Besser Arzt als Smartwatch: Ein Luxemburger Experte über die Herzerkrankung Vorhofflimmern

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Warum diese Erkrankung so gefährlich ist und warum man lieber zum Arzt gehen sollte, statt eine teure Smartwatch zu kaufen, hat unsere Korrespondentin Anke Eisfeld den Kardiologen Dr. Jean Beissel vom Luxemburger Krankenhaus CHL gefragt

Vorhofflimmern ist eine der häufigsten Herzrhythmusstörungen. Doch längst nicht alle Betroffenen merken, wenn das Herz aus dem Takt gerät. Lesen Sie zum Thema auch unsere Tipps „So beugt man Herz-Kreislauf-Erkrankungen vor“. 

Tageblatt: Herz-Kreislauf- Erkrankungen sind in Luxemburg für fast ein Drittel aller Todesfälle verantwortlich und auch die Anzahl der Patienten mit Herzrhythmusstörungen nimmt zu. Woran liegt das?

Dr. Jean Beissel: Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind die häufigste Todesursache weltweit, das heißt 17,5 Millionen Todesfälle aufgrund von kardiovaskulären Erkrankungen. Anders formuliert: Einer von zehn Todesfällen im Alter von 30 bis 70 Jahren beruht auf einer Herz-Kreislauf-Erkrankung. Nach der aktuellen Datenlage stehen 32 Prozent der Todesfälle in Luxemburg im Zusammenhang mit einer kardiovaskulären Erkrankung. Anhand der Statistik kann man jedoch nicht eindeutig sagen, ob die Häufigkeit der Herzrhythmusstörungen zugenommen hat. Sicher ist aber, dass das Altern der Bevölkerung eine Zunahme an Herzrhythmusstörungen erklären kann, da das Alter nun tatsächlich einer der Hauptrisikofaktoren für das Auftreten von Vorhofflimmern, der häufigsten Herzrythmusstörung, ist. Und zugleich sind die Diagnoseverfahren in den letzten Jahren erheblich verbessert worden und haben so dazu beigetragen, dass man die Häufigkeit und die Risiken des Vorhofflimmerns, das noch vor einigen Jahren als eher gutartiges Krankheitsbild eingestuft wurde, besser einschätzen kann.

An welchen Symptomen kann man Herzrhythmusstörungen, speziell das Vorhofflimmern, erkennen?

Vorhofflimmern, auch als absolute Arrhythmie bezeichnet, ist eine Herzrhythmusstörung mit ungeordneter Tätigkeit der Herzvorhöfe. Gebräuchliche Abkürzungen sind AF oder AFib („Atrial fibrillation“). Das Vorhofflimmern zeigt sich durch eine unregelmäßige, manchmal schnelle Herzfrequenz. Es kann anfallsartig oder permanent auftreten. Das Vorhofflimmern kann sich in spürbarem Herzflattern beim Patienten bemerkbar machen, aber auch durch ungewöhnliche Atemlosigkeit bei Anstrengungen, Synkopen, also einem Kreislaufkollaps, Erschöpfung oder Verwirrung. Bei ungefähr 70 Prozent der Patienten ist das Vorhofflimmern asymptomatisch. In jedem Fall birgt es aber das gleiche Risiko für einen Schlaganfall. Die Diagnose wird mittels EKG (Elektrokardiogramm) vom Arzt gestellt, jedoch kann ein unregelmäßiger Puls auch vom Patienten selber festgestellt werden.

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Welche Risikofaktoren begünstigen Vorhofflimmern?

Etwa 20-30 Prozent der Patienten leiden an einer koronaren Herzkrankheit, ebenfalls etwa 20-30% an einer arteriellen Hypertonie (Bluthochdruck), knapp 20 Prozent an einem Herzklappenfehler (wie einer schweren Mitralklappenstenose) und etwa 15 Prozent an einer Herzmuskelerkrankung. Die häufigste extrakardiale Ursache, bei etwa 0,5-3 Prozent der Patienten, ist eine manifeste oder auch nur latente Überfunktion der Schilddrüse (Hyperthyreose) mit einem fünf- bis sechsfach erhöhten Risiko für Vorhofflimmern. Vorhofflimmern kann ohne erkennbare Ursache (idiopathisch) oder ohne erkennbare Grundkrankheit (lone atrial fibrillation) auftreten.

