Corona im BildungssystemDas Wissen der Schüler und das Tracing in den Schulen – beides ist lückenhaft

Corona im Bildungssystem / Das Wissen der Schüler und das Tracing in den Schulen – beides ist lückenhaft
In den letzten Wochen der Sommerferien sind vom Bildungsministerium Nachhilfekurse in der Schule und autonomes Lernen zu Hause vorgesehen. Das trifft nicht jedermanns Geschmack.  Foto: dpa/Marijan Murat

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In den letzten Wochen der Sommerferien sollen autonomes Lernen im Netz und betreute Nachhilfekurse angeboten werden, um die Corona-bedingten Wissenslücken bei den Schülern von Grund- und Sekundarschule zu stopfen. Diese Ankündigung von Bildungsminister Claude Meisch brachte sofort die Gewerkschaft SEW/OGBL auf den Plan, die das Vorhaben massiv kritisierte. Meisch gab am Freitag zudem sämtliche aktuellen Zahlen zu infizierten Schülern und Klassen, die sich in Quarantäne befinden, bekannt.

Am Ende der Pressekonferenz am Freitag wünschte Bildungsminister Claude Meisch (DP) allen beteiligten Akteuren des Bildungswesens „erholsame Ferien“. Wenn man bedenkt, dass gerade in diesen Tagen die Zahl der Infizierten in den Schulen sowie jene der Klassen in Quarantäne recht hoch ist und die Lehrer nun auch noch gebeten werden, bis zum Anfang der Ferien Nachhilfekurse zu organisieren, dann klingen diese wohl lieb gemeinten Worte doch eher etwas sarkastisch.

Meisch hatte die Pressekonferenz sehr kurzfristig angekündigt. Thema sollten eigentlich die Nachhilfeprogramme sein, die während der Ferien und im ersten Trimester des nächsten Schuljahres angeboten werden. Dadurch soll den Schülern ermöglicht werden, Corona-bedingte Wissenslücken zu stopfen. Doch erst einmal fokussierte sich der Bildungsminister auf das aktuelle Geschehen in den Schulen und nannte – um niemandem etwas vorzuenthalten, wie er sagt – sämtliche aktuellen Infektions- und Quarantänezahlen, die an Luxemburger Grund- und Sekundarschulen bekannt sind. Doch mehr dazu später.

„Corona darf nicht zu einem dauerhaften Nachteil werden für die Schüler“, sagte Meisch. Der Lockdown habe zu einer großen Diskrepanz bei schulischen Fortschritten, Lebensrhythmus, sozialen Kontakten und Bewegung geführt. Deshalb habe man nun das Programm „Prett fir d’Rentrée“ ins Leben gerufen. Dieses Nachhilfeprogramm soll alle Schüler der Grund- und Sekundarschulen ansprechen, ihnen die Möglichkeit geben, von zu Hause aus Wissenslücken zu stopfen, und verhindern, dass diese während der zweimonatigen Sommerferien noch größer werden.

Dazu werden ab dem 24. August Lerneinheiten und thematische Dossiers in den Hauptfächern Sprachen und Mathematik online gestellt. Daran können die Schüler autonom oder mit ihren Eltern arbeiten. Die Korrekturen werden gleich mitgeliefert. „Das wollen wir nicht direkt anfangen“, so Meisch. „Nun sind erst einmal Ferien.“ Die Schüler sollen also Wissenslücken, die aufgrund von autonomem Lernen zu Hause während des Lockdowns entstanden sind, mit autonomem Lernen während der Ferien kompensieren.

Heftige Kritik der Gewerkschaft SEW/OGBL 

Schüler, denen das autonome Lernen weniger gut mundet oder deren Eltern nicht die Möglichkeit haben, ihnen dabei zu helfen, können sich zudem für Nachhilfestunden an den Schulen entscheiden. Diese werden vom 29. August bis zum 11. September für jeweils zwei Stunden am Tag angeboten. Dazu wurde an die Lehrer appelliert, sich zu melden. „Niemand wird dazu gezwungen“, sagte Meisch. Auch hätten sich bereits sehr viele Studenten gemeldet, die diese Aufgabe übernehmen wollen.

Direkt im Anschluss an die Pressekonferenz hat die Lehrergewerkschaft für die Grundschule SEW/OGBL auf das Vorhaben reagiert: „Nicht sinnvoll für die Kinder und respektlos gegenüber den Lehrkräften.“ Die Gewerkschaft kritisiert, dass die Lehrer dies nun in den letzten wenigen Tagen vor den Sommerferien organisieren müssen und am besten auch während der Schulferien unterrichten sollten. Für jedes Hauptfach sollen sie vier Kinder auswählen, die diese Nachhilfekurse belegen. Der SEW schlägt stattdessen eine Alternative vor: „Eine langfristig sinnvolle Hilfe für alle Schüler während des ganzen Schuljahres 2020/21, und dies während der regulären Schulzeit.“

Nachdem wir das Homeschooling organisiert haben, nachdem wir Schüler und Eltern über digitale Kanäle betreut haben, nachdem wir die ‚Rentrée‘ mit den A- und B-Gruppen organisiert haben, nachdem die Klassen dann wieder zusammengefügt wurden, ist nun Schluss.

