Der neue Horrorfilm „Midsommar“ schockt nur so mittelmäßig

Der neue Horrorfilm „Midsommar“ schockt nur so mittelmäßig

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Auf den Erfolg von „Hereditary“ lässt Ari Aster mit „Midsommar“ eine Mischung aus heidnischem Horrorstreifen, Beziehungsdrama und Teenie-Komödie folgen. Trotz einer teilweise ausgefeilten Ästhetik leidet der Film an seiner orientierungslosen Genre-Hybridisierung.

Die ersten Sequenzen von „Midsommar“ sind schockierend: Dani (überzeugend: Florence Pugh) erhält eine besorgniserregende Nachricht ihrer bipolaren Schwester. Ihr Freund Christian (gewollt gleichgültig: Jack Reynor) findet, sie müsse aufhören, sich auf die Launen und Drohungen ihrer Schwester einzulassen. Eine Sequenz später ist Danis Schwester tot, die Eltern hat sie mithilfe von Autoabgasen gleich mitumgebracht. Dani ist Psychologiestudentin, der Film interessiert sich aber zu keinem Zeitpunkt für die Beweggründe einer solchen Tat. Danis Schwester war bipolar: Das muss ausreichen.

Der teilnahmslose Christian kann sich folglich nicht überwinden, dem Rat seiner Freunde zu folgen und die Beziehung mit Dani zu beenden. Im Gegenteil entschließt er sich widerwillig, Dani in den Urlaub nach Schweden mitzunehmen, obschon er diese Reise unter Freunden sichtlich so lange wie nur möglich vor seiner Freundin verheimlichen wollte.

Kommilitone Pelle (Vilhelm Blomgren) hat seine Studienfreunde – neben Christian wären da noch Lustmolch Mark (Will Poulter) und Anthropologie-Enthusiast Josh (William Jackson Harper) – in seine Heimat eingeladen, wo diese an einem neuntägigen Sommerfestival, das nur alle 90 Jahre stattfindet, teilnehmen sollen.

Die ersten Sequenzen auf schwedischem Boden sind vielversprechend: Es gibt Unmengen an bewusstseinserweiternden Drogen, die Mitglieder der Gemeinschaft sind stets (zu) gut drauf und tragen weiße Gewände, die mit Blumenkränzen überladenen Frauen lachen lasziv und die Sonne scheint, wie in Christopher Nolans „Insomnia“, fast ununterbrochen.

Seit Charles Manson weiss aber ein jeder – am kommenden Mittwoch wird Tarantinos neuer Streifen das Thema erneut aufgreifen – dass die aufgesetzte gute Laune eines Hippies meist die ärgsten Mordgelüste kaschiert. Ein solches Klischee erlaubt es Aster, die anfängliche Idylle – die dank einer bedrohlichen Soundkulisse und wegen dem Fokus auf der traumatisierten Dani ohnehin schon Risse zeigte – aufzuheben und den Film vom relativ subtilen Psychodrama mit (etwas unangebrachten) komödiantischen Elementen in einen rituellen Horrorfilm mitsamt andauernden Drogentrips kippen zu lassen.

Überladene Genre-Hybridisierung

Unverständlich an zeitgenössischen Horrorfilmen bleibt oftmals folgendes: Die Figuren sind zwar allesamt im Besitz eines Smartphones und googlen was das Zeug hält, einen Horrorstreifen scheint aber in der Fiktionswelt von „Midsommar“ noch niemand gesehen zu haben. Jedem, der Filme wie „Hostel“ gesehen hat, dürfte Master-Creep Pelles Reisevorschlag auf Anhieb suspekt erscheinen, und wer „Wicker Man“ kennt, weiss auch, dass in solchen heidnischen Zeremonien stets irgendein Fremder (auf)geopfert werden muss.

