Ganz nonchalant mit 90 durch die Baustelle

Ganz nonchalant mit 90 durch die Baustelle
(Tageblatt/Isabella Finzi)

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Der Straßenverkehr im Allgemeinen sowie das Verhalten im Straßenverkehr im Besonderen sind in Luxemburg immer wieder Anlass für Diskussionen. Einige Betrachtungen dazu, alle illustriert anhand der Dauerbaustelle auf der Autobahn A4 Luxemburg - Esch.

Diese Baustelle – die Autobahn-Tankstelle vom Kreuz Steinbrücken wird nach „hinten“ in Richtung Luxemburg-Stadt verlegt – als solche sorgt ebenfalls für sehr viele Diskussionen. Die Pannenspur fällt auf diesem Teilstück weg, die rechte Fahrspur ist „normal“ breit, die Überholspur ist derweil eingeengt. Die Geschwindigkeit im Baustellenbereich ist auf 70 km/h begrenzt, wird bereits ab der Anhöhe hinter Leudelingen auf 90 km/h begrenzt.

De la vitesse et de la maîtrise

Im „Code de la route“ heißt es im Kapitel „De la vitesse et de la maîtrise“ im allerersten Satz (Art.139) ganz allgemein: „Il est interdit de conduire un véhicule ou un animal à une vitesse dangereuse selon les circonstances (…).“ Erst dann werden die verschiedenen erlaubten Maximalgeschwindigkeiten definiert.

Und im Art.140 heißt es, seit einem großherzoglichen Reglement vom 23. Juli 1963 übrigens: „Tout conducteur doit conduire de façon à rester constamment maître de son véhicule ou de ses animaux. Il doit notamment tenir compte de la disposition des lieux (…)“

Ob mit 110 km/h oder mehr durch die Baustelle auf der A4 fahren diesen gesetzlichen Bestimmungen entspricht? Die Antwort auf diese Frage sei an dieser Stelle jedem selbst überlassen. clc

Beide Begrenzungen stoßen bei vielen Autofahrern auf Unverständnis. Besonders die 70 km/h, „90 sind doch da problemlos möglich“, wie man vielerorts immer wieder zu hören bekommt. Davon mal abgesehen, dass sich die Baustelleneinfahrt für die Laster relativ früh auf der rechten Fahrspur befindet und die Lkws hier auf deutlich weniger als 70 abbremsen müssen, entsprechen beide Geschwindigkeitsbegrenzungen ganz einfach den Bestimmungen des aktuell gültigen „Code de la route“.

Unverfrorenheit? Notwehr?

Im Kapitel „De la vitesse et de la maîtrise“ heißt es betreffend fixe Baustellen auf Autobahnen, dass hier die maximale Geschwindigkeit auf 70 km/h zu begrenzen sei. Diese Regelung gilt seit dem 26. Mai 2009. Weiter heißt es, dass „vor Abschnitten, die solchen Geschwindigkeitsbegrenzungen unterliegen, in adäquater Entfernung vorher die maximal erlaubte Höchstgeschwindigkeit progressiv herabgesetzt wird“. Eine Diskussion, ob diese Begrenzung gemäß großherzoglichem Reglement vom 26. Mai 2009 wirklich sinnvoll ist, kann natürlich geführt werden. Nur: So lange diskutiert wird, und ehe es eine mögliche Änderung gäbe, ist dieses Reglement rechtskräftig.

Und wird deshalb auch mit einem rot umrandeten Schild angezeigt, einem Gebotsschild. Mehr als 90, und in der Baustelle mehr als 70 km/h, darf nicht gefahren werden. Dass nahezu jeder Autofahrer sich tagtäglich darüber hinwegsetzt – fünf Minuten Beobachtung reichen, um diese These zu überprüfen –, kann man gelinde ausgedrückt noch als „Nonchalance“ bezeichnen. Eigentlich könnte man aber auch das Wort „Unverfrorenheit“ benutzen.

Oder aber es als „Notwehr“ bezeichnen, für eine gewisse Kategorie der Verkehrsteilnehmer: die nämlich, die sich an das Gesetz halten wollen, ebenfalls aber mindestens mit 90 km/h durch die Baustelle fahren – um sich und andere nicht zu gefährden und um Auffahrunfälle zu vermeiden.

Das sagen Straßenbauverwaltung und Polizei

Auf Nachfrage wurde uns bei der Straßenbauverwaltung erklärt, dass man sich an den „Code de la route“ halten müsse und kaum Ermessensspielraum habe: „Außer eventuell, wenn wirklich nur die Pannenspur abgesperrt ist und sonst gar nichts, da haben wir einen kleinen Freiraum“, so der „Ponts et chaussées“-Sprecher. Wegen der Baustelle auf der A4 sei auch über Tempo 90 diskutiert worden, letztendlich seien dennoch die 70 km/h festgelegt worden.

Auf Nachfrage bei der Polizei, ob in dieser Baustelle regelmäßig kontrolliert werde und wie oft bereits Temposünder erwischt worden seien, kamen u.a. folgende Aussagen: „Reguläre Kontrollen werden nicht statistisch erfasst und ausgewertet; das passiert nur bei von der Staatsanwaltschaft angeordneten Verkehrskontrollen, und die betreffen meistens Alkohol-Kontrollen – Geschwindigkeits-Kontrollen in großem Maßstab werden seltener angeordnet.“ Reguläre Kontrollen würden regelmäßig von den zuständigen Einheiten durchgeführt, so der Polizei-Sprecher weiter, im Rahmen der personellen Möglichkeiten. Und unter Berücksichtigung anderer Umstände: „Die Autobahnpolizei muss ja auch Unfälle, Pannen etc. absichern. Macht eine Patrouille gerade eine Kontrolle und ein Unfall wird gemeldet, muss sie die Kontrolle abbrechen. Das passiert oft. Ebenso wie der Fall, dass bei einem der ersten ‚Erwischten‘ auch noch Papiere nicht in Ordnung sind oder eine andere Unregelmäßigkeit besteht. Dann muss dieser Fahrer von der Autobahn herunter begleitet werden, und die Kontrolle hat möglicherweise nur ein paar Minuten gedauert.“ In einem Punkt ist die Polizei-Pressestelle aber eindeutig: „Die Baustelle auf der A4 und auch diejenige auf der A13, in Höhe des Logistik-Standorts, werden regelmäßig kontrolliert.“

Rechts überholen, Abstand halten …

Im Gespräch mit dem Sprecher der Straßenbauverwaltung meinte dieser übrigens, dass sich am Beispiel der Baustelle auf der A4 auch andere, problematische Verhaltensweisen im Straßenverkehr aufzeigen ließen: „Rechts überholen, unnötig lange auf der Überholspur bleiben, Spurwechsel, Drängeln und Nicht-Einhalten des Sicherheitsabstands.“ Zum Thema Überholen gab es vor Kurzem auch bereits eine parlamentarische Frage (Link).

Auch hier reichen fünf Minuten Beobachtung locker, um diese Thesen zu überprüfen. Und so ist es auch kein Wunder, dass unsere Fotografin während der halben Stunde, die sie – als Beifahrerin natürlich, und mit maximal 70 km/h – benötigte, um diesen Artikel zu illustrieren, die erwähnten Verhaltensweisen vor die Linse bekam. Die „Beweis-Bilder“ in unserer Fotostrecke wurden übrigens an einem Samstagnachmittag gemacht.