SEW/OGBL, Kritik der Gewerkschaft an Meischs Plänen

Die Gewerkschaft wirft dem Bildungsminister vor, realitätsfremd zu handeln. Wertschätzung und Respekt vor den Lehrern und ihrer Arbeit sehe definitiv anders aus. „Die Lehrkräfte haben nun ein Recht auf Ferien. Die Lehrkräfte haben nun ein Recht aufs Abschalten.“ Und weiter: „Nachdem wir das Homeschooling organisiert haben, nachdem wir Schüler und Eltern über digitale Kanäle betreut haben, nachdem wir die ‚Rentrée‘ mit den A- und B-Gruppen organisiert haben, nachdem die Klassen dann wieder zusammengefügt wurden, ist nun Schluss“, monieren die Gewerkschafter. „Die Lehrer haben viele Überstunden geleistet, waren die ganze Zeit verfügbar, flexibel und haben einen enormen Einsatz gezeigt. Zudem ist die Vorbereitung auf das kommende Schuljahr unter den aktuellen Umständen nicht zu unterschätzen.“

Das Personal für die Hilfen während der regulären Schulzeit könne man laut SEW/OGBL aus dem Pulk sogenannter Experten entnehmen, „die wie Satelliten um die Grundschulen kreisen“, oft ohne direkten Kontakt zum Schüler. Diese könne man reintegrieren ohne zusätzliche Kosten, weil diese Leute eh beim Ministerium angestellt seien. Zum Schluss schreibt die Gewerkschaft: „Die Lehrer melden sich jetzt ab und sind für die ‚Rentrée‘ wieder da.“ Eine klare Absage demnach an die Bereitschaft, Nachhilfekurse während der Sommerferien zu organisieren.

Arbeitsmarkt und Berufsausbildung

Meisch möchte allerdings nicht nur während der Sommerferien Wissenslücken füllen, sondern auch in den ersten Wochen bzw. im ganzen ersten Trimester bis zu den Weihnachtsferien. In den Grundschulen seien diese Nachhilfen je nach Fall während und/oder außerhalb der regulären Schulzeit. Auch hier könnten Lehrer den Schülern auf freiwilliger Basis am Dienstag- und Donnerstagnachmittag sowie am Samstagvormittag Nachhilfe geben. Die Lehrer sollten ermitteln, wer solche Hilfen braucht. Im „Secondaire“ werden den Schulen im ersten Trimester 20 Prozent mehr Nachhilfestunden freigegeben.

Was dem Bildungsminister Sorgen bereitet, sind die Unsicherheiten, die zurzeit der Arbeitsmarkt biete. Deshalb rief Meisch die Schüler auf, noch eine Ausbildung dranzuhängen. „Lieber zwei Jahre mehr Ausbildung als ein Jahr vergeblich auf Arbeitssuche zu sein“, sagte er. Mehr Ausbildung erhöhe zudem die Chancen auf eine Stelle.

Ein weiteres Problem sei die aktuelle Lage bei der Berufsausbildung. „Am 1. Juli 2020 waren gegenüber dem 1. Juli 2019 nur 70 Prozent der Lehrstellen verfügbar.“ Viele Firmen seien in der Krise derart geschwächt worden, dass sie oft ihre Lehrlinge nicht mehr halten konnten. Deshalb habe man nun Beihilfen ins Leben gerufen, um jene Firmen, die Lehrlinge aufnehmen, zu vergüten. Diese würden einmalig ausbezahlt und lägen zwischen 1.500 und 2.500 Euro. Am meisten werde bei Firmen ausbezahlt, die einen Lehrling aufnehmen, der seine Stelle verloren hat. „Das Schlimmste wäre, dass wir ökonomisch gut aus der Krise kommen und dann die Fachkräfte fehlen“, sagte Meisch.

Bislang gab es keinen Fall, weder in einer Grund- noch in einer Sekundarschule, wo klar dokumentiert ist, dass sich ein Schüler in der Schule infiziert hat

Claude Meisch, Bildungsminister

Bevor Meisch zum eigentlichen Thema der Pressekonferenz zu sprechen kam, nannte er die Gesamtzahlen von Infektionen auf Luxemburger Schulen. In den Grundschulen seien aktuell 30 Schüler und vier Lehrer bzw. Erzieher von „Maisons relais“ Covid-positiv. 20 der 157 Grundschulen waren dadurch mit Corona-Fällen konfrontiert worden. Zurzeit befinden sich 15 Klassen in Quarantäne. „Bei der Quarantäne können sich die Zahlen schnell ändern“, sagte Meisch. Dies sei der Stand vom Donnerstagabend.

