Angesichts der drohenden Herabstufung der Kreditwürdigkeit quasi der gesamten Euro-Zone durch Standard & Poor’s wird der Ruf nach einer europäischen Ratingagentur wieder lauter. Die US-amerikanisch geprägten Noten-Verteiler seien in der Euro-Schuldenkrise „nicht nur ein neutrales Fieberthermometer, sondern sie treiben das Fieber mit nach oben“, sagte der Chef der deutschen Verbraucherzentrale, Gerd Billen, der Nachrichtenagentur dpa. Dies führe dazu, „dass demokratisch legitimierte Staaten von der Finanzindustrie vor sich hergetrieben werden“. Billen forderte daher eine europäische Alternative zu den drei großen Anbietern S&P, Moody’s und Fitch – eine Konkurrenz, „die unabhängig ist und verantwortlich handelt“.
Die Idee einer europäischen Rating-Agentur ist nicht neu. Sie wurde bereits vor geraumer Zeit von Luxemburgs Premierminister Jean-Claude Juncker lanciert. Anfang 2010 wurde sie vom deutschen Außenminister Guide Westerwelle und von der deutschen Kanzlerin Angela Merkel aufgegriffen. Auch in der EU-Kommission hat sie Anhänger. EU-Kommissar Michel Barnier hatte im April 2010 laut über die Möglichkeit der Schaffung einer europäischen Bewertungsagentur nachgedacht.
Konkrete Arbeiten
Konkret arbeitet derzeit die Unternehmensberatung Roland Berger aus eigener Initiative an einem solchen Modell, das als privat finanzierte Stiftung organisiert werden soll. „Die Gespräche für ein Konsortium laufen“, sagte eine Sprecherin am Mittwoch. Als Starttermin sei Ende März 2012 angepeilt. Träger sollen nach früheren Angaben rund 30 große europäische Finanzdienstleister sein, darunter Banken, Börsen und Fondsgesellschaften.
S&P hatte in den vergangenen Tagen das Rating der Euroländer, darunter auch Luxemburg und alle anderen Staaten mit der Bestnote „AAA“, unter verschärfte Beobachtung gestellt – damit steigt die Wahrscheinlichkeit einer Herabstufung in den kommenden Wochen. Auch der Rettungsfonds EFSF könnte sein Top-Bonität verlieren.
Zeitpunkt der Bekanntgabe kritisiert
Kritisiert wurde der Zeitpunkt der Mitteilung wenige Tage vor einem weiteren Gipfel zur Euro-Rettung, doch die Finanzmärkte reagierten im Gegensatz zu früheren Ankündigungen von S&P, Moody’s oder Fitch unaufgeregt. S&P-Europa-Chefanalyst Moritz Kraemer sagte, entscheidend für die weitere Entwicklung der Ratings sei, dass das Treffen der Staats- und Regierungschef der EU am Donnerstag und Freitag in Brüssel „glaubwürdige und solide Lösungen“ bringe.
Die gewinnorientierten Ratingagenturen stehen seit der Finanzkrise 2008 in der Kritik, weil sie riskante Wertpapiere, in denen zum Beispiel faule Immobilienkredite gebündelt waren, teilweise mit Bestnoten bewertet hatten. In der Schuldenkrise basieren die Benotungen einzelner Länder oder Banken häufig auf schon bekannten Daten, lösen aber zum Veröffentlichungszeitpunkt an den Märkten erneute Verunsicherung aus.
Zudem hatte bei S&P vor einigen Wochen eine Computerpanne für Verwirrung gesorgt.
De Maart

Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können