Werbevideos in Luxemburg: Der Politiker im Menschenpelz

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Melancholische Musik, Nahaufnahmen von Gesichtern, ein nettes Lächeln hier und da. Vier Monate vor den Wahlen flimmern in den sozialen Medien immer mehr politische Werbevideos über die Bildschirme. Übermittelt werden nicht Inhalte, sondern Köpfe. 

„Wir wollen auch in Zukunft, dass unsere Steuern verantwortlich und kompetitiv bleiben.“ Luc Frieden steht vor einem weißen Hintergrund und reiht ein paar belanglose Sätze über den luxemburgischen Finanzplatz aneinander. Die Bildschnitte sind schlecht. Die Musik platt. Emotionalität? Fehlanzeige. Das ist eines der fünf Videos, die von der CSV im Wahlkampf vor fünf Jahren auf ihrem Facebook-Auftritt publiziert wurden. Das Video ist, aus heutiger Sicht zumindest, äußerst unprofessionell. Als habe man ein paar Teenagern einen Camcorder in die Hand gedrückt und gesagt: „Macht mal was.“

Heute, fünf Jahre später, stehen in drei Monaten die nächsten Parlamentswahlen an und einer der letzten Videos, das von der CSV auf Facebook veröffentlicht wurde, hat nichts mehr mit dem Amateur-Streifen von damals zu tun. Die Kameraführung ist sauber, die Schnitte sind es auch. Auf dem Video ist CSV-Spitzenkandidat Claude Wiseler zu sehen, wie er sich lächelnd, ganz nach seinem „Der Nette von Nebenan“-Image, mit den Parteimitgliedern auf dem Sommerfest in Hesperingen unterhält. Zwischendurch macht entweder Wiseler oder ein anderer Politiker einen kleinen Kommentar. Lächelnd, natürlich.

Ein CSV-Werbevideo vor fünf Jahren:

Ein CSV-Werbevideo heute:

Die Parteien haben ihren Auftritt in den sozialen Medien professionalisiert. Wurde Facebook vor fünf Jahren noch als einfacher Verbreiter von politischen Statements gesehen, der höchstens nebenbei etwas taugte, wird das soziale Medium mittlerweile als Waffe zur Charmeoffensive genutzt. Die Spitzenkandidaten der Parteien werden möglichst bürgernah gezeigt. Der Fokus liegt nicht auf den Inhalten, sondern auf den Personen. Eine logische Taktik im Land des Panaschierens.

Das hat auch das Team von Vizepremier und Wirtschaftsminister Etienne Schneider (LSAP) verstanden. Der Politiker nimmt seine Jacke, steigt aus seiner Limousine und begibt sich in Fels zu den Feierlichkeiten für den luxemburgischen Nationalfeiertag. Seine Ankunft und seine kurzen Wortwechsel mit Anwesenden, sei es die Bürgermeisterin Natalie Silva oder CSV-Spitzenkandidat Claude Wiseler, werden in dem Video mit dramatischer Musik untermalt.

Von politischen Inhalten keine Spur. Die Gespräche beschränken sich auf Nebensächlichkeiten wie beispielsweise eine Anekdote über eine von Schneiders ersten Reden, bei der im Regen die Tinte verschmierte. Schneider schüttelt Hände. Das letzte Bild zeigt eine lächelnde Menschenmenge in Zeitlupe.

Das Video war die erste Ausgabe von Schneiders Serie „Ënnerwee mam Etienne“. Schon dass der Vorname des Politikers im Titel der Serie genutzt wird, soll Nähe erzeugen. Schneider soll, ganz inhaltslos, als Mann des Volkes dargestellt werden. Durch den sprechenden Kameramann und die mit schwarzem Balken unterlegten Untertitel soll das Gefühl einer Polit-Reportage vermittelt werden, damit das Video nicht zu sehr nach politischem Marketing aussieht.

Mit dem Video versucht Schneiders Team, ein positives Gefühl beim Zuschauer zu wecken. Schneider soll wirken wie ein netter Nachbar: humorvoll und menschlich. Genau das richtige Format für einen Sozialisten, dem immer wieder vorgeworfen wird, er stehe der Wirtschaft zu nah, den Menschen aber nicht nah genug.

Alles gesponsert

Neben dem Inhalt der Videos hat sich auch die Verbreitung verändert. Die Parteien setzen mittlerweile intensiv auf sogenannte „Sponsored Posts“. Sie bezahlen Facebook, damit ihre Videos mehr Menschen erreichen. Je mehr Geld investiert wird, desto größer die Reichweite. Den potenziellen Zuschauern werden sie also nicht auf die übliche Weise vom Algorithmus zugespielt, sondern als eine Art Werbung angezeigt.

