Bezirksgericht LuxemburgAlkohol, Fahrerflucht, Schadenersatz – Acht Verkehrsdelikte an einem Nachmittag

Bezirksgericht Luxemburg / Alkohol, Fahrerflucht, Schadenersatz – Acht Verkehrsdelikte an einem Nachmittag
Luxleaks, Luxair oder Bommeleeër: Im großen Verhandlungssaal des Bezirksgerichts wurden bislang die wichtigsten Fälle der Luxemburger Justizgeschichte verhandelt. Am Mittwoch standen acht Verkehrsdelikte im Mittelpunkt.  Foto: Editpress/Jean-Claude Ernst

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Es ist Ferienzeit in Luxemburg. Die meisten Unternehmen und Behörden fahren auf Sparflamme. Nur die Justiz schläft nicht. Am Bezirksgericht Luxemburg werden diese Woche vor allem Verkehrsdelikte verhandelt. Das Tageblatt hat sich unter die Zuschauer gemischt. 

Mittwoch, kurz vor 15 Uhr am Bezirksgericht Luxemburg. Im Zuschauerraum des großen Verhandlungssaales sitzen ein gutes Dutzend Leute. Sie wirken etwas verloren in dem imposanten Raum, in dem schon die größten Fälle der Luxemburger Justizgeschichte verhandelt wurden. Die Whistleblower im Luxleaks-Prozess kamen hier zur Sprache, Experten im Rahmen des Flugzeugabsturzes in Niederanven oder Gutachter nach der Zugkollision in Zoufftgen. Selten aber war der Saal so proppenvoll wie am ersten Tag des Bommeleeër-Prozesses im März 2013.

Im Gegensatz zum Prozess der Superlative aber wirkt Saal TL.1.10 an diesem Tag verlassen. Dennoch steht den Anwesenden die Anspannung regelrecht ins Gesicht geschrieben. Stumm blicken sie vor sich hin, die Angeklagten, von denen die meisten ohne juristischen Beistand erschienen sind. Bis zur Urteilsfindung gilt für sie die Unschuldsvermutung, auch wenn sie die Vorwürfe im Verlauf der Sitzung nicht abstreiten. Nervös aber wirken die meisten, seien es nun die Angeklagten oder die Handvoll Zeugen, die an diesem Tag vorgeladen wurden.

Vor dem Richterpult zieht sich ein Anwalt gerade seine Robe über, als eine Polizistin an ihm vorbei auf einen jungen Herrn auf der Bank unterhalb der großen Fenster deutet. Als Einziger hat sich der in T-Shirt und Khakihose gekleidete Mann auf der Anklagebank niedergelassen. Allerdings muss auch er zunächst noch auf den Zuschauerrängen Platz nehmen. „Bis dass die Richter Sie rufen“, erklärt die für Ordnung im Saal zuständige Beamtin. Der Betroffene hebt sich und schlendert in Richtung Besucherstühle, als sich die Tür rechts vom Richterpult öffnet.

Plötzlich herrscht etwas Aufregung im Saal. Bestimmten Schrittes geht der Richter zu seinem Platz, gefolgt vom Gerichtsschreiber. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft erhebt sich indessen von seinem Stuhl am linken Ende des Pults, während Polizistin die Zuschauer anweist, es ihm gleichzutun. „Die Sitzung ist eröffnet“, erklärt der Richter. Fragende Blicke schweifen durch den Saal, zögernd blicken manche um sich – nicht sicher, ob sie sich wieder setzen können. Erst als der Medienvertreter wieder sitzt, nimmt auch der Letzte auf den Zuschauerrängen wieder Platz.

„Ein Tag am Verkehrsgericht“

Eigentlich sollte die vorliegende Reportage „Ein Tag am Verkehrsgericht“ heißen. Streng genommen aber gibt es in Luxemburg keine Instanz mit diesem Namen. Vielmehr werden Verkehrsdelikte, deren vorgesehene Maximalstrafen fünf Jahre Haft nicht überschreiten, vor der „chambre correctionelle“ des Bezirksgerichts verhandelt. So werden auch an diesem Mittwoch vor der neunten Strafkammer wieder Angeklagte vorstellig, die laut Staatsanwaltschaft viel zu schnell oder ohne Führerschein unterwegs waren, Fahrerflucht begangen haben oder mit mehr als 1,2 Promille Alkohol im Blut am Steuer eines Wagens erwischt wurden.

Keinen Alkohol, sondern Marihuana soll der erste Angeklagte konsumiert haben, der vom Richter aufgerufen wird. Acht Fälle werden an diesem Nachmittag verhandelt. Zunächst aber will der Präsident der neunten Strafkammer prüfen, ob auch alle der Vorladung gefolgt sind. Was gleich beim ersten nicht der Fall ist. „Nicht anwesend“, bemerkt der Richter kurz und bittet den Vertreter der Staatsanwaltschaft ohne viel Aufhebens um ein neues Verhandlungsdatum. Der nächstmögliche Termin? „Erst am 8. Juni“, antwortet der Substitut und macht sich entsprechende Notizen.

