„Die ganze Welt soll sehen, was geschehen ist“

„Die ganze Welt soll sehen, was geschehen ist“
(Angelo Carconi)

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Italiens Regierungschef Renzi will Opfer der Flüchtlingskatastrophe im April vom Meeresgrund bergen lassen und damit die EU-Länder aufrütteln, die sich gegen eine Quote sperren.

Italien werde die Leichen von hunderten Flüchtlingen bergen, die im April nach dem Kentern eines Boots im Mittelmeer ums Leben gekommen waren, kündigte Renzi am Dienstagabend in einem Fernsehinterview an. „Wir werden auf den Meeresgrund gehen und dieses Boot bergen“, sagte Renzi. „Dort unten sind 500 bis 600 Leichen. Die ganze Welt soll sehen, was geschehen ist“, fügte der Ministerpräsident hinzu. Niemand solle mehr so tun können, als wisse er von nichts. Renzi wandte sich damit gegen diejenigen EU-Länder, die eine Quotenregelung zur Verteilung der Mittelmeer-Flüchtlinge ablehnen.

Solidaritätsaufruf
Der für Migration zuständige EU-Kommissar, Dimitris Avramopoulos und mehrere EU-Abgeordnete haben die Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu mehr Solidarität bei der Aufnahme von Flüchtlingen aufgefordert. Dazu müsse der in Artikel 78 Absatz 3 des EU-Vertrags vorgesehene Notfallmechanismus aktiviert werden, sagte Avramopoulos am Mittwoch vor dem Europaparlament in Straßburg. Dieser Artikel ermöglicht es der Europäischen Union, Menschen in Notsituationen aufzunehmen.

Die Kommission werde insgesamt 50 Millionen Euro bereitstellen, um die Mitgliedstaaten bei der Aufnahme der Flüchtlinge zu unterstützen, kündigte Avramopoulos an. Nach Angaben des Vize-Präsidenten der Kommission, Frans Timmermans, geht es um die Umsiedlung von 20.000 besonders schutzbedürftigen Menschen, die sich in einer „extremen Krisensituation“ befinden. Sie sollten auf die Mitgliedstaaten verteilt werden. „Hier werden wir sehen, was EU-Solidarität bedeutet“, sagte Timmermans.
(AFP)

Die Bergung des vor der libyschen Küste gesunkenen Bootes werde voraussichtlich etwa 15 bis 20 Millionen Euro kosten, sagte Renzi. „Ich hoffe, die Europäische Union bezahlt, wenn nicht, tun wir es“, fügte der italienische Regierungschef hinzu.

Passagiere hatten keine Chance

Das mit mehr als 700 Männern, Frauen und Kindern besetzte Flüchtlingsboot war im April gesunken. Die meisten Insassen hatten keine Chance, weil sie in den Unterdecks des Schiffes eingeschlossen waren. Es war eines der bisher schwersten Flüchtlingsunglücke auf dem Mittelmeer und hatte erneut ein Schlaglicht auf die Flüchtlingskrise gelenkt.

Die EU hatte daraufhin einen Sondergipfel angesetzt. In der vergangenen Woche stellte die EU-Kommission eine neue Flüchtlingsstrategie vor, über die die Staats- und Regierungschefs der EU bei einem Gipfeltreffen im Juni entscheiden wollen. Mehrere Länder, unter ihnen Frankreich, Spanien und Ungarn, lehnen die Aufteilung der Flüchtlinge nach einem Quotensystem bisher ab. Die Quoten sollen die Bevölkerungszahl, das Bruttoinlandsprodukt und die Arbeitslosigkeit in den einzelnen Staaten berücksichtigen. Für die Umverteilung kämen Menschen infrage, die schutzbedürftig sind. Die endgültige Entscheidung über ihren Asylantrag würde aber das Aufnahmeland treffen.

Luxemburg müsste 0,85 Prozent aufnehmen

Deutschland müsste demnach mit 18 Prozent der Flüchtlinge die meisten Menschen aufnehmen, gefolgt von Frankreich (14 Prozent), Italien (zwölf Prozent) und Spanien (neun Prozent). Belgien müsste 2,91 Prozent der Flüchtlinge aufnehmen und Luxemburg 0,85 Prozent. Großbritannien, Irland und Dänemark sind davon nicht betroffen, sie haben in Einwanderungsfragen eine Ausnahmeregelung ausgehandelt.

Die EU will außerdem Länder außerhalb Europas entlasten, die vielen Flüchtlingen etwa aus dem syrischen Bürgerkrieg Zuflucht gewährt haben. Für die geplante Aufnahme von rund 20 000 Flüchtlingen schlägt die EU-Kommission ebenfalls Quoten vor, diesmal zur Verteilung auf alle 28 EU-Staaten. Demnach würden auf Deutschland 3086 Personen oder 15,43 Prozent entfallen. Frankreich stünde wiederum an zweiter Stelle mit 2375 Menschen (11,87 Prozent). Für Großbritannien empfiehlt die EU-Kommission 2309 Personen (11,54 Prozent). Hier müsste Luxemburg 0,74 Prozent aufnehmen. Das wären 147 Personen. Belgien müsste 490 Personen (2,45 Prozent) aufnehmen.

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