KinderwissenDie kleine Wörterkiste 11

Kinderwissen / Die kleine Wörterkiste 11
Der Klammerbeutel diente früher, als das Mehl in der Mühle gemahlen wurde, als Sieb Foto: Editpress-Archiv/Anne Lommel

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Sprichwörter sind zusammengefasste Volksweisheit. In einem knappen Satz werden langjährige Lebenserfahrungen ausgedrückt. Für besonders treffende und ulkige Formen interessierte sich Elke Bunge.

Mein lieber Herr Gesangsverein

Marc hat zum Geburtstag ein neues Fahrrad bekommen, damit kleine Touren zu machen, bereitet ihm viel Spaß. Heute ist er sogar bis zu seiner Oma und seinem Opa damit geradelt. Stolz steht er vor deren Haustür und klingelt. Als seine Oma die Tür öffnet, sagt sie zu Marc: „Mein lieber Herr Gesangsverein, wie kommst du denn hierher?“ Marc wundert sich ein wenig über den Ausdruck und fragt sich, was sein Besuch mit einem Gesangsverein zu tun hat. Aber auf der anderen Seite ist er auch mächtig stolz und sagt, dass er mit seinem neuen Rad ganz allein hierhergefahren ist.

Doch woher kommt jetzt eigentlich dieses Sprichwort von Marcs Oma und was meint es? Den Ausdruck verwendet man, wenn jemand seine Verwunderung ausdrücken möchte. Die Oma von Marc war völlig erstaunt, denn bisher ist Marc nie alleine bei ihnen vorbeigekommen.

Die Herkunft des Ausdrucks „Mein lieber Herr Gesangsverein“ hat nichts mit einem Chor oder auch nur Musik zu tun. Die Wurzel dieses Sprichworts findet man bei dem Wort „Herr“. Das Sprichwort lässt sich auf das Alte Testament zurückführen, und zwar auf die Zehn Gebote. Das zweite Gebot lautet: Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht missbrauchen. Die Menschen versuchten also, den Namen Gottes nicht zu leichtfertig zu benutzen und ließen sich etwas einfallen: Wenn man an den Ausdruck „Mein lieber Herr“ das Wort „Gesangsverein“ anhängt, vermeidet man eine Gotteslästerung. Übrigens, Opa hat noch schnell zum Telefon gegriffen und Marcs Eltern Bescheid gegeben, dass Marc gut bei ihnen angekommen ist und sie jetzt erst mal ein Stück Kuchen essen werden, bevor er wieder zurückradelt.

Mit dem Klammerbeutel gepudert

Arnold und sein jüngerer Bruder Leo spielen im Garten, doch gerade sind ihnen die Ideen ausgegangen, was sie noch machen können. Da hat Leo den Einfall, dass sein Bruder doch auf den Kirschbaum klettern könnte, denn ganz weit oben hängen noch schöne rote Früchte, an die die Eltern der beiden beim Ernten nicht herangekommen sind. Bei der Frage, ob Arnold die Kirschen dort oben einsammeln könnte, erwidert Arnold erstaunt: „Mensch Leo, da komme ich doch niemals ran, dich hat man wohl mit dem Klammerbeutel gepudert!“ Leo ist verdutzt und versteht nicht, was der Kirschbaum mit einem Klammerbeutel zu tun hat und was das überhaupt sei.

Wenn jemand eine dumme Aussage macht oder sich leichtsinnig verhält, sagt man dieser Person gern nach, sie sei mit dem Klammerbeutel gepudert. Der Klammerbeutel war in vergangenen Zeiten ein wichtiger Gegenstand der Müllersleute. Als das Korn noch von Hand gemahlen wurde, kam das Mahlgut nach dem Mahlvorgang über einen Einfülltrichter, die Schütte, in einen daran geklemmten Sack. Dieser Sack hieß Klammerbeutel und dieser wurde, um das feine Mehl herauszusieben, gerüttelt. Der Klammerbeutel diente also als Sieb. Doch wenn der Müller diesen Vorgang nicht abwarten konnte und den Klammerbeutel zu früh öffnete, kam ihm eine dicke Mehlwolke entgegen. Damit war der Müller weiß gepudert. Das sah vielleicht ein bisschen blöd aus, aber das war nicht das alleinige Problem. Der feinverteilte Mehlstaub in der Mühle konnte sich auch noch entzünden! Das nennt man Mehlstaubexplosion. Wie jede organische Substanz ist Mehl, genauso wie Kakao, Zucker oder Holz, brennbar. In seiner normalen Struktur brennt Mehl nur schwer, ist es jedoch als feiner Staub in der Luft verteilt, hat das Mehl eine riesige Oberfläche. Ein kleiner Funke im Raum reicht aus, um eine explosionsartige Verbrennung auszulösen, die jeder Müller und auch Bäcker fürchtet.

Übrigens: Die Mehlstaubexplosion wird auch heute noch gefürchtet. Im Jahr 1979 kam es in der Rolandmühle im Hafen von Bremen zu einem schweren Unglück. Es war die schwerste Detonation seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, bei der 14 Menschen ums Leben kamen, ausgelöst einzig durch die Explosion von Mehl!

Vor Neid platzen?

Die Eltern von Mia kommen abends von einer Einladung bei ihren Freunden im neuen Haus zurück. Mia konnte noch nicht einschlafen, und so hört sie ihre Mutter im Flur sagen: „Bei diesem tollen neuen Haus von Serge und Inès könnte ich vor Neid platzten!“ Ihr Vater versucht, sie zu besänftigen, indem er meint, dass sie es hier zu Hause doch auch sehr schön haben. Ihre Mutter schnieft ein bisschen, zieht Mantel und Schuhe aus und dann setzen beide sich noch einen Moment ins Wohnzimmer, bevor sie auch zu Bett gehen.

Mia mag ihr Zuhause, weiß aber auch, dass es in ihrem alten Haus immer etwas zu werkeln gibt, da kann sie ihre Mutter schon ganz gut verstehen. Aber was sie nicht versteht: Wieso könnte ihre Mutter vor Neid platzen?

Der Ausdruck geht auf den römischen Dichter Phaedrus zurück. In seiner Fabel „Rana rupta et bos“, was übersetzt heißt „der geborstene Frosch und der Ochse“, erzählt Phaedrus die Geschichte eines Frosches, der einen Ochsen traf. Als er ihn sah, war er so neidisch auf dessen Größe, dass er sich immer mehr aufplusterte und immer mehr Luft in seine Backen pumpte und hoffte, den Umfang des Rindes zu erreichen. Die Größe des Ochsen erreichte er natürlich nie, doch in der alten Fabel von Phaedrus platzte der Frosch irgendwann. Der römische Dichter wollte mit seiner Geschichte den Menschen schon damals etwas Wichtiges mitteilen. Es will mit seiner Fabel sagen, dass man zufrieden sein sollte mit dem, was man hat und nicht neidisch zu sein auf andere, die vielleicht mehr besitzen. Das gilt für die Körpergröße ebenso wie für den Reichtum.