Warum ist Vorhofflimmern so gefährlich?

Das Hauptrisiko ist das Entstehen eines Schlaganfalls, der aus einer kardialen Embolie entstehen kann. Einer von sechs Schlaganfällen kann auf ein Vorhofflimmern zurückgeführt werden – bei Patienten, die älter als 80 Jahre sind, sogar einer von drei. Dabei handelt es sich um das Loslösen von kleinen Blutgerinnseln aus dem linken Vorhof mit nachfolgender Verstopfung von Gehirn-Arterien mit der Folge eines Schlaganfalls. Bei chronischem Vorhofflimmern besteht auf Dauer das Risiko einer Herzinsuffizienz.

Wie kann eine Diagnose gestellt werden?

Patienten mit spezifischen Risikofaktoren für Vorhofflimmern, d.h. sie sind älter als 65 Jahre, haben Bluthochdruck oder leiden an koronarer Herzkrankheit (KHK), sollten ihren Puls einmal pro Woche messen. Im Zweifelsfall kann der Kardiologe auch ein Holter-EKG, also ein Langzeit-EKG über 24 Stunden oder länger, anordnen. Ebenso ist es möglich, ein kleines Implantat, einen sogenannten „Event Recorder“, unter die Haut zu setzen, der dann bis zu drei Jahre EKG-Daten aufnehmen kann.

Welche Behandlungsmethoden gibt es?

Die Behandlung unterscheidet sich dann unter bestimmten Bedingungen: Wenn das Vorhofflimmern schlecht toleriert wird, kann der Herzrythmus durch eine sogenannte Kardioversion – das ist ein kleiner elektrischer Schock – wiederhergestellt werden. Tritt das Flimmern jedoch nur zeitweise auf oder wird gut toleriert, genügt eine medikamentöse Behandlung, um die Herzfrequenz zu reduzieren oder um das Vorhofflimmern zu mindern und folglich einen regulären Rhythmus beizubehalten.

Bei Versagen der medikamentösen Behandlung kann eine Verödung im Bereich der Lungenvenen im linken Vorhof (Katheter-Ablation) mit einer 60- bis 70-prozentigen Langzeiterfolgsquote durchgeführt werden. In allen Fällen sollten Patienten, die älter als 60 Jahre sind, blutverdünnende Medikamente einnehmen, um das Risiko für einen Hirnschlag zu minimalisieren. In den meisten Fällen müssen diese Medikamente ein Leben lang eingenommen werden.

Immer mehr Menschen tragen Fitness-Tracker und Smartwatches, die beispielsweise Puls- und EKG-Werte erheben können. Wie sinnvoll ist das Tragen solcher Uhren zum Erkennen von Herz-Kreislauf-Erkrankungen?

Die Menschen, die befürchten, dass sie Vorhofflimmern haben könnten oder zur Risikogruppe gehören, fragen sich, inwiefern die Smartphone-Apps helfen, den Herzrhythmus zu überwachen. Zwar helfen sie nicht, Vorhofflimmern zu erkennen, aber sie können zumindest Unregelmäßigkeiten des Herzrhythmus erkennen. Das führt aber auch oft zu unnötigen und kostspieligen kardiologischen Untersuchungen. Am besten geht man im Zweifelsfall gleich zum Arzt, bevor man sich einer unkontrollierten Selbstuntersuchung unterzieht, die vielleicht gar nicht nötig ist.

Gerner
7. November 2018 - 20.32

Der Herr scheint um seinen Job zu fürchten. Die Uhr kontrolliert 24/7/365 mein Herz. Der Arzt für ein paar Minuten und für denselben Preis.