Ähnlich verfahren Gericht und Staatsanwaltschaft mit einem jungen Mann, der sich gleich mehreren Vergehen und Delikten schuldig gemacht haben soll. Fahrerflucht wird ihm unter anderem vorgeworfen, ein Alkoholpegel über 1,2 Promille und die Beschädigung privaten Eigentums. Allerdings muss auch er sich auf den 8. Juni vertrösten: Ein wichtiger Zeuge hatte keine Vorladung erhalten. „Sie müssen im Juni wiederkommen“, verkündet der Richter. Wortlos schreitet der Angeklagte wieder von dannen und zieht sich achselzuckend die Jogginghose zurecht. „Bis dahin haben Sie Zeit, einen Anwalt zu kontaktieren, sollten Sie das denn wollen“, ruft ihm der Richter nach, was den jungen Mann aber nicht weiter zu kümmern scheint.

Tatsächlich handelt es sich nicht um einen gut gemeinten Ratschlag, sondern um ein Recht, das allen Beschuldigten zusteht. Genauso wie das Recht, eine Aussage zu tätigen, das Recht, diese zu verweigern und das Recht, zu schweigen, sollte man sich selbst belasten. Sechs Mal wiederholt der Richter seine Ansprache, bevor er jeden Einzelnen fragt, ob er die Vorwürfe versteht, die gegen ihn vorgebracht werden.

Rekordverdächtige Pegel

Beim Blick durch den Raum fällt auf: Ein Querschnitt durch die Luxemburger Bevölkerung hat sich an diesem Tag im Verhandlungssaal eingefunden. Neben Luxemburgern und Bürgern mit Migrationshintergrund wurden auch Grenzgänger aus Belgien und Deutschland vorgeladen sowie ein junger Mann chinesischer Herkunft, der sein Geld unter anderem mit Lieferungen für ein asiatisches Restaurant verdient. Er sei auf den Führerschein angewiesen, lässt die Küchenkraft via Dolmetscher mitteilen.

Genau deshalb könne er nicht nachvollziehen, wie der junge Mann so fahrlässig sein konnte, sich mit 2,29 Promille noch hinters Steuer zu setzen, fragt der Vertreter der Staatsanwaltschaft etwas ungläubig. Er habe nach zweieinhalb Flaschen Bier nur rasch etwas abholen wollen, antwortet der Angeklagte. Den Vorwurf der Fahrerflucht streitet er aber ab: Er habe nichts von einem Unfall mitbekommen, so der junge Mann. „Es hat auch stark geregnet an diesem Tag. Hätte ich den Unfall bemerkt, wäre ich auch sicher ausgestiegen“, fährt er fort. Was der vorgeladene Zeuge und geschädigte Fahrzeugbesitzer mit seiner Aussage in Zweifel zieht: Der Aufprall sei ziemlich stark gewesen. Außerdem habe der junge Mann kurz gezögert, bevor er weiterfuhr. Dennoch fordere er keinen Schadenersatz.

Ganz im Gegensatz zu einer jungen Frau, die seit einem Unfall im letzten Jahr unter Angstzuständen leidet. Der Angeklagte in ihrem Fall sei in einer Steigung mit seinem Wagen von seiner Fahrbahn abgekommen und plötzlich in ihren Wagen gekracht. Sie habe kaum Zeit gehabt, zu reagieren. Der Beschuldigte gibt denn auch zu, einen Fehler begangen zu haben: Der Unfall gehe klar auf seine Kappe. Zu schnell sei er aber nicht unterwegs gewesen, gibt er gleich mehrmals zu Protokoll. Was den Richter aber nicht weiter beeindruckt. Beharrlich fährt dieser in seiner Befragung fort, bis er auf den Schadenersatz zu sprechen kommt, den die Zeugin für sich beansprucht. „Dazu will ich dann doch lieber einen Anwalt befragen“, meint der Angeklagte plötzlich, womit die Verhandlung auf den 8. Juni vertagt wird.

Es fällt auf: Bis auf kleine Ausreden hier und da sind die meisten Beschuldigten einsichtig und geständig. „Wir hatten angestoßen und ich war so leichtsinnig, mich ans Steuer zu setzen“, meint etwa ein deutscher Profireiter. „Ich weiß, dass ich eine große Dummheit begangen habe“, entfährt es später einem weiteren Angeklagten, dem der Richter einen „rekordverdächtigen Alkoholpegel“ unterstellt. Tatsächlich wurden im Blut des älteren Staatsbeamten „en fin de carrière“, wie er selbst zu Protokoll gibt, 3,47 Promille Alkohol nachgewiesen. „Andere wären mit diesem Pegel schon längst im Krankenhaus“, so der Vertreter der Staatsanwaltschaft, der sich angesichts der hohen Werte einer Aussetzung der Strafe zur Bewährung widersetzt.

Eine Haftstrafe wird an diesem Nachmittag nur einmal ins Spiel gebracht. „Andernfalls wird es die Frau niemals lernen“, betont der Substitut im Fall einer Fahrerin, die bereits zum siebten Mal ohne Führerschein erwischt wurde. Ob der Richter dieser Strafforderung aber Folge leistet, wird sich am 9. März zeigen. Dann wissen auch die anderen Fahrer, ob und für wie lange sie ihren Führerschein abgeben müssen. Nur die junge Frau braucht um ihren Führerschein nicht zu bangen. Den hat sie bereits vor Jahren verloren.