MusikMusik für einen Cent?

Musik / Musik für einen Cent?
Georges Goerens a.k.a. Bartlebly Delicate Foto: Nicole Olenskaia

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Die zweite Solo-EP vom Seed-to-Tree-Sänger Georges Goerens ist eklektischer und experimenteller, gleichzeitig hat der Songwriter sein politisches Profil geschärft. Wir haben uns mit ihm über Streamingdienste, Aktivismus, privilegierte Luxemburger und mangelnde Selbstkritik in der hiesigen Musikszene unterhalten.

Für die Release-Party seiner neuen Solo-Platte im Creative Space „Am Gronn“ hatte sich Georges Goerens etwas Besonderes einfallen lassen: Weil der junge Künstler seit geraumer Zeit sein politisches Profil schärfen wollte, stand am Anfang seiner kulturpolitischen Performance die Enttäuschung, dass sich die Regierung im zweiten Lockdown irgendwann für die Öffnung der hauptstädtischen Läden entschied – die Kulturhäuser jedoch geschlossen bleiben mussten. „Das Argument der Regierung war, diese Öffnung wäre wesentlich für die Psyche der Menschen – als würden die Leute Louis-Vuitton-Handtaschen, jedoch keine Kultur benötigen, um glücklich zu sein.“ Goerens wollte eigentlich in einem Schaufenster auftreten – um der Regierungsentscheidung eine kritisch-ironische Pose entgegenzusetzen.

Dann öffneten die Kulturhäuser allerdings wieder. Goerens nächste Idee war umfassender: Weil es immer noch Menschen gebe, die glaubten, sie würden Musiker unterstützen, indem sie deren Musik regelmäßig auf Spotify streamten, wollte der junge Musiker die Zuhörer mit der Marktrealität dieser Dienste konfrontieren. Da man auf Spotify pro gestreamtem Track etwa fünf Cent erwirtschaftet, hat sich Georges Goerens zusammen mit der Künstlerin Marthe Viehmann ein etwas anderes Konzept ausgedacht, das zwischen klassischem Konzert und Kunstperformance pendelte: Während der Show wurde das Publikum dazu ermutigt, eine Leiter hochzusteigen, um ein 1-Cent-Stück in ein Rohr fallen zu lassen. Sobald das Cent-Stück in einen Eimer purzelte, wurde ein Vorhang gelüftet und man bekam den Musiker zu sehen, der genauso lange spielte, wie man eben braucht, um einen Cent auf Spotify zu verdienen.

„Die Analogie klappt natürlich nicht hundertprozentig, weil ich auf Spotify ja nicht jeden Stream live einspiele. Aber es ging uns eben darum, die Aufmerksamkeit auf die Praktiken dieser Streamingdienste und deren dann doch ziemlich ausbeuterischen Machenschaften zu lenken. Wenn ich jetzt 10.000 Mal gestreamt werde, kann ich damit vielleicht meinen Einkaufswagen füllen – aber viel mehr halt auch nicht. Unabhängigen Musikern, die kein Label haben, geht’s noch schlechter – zumal man neben Talent eben Glück haben oder sich anbiedern muss, um auf den erfolgreichen Playlists zu landen. Vor einiger Zeit brachte Drake eine neue Platte raus. Seine Songs waren auf allen möglichen Playlists, selbst solchen, die mit seiner Musik gar nichts zu tun hatten. Da siehst du einfach ganz deutlich, wie alles mit Lobbying und Geldmacherei zu tun hat.“

Georges Goerens a.k.a. Bartlebly Delicate
Georges Goerens a.k.a. Bartlebly Delicate Foto: Nicole Olenskaia

Freiheit und Experiment

In den Playlists könnte Georges Goerens Bartleby-Delicate-Projekt nach seinem klassfolkigen Singer-Songwriter-Debüt mit dieser zweiten, eklektischen Platte auch an der Seite von Künstlern wie James Blake oder Bon Iver stehen. „Anfangs ging es darum, für das Solo-Projekt eine Legitimierung zu finden – weswegen es wesentlich war, dass sich die Musik von der, die ich mit Seed to Tree mache, unterscheidet“, so Goerens. „Mittlerweile sind die Unterschiede zwischen meiner Band und meinem Solo-Projekt aber geringer – der Hauptunterschied ist und bleibt, dass Seed to Tree als Bandgefüge natürlich demokratisch funktioniert und deswegen langsamer voranschreitet, während ich bei Bartleby niemandem Rechenschaft ablegen muss. Diese Freiheit habe ich genutzt, um experimenteller vorzugehen – ich habe viele Sachen probiert, die ich eigentlich nicht kann, habe mich von der Idee emanzipiert, dass man ein Instrument nicht spielen sollte, solange man es nicht wirklich gelernt hat.“