Aster mag zwar kritisieren wollen, dass die Anthropologie-Studenten die exzentrischen Rituale der Gemeinschaft zu bloßen Forschungszwecken nutzen und ohne jegliche Empathie und Integrationsversuche beobachten, er selbst gebraucht die Rituale von Hårga jedoch nur, um den Horrorfan mit visuell spektakulären Bildern zu füttern.

Nach einem ruppigen rituellen Selbstmord, der immerhin noch anthropologisch fundiert wird, befreien sich die Rituale der Gemeinschaft immer mehr jeglicher Teleologie – Enthäutungsszenen, eine Entjungferung in Anwesenheit singender nackter Frauen und bedeutungsschwangere Szenen um heilige Schriften wirken immer zusammenhangloser.

Allegorischer Horror

Die Auflösung der zwischenmenschlichen Beziehungen (es kommt zu Trennungen und Rivalitäten) in den schreckenserregenden Ritualen der schwedischen Gemeinschaft deutet anfangs noch auf eine geschickte Verzahnung der Genres – Horrorfans kommen mit verstörenden Sequenzen, die ästhetisch durchaus gelungen gestaltet sind, auf ihre Kosten, während der anspruchsvollere Kinogänger dank der filmischen Ästhetik und dem Beziehungsdrama bedient werden soll.

Da wo aber die Horrorelemente in Darren Aronofskys „Mother!“ durchaus auch als Allegorie des künstlerischen Schaffens verstanden werden konnten und das Beziehungsdrama zwischen den beiden Hauptfiguren verdichteten, wirken die verschiedenen Elemente hier so bunt durcheinandergewürfelt, dass die Horrorelemente nicht mehr als visuelle Allegorie einer zu Ende gehenden Beziehung funktionieren.

Figurenzeichnung ohne die notwendige Tiefe

Die Genre-Hybridisierung funktioniert alleine deswegen nicht, weil die Figurenzeichnung von Aster irgendwann nur noch karikaturenhaft ist. Christian ist unentschieden und passiv – er kann seine Meinung weder bei seiner Freundin, noch bei seinen Freunden durchsetzen und weiss nicht, worüber er seine Abschlussarbeit schreiben soll –, Mark ist der wenig lustige Clown, den man aus einer wenig lustigen Judd-Apatow-Komödie importiert hat, Josh der besessene Forscher und Pelle der sehr durchschaubare Spinner. Die Einwohner der Kommune sind freundlich-bedrohlich, die Frauen lasziv-überdreht und die Amerikaner naiv und respektlos.

Danis Figur hat zwar mehr Tiefe, jedoch wird ihre Zerrissenheit im zweiten Teil des Films nicht mehr durch ihr Innenleben dargestellt – die Rituale der Gemeinschaft verleihen ihren Gefühlen und Frustrationen Ausdruck, weswegen die Psychologiestudentin irgendwann nur noch ausdruckslos den Gemeinschaftsmitgliedern hinterherstapft oder enigmatisch grinst.

Auch die anfänglich ausgefallenen Kameraeinstellungen und Schnitte, die Danis Verlorenheit visuell einfangen, weichen in der Mitte des überlangen Films (147 Minuten) einer beständig wabernden Außenwelt, die dem Zuschauer signalisieren sollen, dass hier ständig jeder Rauschgifte verabreicht bekommt.

Im Endeffekt gibt sich Asters Film durch seine Genre-Überlagerung subtiler, als er eigentlich ist. Aster aktiviert verschiedene Interpretationsebenen gleichzeitig, leider sind alle wenig aufschlussreich und es ist dem Zuschauer letztlich relativ egal, ob die Endsequenz einem halluzinatorischen Trip geschuldet ist, das kathartische Ende einer Beziehung darstellt oder Danis Trauma durch eine Nachstellung exorzisiert.

Ästhetisch interessant und verstörend ist „Midsommar“ allemal – aber streift man die formalen Schockmomente ab, bleibt nicht viel mehr als ein Nährboden für kommende Albträume.