auswärtige und europäische Angelegenheiten haben gemeinsam mit Vertretern der Justizbehörden dieses Dokument erarbeitet. Darin werden eine ganze Reihe an Fragen und Punkten aufgegriffen, die im Parlament diskutiert werden müssen – so zum Beispiel rechtliche Elemente oder die Frage nach der Verhältnismäßigkeit einer solchen Obligation. Viele neue Punkte enthält das Blatt allerdings nicht.

ZUR ERINNERUNG Das Tageblatt hatte bereits zuvor über wichtige Punkte bezüglich der Impfpflicht berichtet.

Anteil der Luxemburger Einwohner, der mindestens eine Impfdosis hat
Anteil der Luxemburger Einwohner, der mindestens eine Impfdosis hat Screenshot: Document de synthèse/Ministère d'État

Das Ziel der Impfpflicht

„Die Ziele, die mit der Einführung der Impfpflicht verfolgt werden, müssen aus medizinischer und wissenschaftlicher Sicht klar definiert sein“, heißt es in dem Dokument. So müssten die Parlamentarier sich die Fragen stellen, ob mit der Impfpflicht ein mittel- und langfristiger Übergang von einer Pandemie zu einer Endemie, die Aufrechterhaltung des Gesundheitssystems, der Schutz gefährdeter Personen oder etwa eine Kombination dieser Überlegungen angestrebt werde.

Als weitere mögliche Gründe werden eine beschleunigte Rückkehr zu einem „normalen“ gesellschaftlichen Leben (Wirtschaft, Bildung, soziales Leben …) sowie das Vermeiden der Folgen einer anhaltenden Pandemiemüdigkeit genannt. Dazu zählen die sich verschlechternde psychische Gesundheit der Bevölkerung und eine immer deutlicher werdende gesellschaftliche Spaltung.

Die Verfasser des Dokuments geben ebenfalls zu bedenken, dass „Intensivstationen und Operationssäle blockiert werden, weil überwiegend ungeimpfte Patienten andere Kranke daran hindern, rechtzeitig diagnostiziert und behandelt zu werden.“ Dadurch werde das Recht auf Gesundheit gefährdet. Hinzu komme die körperliche und seelische Belastung, der das Gesundheitspersonal seit Monaten ausgesetzt sei. Und nicht zu vergessen: Auch die Kinder würden unter den Folgen der Pandemie leiden.

Zudem müsse langfristig auch Luxemburgs Wirtschaft berücksichtigt werden: Ganze Sektoren befänden sich immer noch in einer prekären Lage und die Pandemie würde vor allem jene aus den unteren Gesellschaftsschichten am härtesten treffen. „Die finanzielle Belastung des Staates durch die Sozialsysteme bleibt enorm und ist langfristig nicht tragbar“, heißt es in dem Schreiben.

Rechtliche Bedenken

Die Autoren werfen auch einen Blick ins Ausland: Sie haben eine Tabelle erstellt, in der sie festhalten, wie andere europäische Länder mit dem Thema Impfpflicht umgehen. Das Tageblatt hat bereits zuvor in dem Artikel „Impfpflicht existiert bereits in vielen Ländern – Luxemburg will darüber diskutieren“ nachgeforscht, welche Länder bereits eine obligatorische Corona-Impfung eingeführt haben.

Was ist der Unterschied zwischen Grundrechten und Menschenrechten?

„Die Menschenrechte sind in internationalen Deklarationen und Abkommen festgeschrieben, die Grundrechte hingegen in den Verfassungen der Staaten. Die meisten Grundrechte haben eine Entsprechung bei den internationalen Menschenrechten; umgekehrt ist es in der Regel nicht so, dass alle internationalen Menschenrechte in den Grundrechten einer Verfassung abgebildet sind.“

Quelle: humanrights.ch

Aus rechtlicher Sicht müsse die Einführung einer Impfpflicht, die auf den Schutz der öffentlichen Gesundheit abzielt, gegen andere Rechte, wie etwa das Recht auf Leben, das Verbot unmenschlicher und erniedrigender Behandlung (absolute Rechte), das Recht auf Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Recht auf Arbeit (relative Rechte), abgewogen werden, um so ein verhältnismäßiges Gleichgewicht zu erreichen. So dürfe eine Impfpflicht nur dann eingeführt werden, wenn sie nicht gegen ein absolutes Grundrecht verstoße. Relative Rechte hingegen könnten unter gewissen Bedingungen eingeschränkt werden.

