Esch„Ein Hohn für unsere Gesellschaft“: Gemeinde verweigert Genehmigung für Essensausgabe an Bedürftige

Esch / „Ein Hohn für unsere Gesellschaft“: Gemeinde verweigert Genehmigung für Essensausgabe an Bedürftige
Dienstagabend auf dem Parkplatz an der Escher rue Helen Buchholtz Foto: Editpress/Alain Rischard

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Die Stadt Esch hat der privaten Hilfsorganisation „Street Angels“ verboten, am Dienstagabend Essen an die Ärmsten der Ärmsten zu verteilen. Sozialschöffe Bruno Cavaleiro (CSV) gab als Grund an, dass es sich bei der Verteilung um keine echte Hilfe handele. Es fehle ein pädagogisches Konzept. Außerdem verwies er auf bestehende Hilfsangebote. Die Betroffenen hatten für diese Erklärungen kein Verständnis.   

Dienstagabend, 18.00 Uhr, in der Helen-Buchholtz-Straße unweit des Escher Rathauses. Auf dem Parkplatz stehen zwei Fahrzeuge der privaten Hilfsorganisation „Street Angels“, darum herum haben sich rund 30 Menschen versammelt, darunter mehr als ein Dutzend Obdachloser. Sie sollten hier eigentlich gratis Essen erhalten. Daraus wurde aber nichts, denn gegen Mittag hatten die Verantwortlichen der Stadt Esch den „Street Angels“ mitgeteilt, dass sie keine Erlaubnis für die Verteilung erteilen würden. Der zuständige Sozialschöffe Bruno Cavaleiro (CSV) sowie der Verantwortliche des Escher Sozialdienstes Emmanuel Cornelius hatten eine Delegation der „Street Angels“ im Rathaus empfangen und ihnen ihre Entscheidung mitgeteilt (siehe auch Interview), nachdem die „Street Angels“ eine Woche zuvor ohne Genehmigung Essen verteilt hatten.   

Die Begründungen stießen dabei auf absolutes Unverständnis. „Sie boykottieren unsere Arbeit, weil wir keinen pädagogischen Ansatz haben“, sagt Patrizia Balestra, Vizepräsidentin der „Street Angels“, „aber sie hätten ja auch einen Streetworker herschicken können. Als wir das vorgeschlagen haben, sind sie regelrecht ‚aus der Këscht gesprongen‘“. Die „Street Angels“ sind eine private Initiative, eine Asbl. Privatleute sammeln Essen und verteilen es gratis an Bedürftige. Bisher war man in der Hauptstadt aktiv und auch dort gab es zu Beginn die gleichen Probleme wie nun in Esch. Mit den gleichen Argumenten wurden die Genehmigungen verweigert. Trotzdem ist man in der Stadt dreimal pro Woche aktiv. Montags, mittwochs und freitags verteilt man zwischen 50 und 60 Mahlzeiten pro Abend. Das geht ohne Genehmigung der Gemeinde, weil man die Verteilung auf einem Privatgrundstück organisiert.  

Große Unruhe über Maßnahmen

In Esch sollte die Premiere auf dem Parkplatz der rue Helen Buchholtz am Dienstagabend stattfinden. Einige Escher „Kunden“ und Freiwillige unter den „Street Angels“ hatten die Idee, die Aktivitäten auf die zweitgrößte Stadt des Landes auszuweiten. „Wir helfen den Leuten, ohne etwas von ihnen zu verlangen“, sagt einer von ihnen, „und da sagt dann der verantwortliche Schöffe: ‚Unsere Statistiken beweisen, dass unsere Politik gut ist‘. Menschen sind aber keine Zahl, keine Nummer. Man kann sie nicht so klassieren.“ Er will lieber anonym bleiben, wie die meisten der rund 30 Menschen an diesem Abend.      

Patrizia Balestra
Patrizia Balestra Foto: Editpress/Alain Rischard

Auch Patrizia Balestra kann mit den Argumenten, die sie von den Verantwortlichen der Gemeinde hörte, nichts anfangen. Für sie ist klar, dass es ihnen nur darum gehe, dass nicht noch mehr Obdachlose aus anderen Gemeinden nach Esch kommen: „Es wird immer auf die Strukturen verwiesen, die es im Land gibt. Aber gehen Sie sich diese Strukturen einmal anschauen. Das macht weder ein Politiker noch einer vom Sozialdienst ohne Vorankündigung.“ Was sie damit sagen will, das erklärt der Obdachlose Alex (Name von der Redaktion geändert): „In der Winteraktion (WAK) zu übernachten, ist im Grunde genommen menschenunwürdig. Man liegt in einem riesigen Schlafraum mit anderen Menschen, die ihr Leben auf der Straße verbringen, Alkohol- und Drogenkranke inklusive. Allein der Geruch und die Geräuschkulisse hält einem vom Schlafen ab. Dazu kommen dann Streitereien und Diebstähle.“   

