AFPL hilft BetroffenenWenn die Realität nicht mehr der Wirklichkeit entspricht

AFPL hilft Betroffenen / Wenn die Realität nicht mehr der Wirklichkeit entspricht
Psychose-Patienten sind oft in ihrer eigenen Welt gefangen. In dem Fall wird es schwer, sie davon zu überzeugen, dass ihre Realität nicht der Wirklichkeit entspricht.  Foto: Editpress/Didier Sylvestre

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In Luxemburg leiden rund 6.200 Menschen unter Psychosen. Dennoch scheint die Öffentlichkeit immer noch wenig über die Krankheit zu wissen. Das will die Vereinigung für Familienangehörige von Psychosepatienten (AFPL) nun ändern und die Menschen im Umgang mit Betroffenen sensibilisieren. Das gilt vor allem für Rettungskräfte und Polizeibeamte.

Psychosen sind heimtückisch. Die Krankheit kann nämlich nicht nur vielerlei Formen annehmen. „In fast 60 Prozent der Fälle erkennen die Betroffenen auch nicht, dass sie überhaupt krank sind“, sagt Mady Juchem. Tatsächlich ist das Krankheitsbild bei Psychosen äußerst vielfältig: Betroffene haben typischerweise Halluzinationen, Wahnvorstellungen und mitunter sogar schwerwiegende Denkstörungen, die nicht selten von starken Ängsten begleitet werden.

„Ein Diabetiker spürt die Symptome und kann mit einer Blutanalyse für Aufklärung sorgen. Bei einem kaputten Knie verspürt man Schmerzen und geht in die Röntgenaufnahme. Eine Wahnvorstellung aber ist nur schwer festzustellen“, betont die Vizepräsidentin und Mitbegründerin der „Association des familles ayant un proche atteint de psychose au Luxembourg“, kurz AFPL. Betroffene seien meist in ihrer eigenen Welt gefangen, die von Außenstehenden kaum verstanden wird.

Umso schwieriger ist es, den Betroffenen verständlich zu machen, dass ihre Realität nicht mehr der Wirklichkeit entspricht. In diesem Stadium müsse die Familie oft Rettungs- oder gar Ordnungsdienste verständigen, um den Patienten in einem Krankenhaus die Hilfe zukommen zu lassen, die sie benötigen.
Allein aus diesem Grund liegt es der AFPL am Herzen, mehr Menschen für die Krankheit zu sensibilisieren. Vor allem wenn Ordnungskräfte, Pädagogen oder Hilfsdienste mit Patienten während einer Krise konfrontiert werden, mit dem Krankheitsbild aber nichts anfangen können. Psychosen manifestieren sich unterschiedlich: Manche hören Stimmen, andere haben Geruchshalluzinationen. Viele aber haben Angst, sind in ihren eigenen Gedanken gefangen und verstehen nicht, was um sie herum passiert. „In dem Fall werden Betroffene oft als verrückt oder aggressiv abgestempelt“, habe Juchem bereits feststellen müssen. Solche Situationen könnten rasch brenzlig oder gar gefährlich werden.

„Polizeibeamte wissen oft nicht, mit der Situation umzugehen oder den Patienten einzuordnen. Manchmal ist der Betroffene ruhig, lässt sich ohne Gegenwehr in ein Krankenhaus liefern. In anderen Fällen aber spielt die Angst mit, die Patienten wollen flüchten und es besteht dann die Gefahr, dass sie sich selbst oder Umstehende verletzen könnten“, so die betroffene Mutter weiter. So sei noch vor kurzem ein junger Polizist an den Rippen verletzt worden, als er sich in der Notaufnahme um einen Betroffenen kümmern wollte. Das habe ein Mitglied der AFPL mitgeteilt, so Juchem.

Schutz für beide Seiten

Deshalb sei es sinnvoll, junge Polizeibeamte auf die Krankheit aufmerksam zu machen und ihnen die notwendigen Erklärungen mit auf den Weg zu geben. „Sowohl um den Beamten als auch den Patienten zu schützen“, erklärt die Vizepräsidentin der AFPL. So könnte die Polizei beispielsweise von der Grundausbildung profitieren, um junge Rekruten im Umgang mit psychisch kranken Personen zu schulen.

Ihre Erfahrung und Expertise bietet die AFPL aber nicht nur den Luxemburger Ordnungskräften an. Auch habe man vor kurzem die Generalisten im Großherzogtum angeschrieben, um noch mal auf die Krankheit aufmerksam zu machen. Schließlich sei der Hausarzt oft die erste Anlaufstelle. Außerdem sei es wichtig, so Juchem, dass die Krankheit früh erkannt wird. Tatsächlich breche sie verstärkt in Stresssituationen bei jungen Menschen auf, die sich auf der Schwelle zum Erwachsenwerden befinden. Allerdings lasse sich Schlimmeres verhindern, wenn erste Anzeichen im Vorfeld erkannt werden. „Ein Mitglied unseres Vorstandes wurde leider jahrelang von seinem Umfeld im Stich gelassen, und das sogar von Pädagogen, die das Feld eigentlich kennen müssten“, ärgert sich Mady Juchem. „Mit etwas mehr Unterstützung hätte man dieser Person den Leidensweg ersparen können.“

Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation WHO zufolge ist rund ein Prozent der Weltbevölkerung von Psychosen betroffen. In Luxemburg wären dies demnach 6.200 Personen. Die AFPL richtet sich nicht nur an Angehörige von Psychose-Patienten, sondern auch an die Betroffenen selbst. Ziel der Vereinigung ist es außerdem, die Öffentlichkeit zu sensibilisieren, um Tabus zu brechen. Mehr Informationen sind unter contact@afpl.lu erhältlich.

Nottrot
13. Januar 2020 - 15.58

Der Titel ist wohl leicht grotesk, wenn darin einen Unterschied zwischen Wirklichkeit und Realität unterstellt wird.