Zudem solle erst zur Impfpflicht als Maßnahme gegriffen werden, wenn alle weniger einschneidenden Alternativen ausgeschöpft wurden. Sollte sie dennoch eingeführt werden, müssten die Auswirkungen begrenzt und Ausnahmen vorgesehen werden, „um dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gerecht zu werden“. Die nationale Ethikkommission und das Ärztekollegium würden darauf hinweisen, dass die Rechte auf Gesundheit und Leben Vorrang vor dem Recht auf Nichtverletzung der körperlichen Unversehrtheit haben.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte urteile hingegen, dass die obligatorische Impfung als nicht freiwilliger medizinischer Eingriff einen Eingriff in die Ausübung des Rechts auf Achtung des Privatlebens darstellt. Es müsse allerdings noch überprüft werden, ob die Pflichtimpfung auch eine regelrechte Verletzung des Rechts darstellt. Der Gerichtshof habe allerdings vor kurzem entschieden, dass eine Impfpflicht legitime Ziele des Gesundheitsschutzes und des Schutzes der Rechte anderer verfolgt und einem zwingenden sozialen Bedürfnis entspricht. Demnach gebe der Europäische Gerichtshof grünes Licht, wenn die Impfpflicht durch Erwägungen der öffentlichen Gesundheit gerechtfertigt ist und in einem angemessenen Verhältnis zu dem verfolgten Ziel steht.

Einschränkungen der Grundrechte

Grundrechte werden staatlich garantiert und sind damit auch wieder einklagbar. Nur wenige Grundrechte gelten als absolut, Menschenrechte hingegen sind universell gültig. Grundrechte sind oft sehr allgemein formuliert und weit gefasst. Ein Grundrecht darf zwar nicht verletzt werden, ob es aber tatsächlich verletzt wird, bedarf immer einer konkreten Prüfung: Wird in den sogenannten Schutzbereich des Grundrechts eingegriffen? Zudem gilt es zu beachten, dass bestimmte Gesetze, beispielsweise aus dem Strafgesetzbuch, diese Rechte beschränken können.

Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung

Haftbarkeit des Staats

Die Autoren des Dokuments geben allerdings auch zu bedenken, dass die Europäische Arzneimittel-Agentur den Corona-Impfstoffen nur eine bedingte Marktzulassung erteilt hat. Das bedeutet: Es mussten weniger umfassende klinische Daten als normalerweise erforderlich geliefert werden, um die Arzneimittel auf den Markt zu bringen: Der Vorteil eines verfügbaren Impfstoffs hat das Risiko überwogen, auf zusätzliche Daten zu warten. Der Hersteller ist allerdings dazu verpflichtet, innerhalb einer bestimmten Frist weitere Studien abzuschließen, um das Nutzen-Risiko-Verhältnis weiter zu bestätigen.

Ein weiterer wichtiger Punkt betreffe die Haftbarkeit des Staats nach der Einführung einer Impfpflicht: Sollte ein Vakzin den Tod einer Person herbeiführen oder dauerhafte körperliche Schäden verursachen, ist der Staat dafür haftbar.

Aus dem Dokument geht hervor, dass das Generalsekretariat des Regierungsrats damit beauftragt wurde, „eine fünfköpfige Beratergruppe aus Experten zusammenzustellen, die auf der Grundlage der derzeit verfügbaren statistischen und wissenschaftlichen Daten wissenschaftliche Erkenntnisse über die gesundheitliche Relevanz einer allgemeinen oder sektoralen Impfpflicht zusammentragen soll.“

Impfstatus Luxemburger Einwohner nach Sektor
Impfstatus Luxemburger Einwohner nach Sektor Screenshot: Document de synthèse/Ministère d'État

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