„Mit Ihnen kann man wunderbar streiten“

„Mit Ihnen kann man wunderbar streiten“
(Reuters)

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Mit einem leidenschaftlichen Appell für ein föderales Europa hat sich Daniel Cohn-Bendit am Mittwoch vom Europaparlament verabschiedet.

„Für Europa brauchen wir eine Vision, nicht nur Kompromisse“, forderte Cohn-Bendit, der bei der nächsten Europawahl Ende Mai nicht mehr antritt. Wer heute die Rückkehr zur Souveränität der Nationalstaaten fordere, müsse wissen, dass diese durch die Globalisierung ausgehebelt worden sei, betonte der 69-Jährige Grüne während einer Debatte zum 100. Jahrestag des Beginns des Ersten Weltkrieges.

Kein einziges europäisches Land könne sich heute auf nationaler Ebene den Herausforderungen der Zukunft stellen, mahnte Cohn-Bendit. Und keines werde in 30 Jahren mehr Mitglied in der G-8-Gruppe der mächtigsten Wirtschaftsnationen sein. Nur als föderales Modell könne sich die EU in der Welt behaupten.

Hegemonie

An die Abgeordneten des im Mai neu zu wählenden Europaparlaments appellierte Cohn-Bendit, sich vorrangig für Europa einzusetzen und nicht für nationale Interessen. Bisher seien noch „viel zu viele nationale Interessen im Spiel“, etwa die der deutschen Autoindustrie. Mit Blick auf das Gewicht Deutschlands in der EU warnte Cohn-Bendit vor Versuchen, wieder zeigen zu wollen, „dass die Wahrheit in einem Land liegt.“ Es gebe „nicht nur eine Wahrheit, ein Modell“. Der europäische Einigungsprozess sei erst möglich gewesen, weil nach dem Zweiten Weltkrieg Nazi-Deutschland am Boden gelegen habe und auch die Kolonialmacht Frankreich auf ihre Hegemonie verzichtet habe.

„Erst ein Ende der Hegemonialbestrebungen hat Europa möglich gemacht“, sagte Cohn-Bendit, der bei seiner Abschiedsrede mit den Tränen zu kämpfen hatte. Die Abgeordneten, aber auch die anwesenden EU-Kommissare spendeten ihm anhaltenden Applaus. „Sie werden dem Parlament fehlen, mit Ihnen kann man wunderbar streiten“, sagte Parlamentspräsident Martin Schulz.

Der in Frankfurt lebende ehemalige Anführer der Pariser Studentenrevolte von Mai 1968 gehört dem Europaparlament seit 20 Jahren an. Mit dem Ende der Legislaturperiode will er sich aus der aktiven Politik verabschieden.