Dabei herausgekommen sind Tracks wie der Opener „There’s No Need to Be Strong“, der ganz im Lo-Fi-Stil mit dem Handy aufgenommen wurde – eine Geste, die an Sufjan Stevens „Carrie & Lowell“ erinnert. „Ich habe festgestellt, dass es eine Kluft gibt zwischen dem, was ich höre und der Musik, die ich mache und dass ich im Studio immer alles zu sauber produziere. Diesmal habe ich mit Antoine Honoré von Napoleon Gold zusammengearbeitet. Im Gegensatz zu vielen anderen Produzenten hat sich Honoré auf meine Welt eingelassen, hat den Bogen zu Nada Surf oder Bright Eyes gespannt und nicht versucht, meine Musik in seine Komfortzone zu ziehen“ – wozu sogar weltberühmte Produzenten wie Danger Mouse neigen.

Ganz ohne Spotify geht’s dann aber doch nicht. Da, wo sich Postrockbands wie 65daysofstatic mithilfe weniger ausbeuterischer Plattformen wie Bandcamp fast ganz aus dem Neoliberalismus herausgezogen haben, zögert Georges Goerens: „Das macht in sehr politisierten Musikgenres vielleicht Sinn, aber da ich in einem Spannungsfeld zwischen Indie und Pop arbeitete, kann ich nicht auf Spotify verzichten. Ich glaube, dass ich im Endeffekt der Hauptverlierer bin, sollte ich vom Radar der Streamingdienste verschwinden. Trotzdem muss ich zugeben: Bandcamp hat mit ihren Bandcamp-Fridays nicht nur Bands was Gutes getan, sondern hat es auch geschafft, dass seither mehr Leute wissen, was Bandcamp überhaupt ist. Man kann auch mal der Gute bei der Sache sein – und jeden davon profitieren lassen. Ich bin unter anderem auch auf Spotify, weil es mir um eine gewisse Zugänglichkeit geht, aber auch darum, eine Öffentlichkeitsarbeit zu leisten. Klar braucht man im Kunstspektrum auch radikalere Kollektive wie beispielsweise Richtung22, die selbst dann meckern, wenn die Regierung auch mal was richtig macht – mein ethisch-politisches Grundgerüst bleibt im Vergleich diskreter, weswegen ich den Subtext zu meiner Musik eben in Interviews verdeutliche.“

Im Schaufenster performen – ein Release-Konzert als kulturpolitische Performance gegen Spotify
Im Schaufenster performen – ein Release-Konzert als kulturpolitische Performance gegen Spotify Foto: privat

Privilegierter unter den Privilegierten?

Teil dieses Subtexts, erklärt mir Goerges Goerens, sei eine behutsame, nuancierte Form des künstlerischen Aktivismus: „Nichts liegt mir ferner als politischer Aktivismus, der sich politische Brandherde zu eigen macht, um sich selbst zur Schau zu stellen. Klar sehe ich mich als Feminist und Antirassist. Aber bin ich als weißer, heterosexueller Mann – also als Privilegierter unter den Privilegierten – die richtige Person, um mich über verschiedene Themen auszulassen? Ist es nicht vielleicht eher meine Rolle, mit dem Schulkameraden, der von dieser für ihn zu progressiven Welt überfordert ist, zu reden? Ich habe jetzt ein Stipendium von cliche.lu bekommen und habe Lust, kritisch zu thematisieren, dass man jemanden wie mich für ein Migrationsprojekt gewählt hat. Als weißer privilegierter Künstler wäre es anmaßend, etwas über Black Lives Matter zu machen, ein paar Leidtragende, die dann betroffen in die Kamera blicken sollen, ablichten zu lassen und dazu im Hintergrund ein versöhnliches Lied zu trällern. Mich würde es vielmehr interessieren, Tabuthemen aufzugreifen – die jungen Luxemburger, die sechs Häuser erben und deren Leben finanziell sorglos ist oder eben dieser privilegierte Musiker, der das Fördergeld bekommt. Ich möchte dahin gehen, wo es weh tut – und wo es auch mir wehtun könnte.“

