Klangwelten: A History of Lust

Klangwelten: A History of Lust

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Vor genau einem Monat spielten die Wild Beasts ihr allerletztes Konzert in London. Im Rahmen der Veröffentlichung einer letzten Live-Platte lassen wir die Karriere dieser einzigartigen, wichtigen und (leider zu wenig) gewichtigen Band Revue passieren und versuchen zu erörtern, was die Musik dieses wilden, verspielten Quartetts so besonders gemacht hat.

Einen Nachruf auf eine Band, die einen vielseitig geprägt hat, zu schreiben, ist stets schmerzhaft und erleichternd zugleich. Schmerzhaft, denn man wird sich bewusst, dass da kein neues Material mehr kommen wird, man als Fans höchstens, wenn die Band bei einem reißerischen, geldgierigen Label unter Kontrakt war, mit ein paar unveröffentlichten Songs, einigen Demos oder Remixes abgespeist und vertröstet wird. Erleichternd, weil man sich so vergewissern kann, dass die Band ihr eigenes Erbe, ihren Kultstatus nicht mehr gegen eine zahme, belanglose Spätkarriere, die von Airplays und Geldmacherei geprägt ist, eintauschen wird.

Während eines Konzerts der Abschiedstournee spielten die Wild Beasts „His Grinning Skull“ vom Erstlingswerk „Limbo Panto“. Während des Lieds flüsterte ein Kumpel mir sowohl begeistert als auch betrübt zu: „Heutzutage würde sich kein Label mehr trauen, so was zu veröffentlichen.“ Das stimmt so vielleicht nicht ganz – auch heute noch gibt es (kleine) Labels, die es wagen, innovative, andersartige Musik zu unterstützen und zu vertreiben.
Aber sicherlich hat das Blatt sich gewendet, werden die Zeiten für kleine Indie-Bands immer schwieriger, scheint das Zeitalter ungestümer, lebensdurstiger Musiker immer mehr den ruhigen, hippen Soundtüftlern, die mehr hinter Mischpulten stehen als sich Instrumenten zu bedienen, Platz zu machen: Es wirkt, als würde die zeitgenössische Popmusik den menschlichen Körper der Maschine opfern wollen. Hier ergibt sich dann eine der ersten Besonderheiten der Wild Beasts: Der Körper steht in den Texten dieser Band immer im Zentrum.

„I was nude, I was lewd, I was rude“

Da wäre zum Beispiel der unverschämte, freche Hedonismus vom Zweitwerk „Two Dancers“ in Erwägung zu ziehen, der mit Textzeilen wie „What’s so wrong with/ Just a little fun/ We still got the taste dancing on our tongues“ kulminiert: Beim Hören dieser Platte kann man das junge, lebensfrohe Quartett quasi durch die Gassen ziehen sehen.
Auf dem intimeren Nachfolgewerk „Smother“ wird die Leidenschaft, die bisher immer abstrakt und universal in ihrer Erwartungshaltung dargestellt wurde, auf eine neoromantische Art und Weise in den Bereich der Intimität und der Leidenshierarchie zwischen Liebenden entführt.

In einem Bestiarium, bestehend aus Baudelaire-Albatrossen, Stieren und Löwen, wird von der unausweichlichen Objektivierung des Partners („Plaything“), der willenlosen Hingabe und Unterwerfung der körperlichen Lust („Bed of Nails“), die im oftmals steif-zynischen Streber-Indie-Rock in dieser Form ungewohnt ist, gesungen.

„I would lie anywhere with you/Any old bed of nails would do/Ink up the wound for a crude tattoo/A big old red heart with an anchor stuck through“: Thorpe singt diese exzessiv-ironischen Textzeilen mit der Inbrunst des verspielten Verführers, der seiner eigenen Rhetorik auf den Leim geht.

Dem wunderbar betitelten „Present Tense“ gelingt es, seinen erzählerischen Spannungsbogen vom Überbleibsel hedonistischer Züge („We’re decadent beyond our means/We’ve a zeal/We feel the things they’ll never feel/ They’re solemn in their wealth/ We’re high in our poverty/We see the things they never see/ Wanderlust/ With us the world feels voluptuous“) bis hin zu den wohl unkitschigsten Liebestexten, die in der zeitgenössischen Popmusik geschrieben wurden, zu ziehen.

Auf „Boy King“ schlussendlich werden die von den Wild Beasts bisher gemiedenen Balls-Out-Attitüden und Rockismen ironisch in einem klanglichen und textlichen Pastiche verarbeitet – und führen zu dem feministischsten Album der Band (ein Song heißt z.B. „Alpha Female“), die mit dem kontroverseren Werk allerdings auch ihren Schwanengesang veröffentlichten.

An End Come Too Soon

Aber es sind nicht nur die Texte, die bei den Wild Beasts die Körperlichkeit und einhergehend das Zerbrechliche thematisieren und deswegen etwas Sinnlich-Melancholisches in sich tragen: Die Band setzt jedes Instrument, allen voran das Verflechten der Stimmen der beiden Hauptsänger Hayden Thorpe und Tom Fleming, sowohl spärlich und präzise, elegant und sperrig ein.

Bei den Wild Beasts gibt es kein herkömmliches Riff, keine schon mal gehörte Gesangsmelodie, kein banaler Beat: Hier klingt alles zu jedem Zeitpunkt sowohl fragil als auch wahnsinnig selbstsicher.

Die Musik der Wild Beasts ist in jeder gespielten Note, in jedem gesungenen Vers entwaffnend: Im Gegensatz zur Balls-Out-Attitüde des in die Jahre gekommenen Rock ’n’ Roll und der ironischen, postmodernen Haltung vieler Indie-Bands (Franz Ferdinand, Kaiser Chiefs) sind die Wild Beasts eine von Grund auf ehrliche Band.

Eine solche Ehrlichkeit – „I was angry and brash as a bull/ You were devastatingly beautiful/ I was crude/ I was lewd/ I was rude“, beichtet Thorpe auf „Reach a Bit Further“ – setzt aber eine Unmenge an Talent voraus.

Wo viele zeitgenössische Bands sich hinter Binsenwahrheiten oder Zynismus verstecken, stellen sich die Wild Beasts mit ihrer Nacktheit, ihrer Verletzlichkeit dem Zeitgeist entgegen. Wie David Foster Wallace es bereits behauptete, leben wir in einer Zeit, in der das Ehrliche, das Sensible schnell als Gefühlsduselei bezeichnet werden kann, da die Sprache (musikalisch oder poetisch), mit der wir unsere Erfahrungen in diesen Bereichen zu vermitteln pflegen, abgenutzt ist.

Den Wild Beasts verdanken wir nicht nur wunderbare Musik, sondern auch das Schreiben einer neuen Sprache, einem Orwell’schen Neusprech, der keiner Ideologie, sondern einer Ethik der Lust entspricht, eines Sprachspiels im Sinne von Wittgenstein.

„There is a tongue that we’re speaking/No one else got the meaning/Speak to me in our tongue/When all the other words only come out wrong/Speak to me in our tongue/ A pillow talk patois from a land long gone“, singt Hayden Thorpe auf „Pregnant Pause“, dem vielleicht schönsten Song dieser Band, die es nicht vermochte, in ihrer Karriere auch nur ein einziges mittelprächtiges Lied zu schreiben. Es ist diese neuartige musikalische Sprache der Band, die in den nächsten Jahren schmerzhaft fehlen wird.