60 Schüler und sieben Lehrer infiziert

In den Sekundarschulen seien ebenfalls 30 Schüler sowie drei Lehrer mit dem Coronavirus infiziert. 13 der insgesamt 37 Lyzeen hätten demnach Covid-19-Fälle zu verzeichnen. Zwölf Klassen seien momentan in Quarantäne. Meisch probierte, die Zahlen zu relativieren: „Das heißt aber auch, dass es in 161 von 194 Schulen keinen Covid-19-Befund gibt.“ Bei diesen Zahlen sei es wichtig, zu wissen, ob sich die Schüler in der Schule oder woanders angesteckt haben, so Meisch. „Bislang gab es keinen Fall, weder in einer Grund- noch in einer Sekundarschule, wo klar dokumentiert ist, dass sich ein Schüler in der Schule infiziert hat.“ Dennoch gebe es zwei Fälle, bei denen es nicht ganz klar sei, wo sich die Schüler angesteckt haben, meinte Meisch. Er zitierte den Pädiater Dr. Fernand Pauly, der sagte, dass sich die Schüler eher anstecken würden, wenn sie nicht in die Schule gehen, weil sie dann Aktivitäten machen, bei denen sie einem größeren Risiko ausgesetzt seien, da sie sich nicht im geregelten Ablauf der Schule befinden würden.

„Aus den Infektionsfällen wollen wir für die nächste ‚Rentrée‘ eine Analyse machen“, so der Bildungsminister. Er habe die wissenschaftliche Taskforce von „Research Luxembourg“, die sich mit Covid-19 beschäftigt, beauftragt, sich dieser Aufgabe anzunehmen. „Somit werfen wir einen unabhängigen Blick darauf“, sagte er. „Nicht jeder glaubt mir, wenn ich sage, wir haben keine Kenntnisse über Infektionen in den Schulen.“ Auf diese Weise könne man das schwarz auf weiß dokumentieren. „Das sind wir den Schülern, Lehrern und Eltern schuldig.“ Diese Analysen brauche man auch, um die richtigen Entscheidungen zu treffen, wie die nächste „Rentrée“ geplant werden soll.

Wir brauchen aber, um wirkliche Schlüsse daraus zu ziehen und um zu lernen, mit dem Virus zu leben, eine eher analytische Herangehensweise, wo wir der Frage nachgehen, wo man sich bei welcher Aktivität und mit welchem Verhalten ansteckt

Claude Meisch, Bildungsminister

Das Problem an einer solchen Analyse bleibt jedoch die Tatsache, dass die Wissenschaftler, die diese machen, nur auf die Daten zurückgreifen können, die bislang erhoben wurden. Und diese Daten bestehen fast ausschließlich aus Tracing-Angaben. Das sind jene Aussagen, die Eltern, Schüler und Lehrer der „Santé“ mitgeteilt haben, um nachzukonstruieren, wo und mit wem sie 48 Stunden vor dem positiven Testergebnis bzw. den ersten Symptomen in Kontakt waren. Dass diese Erinnerungen oft subjektiv, lückenhaft oder gar falsch sein können, werden auch die Wissenschaftler nicht ausbügeln können. Ob die Auswertung dieser Analyse so zuverlässig ist, dass dies als Beweis für etwas gelten soll oder dass daraus die neue „Rentrée“ geplant werden kann, sollte ernsthaft angezweifelt werden.

Meisch selbst gab zudem zu, dass die aktuelle Herangehensweise der Regierung eine sehr statistische sei. Positive Fälle würden demnach in statistischen Kategorien erfasst, wie beispielsweise „Schüler“. „Wir brauchen aber, um wirkliche Schlüsse daraus zu ziehen und um zu lernen, mit dem Virus zu leben, eine eher analytische Herangehensweise, wo wir der Frage nachgehen, wo man sich bei welcher Aktivität und mit welchem Verhalten ansteckt.“ Es zähle also die Frage, wie es zu einer Infektion kommen konnte und wer wen infiziert hat. Dies sei relevanter als die Frage, wo man arbeitet oder ob man in die Schule geht, so Meisch.

Nomi
14. Juli 2020 - 13.55

D'Scho'ulen missten vun engem ExpertenTeam dirigei'ert ginn, an net vun engem Minister an net vun der Politik ! Politesch Ideologi'en hun Naischt an der Scho'ul verluer ! De Minister huet just dofir ze suergen dann d'Educatio'un genuch Suen vun der Regierung zur Verfuegung huet !

luc jung
11. Juli 2020 - 11.55

Die Konsequenz der politischen Verantwortung ist ein neuer Unterrichtsminister. Ob statitstisch oder nicht, der Unterrichtsminister entscheidet über das Vorgehen in den Schulen und Lyzeeen.