Die Parteien haben eigentlich kürzlich ein Abkommen unterzeichnet, nach dem der Wahlkampf erst am 10. September beginnt. Davor dürfen eigentlich keine Wahlkampf-Videos über „Sponsored Posts“ verbreitet werden. Im Text, der von CSV, LSAP, DP, „déi gréng“ und ADR unterschrieben wurde, steht:

„Bei der bezahlten Werbung im Internet-Anzeigenbereich (bannering, splash-pages, gesponserte Facebook-Links usw.) legen sich die Parteien eine zeitliche und budgetäre Begrenzung auf: Auch hier ist der 10. September der Startschuss; der finanzielle Rahmen für diese Ausgabenposten darf 75.000.- Euro (zzgl. MwSt.) nicht überschreiten.“

Doch was als Wahlkampf-Werbung gilt und was nicht, scheint ziemlich subjektiv: Schon jetzt werden fleißig Videos in den sozialen Netzwerken „geboosted“. Da alle Parteien mitmischen, stört es scheinbar niemanden so wirklich.

In Bezug auf die Kosten einer solchen Kampagne sind den Parteien eigentlich keine Grenzen gesetzt. Will man ein Maximum an Menschen über einen längeren Zeitraum erreichen, müssen in Luxemburg schon mehrere Hundert, wenn nicht mehrere Tausend Euro pro Video investiert werden. Nur für dessen Verbreitung wohlverstanden, wenn die Kosten der Produktion außen vor gelassen werden.

Zurück ins Gespräch

Auch das Team von Premierminister Xavier Bettel (DP) hat verstanden, wie mächtig die sozialen Medien sein können. Daher die Mini-Serie „Better Call Bettel“. In den Videos steht ein blaues Telefon in einer Fußgängerzone. Bürger, die den Hörer abheben, haben den Premierminister an der Leitung und können ihm Fragen stellen. Der Titel von Bettels Serie ist eine Anspielung auf die amerikanische Produktion „Better Call Saul“. Der Protagonist, Saul Goodman, verteidigt als Anwalt mit umstrittenen Methoden Kriminelle. Passend, da Bettel selbst in einem vorherigen Leben auch Anwalt war. Ob er sich mit Goodmans Methoden identifizieren kann, sei mal dahingestellt.

Der Premier wird im Gespräch mit den Bürgern genau wie seine Kontrahenten Schneider und Wiseler volksnah gezeigt. Während die Videos von manchen belächelt wurden, konnten sie auf dem Account der DP laut Facebook-Statistik einen riesigen Erfolg verbuchen. Über 130.000 Mal wurde die erste Folge gesehen. Das entspricht in etwa der Einwohnerzahl von Luxemburg-Stadt, wobei sich einzelne Personen die Videos auch mehrmals angesehen haben können. Die zweite Folge hat ebenfalls kürzlich die 100.000er-Marke geknackt. Die beiden Videos wurden Hunderte Male geteilt. Das Ziel war erreicht: Der Premierminister, der sich zum Schluss seiner Legislaturperiode wenig zeigte, katapultierte sich zurück ins Gespräch.

Die aufwendige Produktion mit einer geschickten Marketing-Idee sorgt dafür, dass der Facebook-User beim Video hängen bleibt und es sich ansieht. Das Zeigen des Kameramannes und des Tonmaterials soll den Bildern Authentizität verleihen. Durch das Format soll das Video ähnlich wie bei Schneider nicht nach Marketing, sondern nach einer Art Fernsehshow aussehen.

Cattenom im Hintergrund

Letztes Beispiel: die Grünen. Der kürzlich ernannte Staatssekretär Claude Turmes postete ein emotionales Video von seiner Rückkehr nach Luxemburg. Bis vor ein paar Wochen war er noch Europaabgeordneter. Nach dem plötzlichen Tod des Staatssekretärs Camille Gira am 16. Mai wurde Turmes sein Nachfolger. Und das Team von Turmes treibt die Professionalität und die Detail-Verliebtheit in dem Video auf die Spitze. Genau wie die Fokussierung auf die Person Claude Turmes.

So werden abwechselnd Foto- und Videosequenzen genutzt, damit der Film so dynamisch wie möglich wirkt. Die Bilder sind mal schwarzweiß, mal farbig. Turmes wird gezeigt, wie er im Auto zurück in das „schöne Luxemburg“ fährt, um dort seinen Eid abzulegen. Zum Schluss bringt der Politiker sogar noch ein bisschen politischen Inhalt unter: „Cattenom muss geschlossen werden“, sagt er. Man achte auf das Detail: Auf dem letzten Bild des Videos ist im Fenster die Atomzentrale im Hintergrund zu sehen.

Die Videos häufen sich, dabei ist der Wahlkampf offiziell noch gar nicht eingeläutet. Die Parteien wissen mittlerweile um die Reichweite, die einem die sozialen Medien ermöglichen. Und nichts ist auf Facebook und Co. wirksamer als passive Aufnahme, also Inhalt, den man nicht aktiv konsumieren muss. Auf jeden Fall haben die Parteien eines verstanden: In den sozialen Medien regiert nicht der beste Inhalt, sondern das schönste Bild, untermalt von der harmonischsten Musik. Wir sind – auch in Luxemburg – im Zeitalter der Ästhetisierung der Politik angekommen.

Clemi
26. Juli 2018 - 13.03

"Von politischen inhalten keine spur" ... wenn das doch wirklich nur für facebook-videos gelten würde... guter artikel, toller titel ?