Kein Wunder demnach, dass viele lieber draußen schlafen. Oder in verlassenen Häusern bzw. Autos oder in Zelten. In letzter Zeit ist die Polizei aber immer mehr gegen die Obdachlosen vorgegangen, berichtet Alex. So sei ein Auto, in dem zwei Obdachlose über ein Jahr lang übernachteten, kürzlich in Belval von der Polizei entfernt worden. Auch die Zelte der Unterschlupfsuchenden würden immer öfter von den Beamten einkassiert, zum Beispiel die unweit des Cactus-Parkplatzes in Lallingen.

Das sorgt für Unruhe, hinzu kommt in Esch die Unzufriedenheit über die Umstrukturierung der Streetworker und der Essensausgabe der „Stëmm vun der Strooss“. 50 Cents kostet dort ein Jeton für eine Mahlzeit, die Kapazität ist begrenzt. Auch gibt es nur mittags etwas. „Wo sollen die Obdachlosen das hernehmen, wenn nicht durch Betteln“, sagt Alex. Im Dezember hatte er mit Gleichgesinnten einen Protest vor dem Escher Rathaus organisiert. Weil die Streetworker der Gemeinde keine unverkauften Lebensmittel mehr verteilten. Und auch keine Essensmarken für die „Stëmm vun der Strooss“ oder Schlafsäcke. Der Grund, laut CSV-Bürgermeister Christian Weis: Das Angebot wurde von Menschen, die nicht in tiefster Not stecken, ausgenutzt.

Ein Teufelskreis

Alex berichtet vom Teufelskreis, der auch ihn erwischt hat. Er war selbstständig, hatte einen Unfall, verlor seine Sozialversicherung, dann die Wohnung. Zwar bezog er zunächst noch den Revis (Einkommen zur sozialen Eingliederung, Anm. d. Red.), doch damit eine neue Wohnung zu finden, sei unmöglich gewesen, und die Warteliste von Abrisud zu lang. Ohne feste Adresse gibt es aber nicht nur keine Arbeit, sondern auch keinen Revis, also kein Einkommen. Binnen kurzer Zeit war er, der im Gegensatz zu vielen Leidensgenossen keine Suchtprobleme hat, in die Obdachlosigkeit gerutscht. 

Bernard Schmit und Tammy Broers
Bernard Schmit und Tammy Broers Foto: Editpress/Alain Rischard

Mike hatte mehr Glück. Er besitzt eine Wohnung, die er vererbt bekam, und bezieht auch den Revis. Er ist am Dienstag zum Parkplatz gekommen, um bei der Verteilung mitzuhelfen. Weil er viele Freunde hier hat: „Das ist doch ein Hohn für unsere Gesellschaft, wenn es abgelehnt wird, dass jemand etwas zu essen bekommt.“ Er ärgert sich, dass es kein Verantwortlicher der Gemeinde für nötig befunden hat, an diesem Abend hierherzukommen und den Betroffenen die Entscheidung selbst zu erklären. 

Das Thema wird jedenfalls Bestandteil der nächsten Gemeinderatssitzung werden. „Ich werde es ansprechen“, sagt Bernard Schmit. Der ADR-Rat war von einem Parteikollegen vor Ort über die Aktion informiert worden und eilte flugs herbei. „In diesen Zeiten eine Aktion von Freiwilligen für die Schwächsten in der Gesellschaft zu verhindern, ist ein Hohn“, sagt Schmidt. So ähnlich formuliert es auch die Piraten-Rätin Tammy Broers, die ebenfalls vor Ort ist: „Ich habe viele Freunde in einer ähnlichen Situation. Es ist eine Sauerei. Auf der einen Seite wird das Betteln verboten. Und wenn die Bedürftigen dann wie hier etwas bekommen sollen, dann dürfen sie es nicht.“  

LINK Lesen Sie auch: Interview mit Sozialschöffe Bruno Cavaleiro

Prall gefüllt mit Spenden: der Lieferwagen der „Street Angels“
Prall gefüllt mit Spenden: der Lieferwagen der „Street Angels“ Foto: Editpress/Alain Rischard