Sei kreativ, spiel mit anderen Musikern, spiel akustische Sets, bring Variation ins Spiel. Und spiele nicht zu oft. Ich versuche, Abwechslung ins Spiel zu bringen, aber auch mal abzusagen, und den Bookern, die hierzulande nur Seed to Tree oder De Läb kennen, auch mal andere Künstler*innen, an die ich glaube, zu empfehlen.

Georges Goerens, Singer & Songwriter

Wenn jeder meint, er könne nur über sich selbst und seinesgleichen schreiben oder singen – schaffen wir dann nicht eine Welt der Meinungs- und Kunstsegregation? „Mich nervt der rhetorische Maulkorb – manchmal habe ich den Eindruck, es würde uns mehr bringen, wenn wir zugeben, dass es rassistische Denkstrukturen gibt, die wir alle verinnerlicht haben. Uns einzugestehen, dass wir fehlerhaft sind, wäre eine gute Voraussetzung, um eine ordentliche Diskussionskultur zu schaffen.“

Auch die lokale Szene begutachtet er kritisch. Jetzt, wo Live-Auftritte wieder möglich sind und Festivals in Luxemburg wie Pilze aus dem Boden sprießen, stellt sich die Frage nach der Diversität und einer eventuellen Ermüdungserscheinung – viele Bands wird man in den kommenden Monaten überall und dauernd sehen können. „Ich finde die Szene durchaus divers. Aber ich finde auch, dass wir kritischer miteinander umgehen sollten. Der ewige Diskurs, dass wir alle grandios sind, und dass es einzig und allein strukturelle Probleme sind, die unseren internationalen Erfolg verhindern: Das ist schlichtweg falsch. Wären wir selbstkritischer, würden wir uns das auch eingestehen. Ich beziehe das durchaus auch auf mich selbst – und sage mir: Wenn meine Musik gut genug ist, dann kriege ich sie auch unter die Menschen.“

Kreativer sein – und kritischer

Ob er sich von den ewig gleichen Acts übersättigt fühle, hake ich nach. „Klar. Selbst die tollen Acts schaue ich mir maximal dreimal im Sommer an. Davon gibt es einige, aber auch nicht wahnsinnig viele. Die meisten sind hierzulande auch nicht ausreichend kreativ – viele spielen immer das gleiche Set und wundern sich, dass dann niemand mehr hinkommt. Sei kreativ, spiel mit anderen Musikern, spiel akustische Sets, bring Variation ins Spiel. Und spiele nicht zu oft. Ich versuche, Abwechslung ins Spiel zu bringen, aber auch mal abzusagen, und den Bookern, die hierzulande nur Seed to Tree oder De Läb kennen, auch mal andere Künstler*innen, an die ich glaube, zu empfehlen.“

Apropos Abwechslung ins Spiel bringen: Mit Schlagzeuger Niels Engel arbeitete Georges Goerens während einer Residenz in der Kufa an einem neuen Projekt. „Ein talentierter Musiker wie Nils Engel bricht meine gewohnte Kompositionsstrukturen auf. Das Ganze soll aber jetzt nicht zu einem Drittprojekt werden – u.a., weil du mal in einem Artikel meintest, meine Stimme hätte einen zu großen Wiedererkennungswert, sodass sich meine Projekte nicht genug unterscheiden würden (lacht). Zudem habe ich den Eindruck, ständig neue Projekte zu entwickeln, für die man dann bei music:LX anklopft, damit sie einen genau dort hinschicken, wo man mit einem anderen Projekt bereits vor drei Jahren war – ein Ausdruck zyklischen Scheiterns … Das Projekt läuft also unter dem Namen Bartleby Delicate und wird eine Zusammenarbeit mit meinem Lieblingsschlagzeuger Niels, der auch die Songs meiner neuen EP am kommenden Samstag auf dem Gudde-Wëllen-Festival begleiten wird.“