Frauen sind keine Kriegswaffen – dafür engagiert sich in Luxemburg ein hochkarätig besetztes Forum

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Im Kampf gegen Vergewaltigungen an Frauen, deren Körper als Kriegswaffen eingesetzt werden, fährt Großherzogin Maria Teresa großes Geschütz auf. Gleich drei Friedensnobelpreisträger und weitere einflussreiche Persönlichkeiten konnte sie für ihr zweitägiges Forum Ende März in Luxemburg gewinnen. Doch im Fokus stehen die sogenannten „survivors“, Frauen, die diese Folter erlebt haben. Sie werden das Wort haben.

Vergewaltigungen in Brennpunktzonen wie Kriegs- oder Katastrophengebieten werden meist bewusst dazu eingesetzt, den Gegner zu enthumanisieren. „Es ist eine furchterregende Waffe“, so Friedensnobelpreisträger Dr. Denis Mukwege. Der Chirurg und Menschenrechtler war am vergangenen Freitag auf Einladung von Großherzogin Maria Teresa nach Luxemburg gekommen. Im großherzoglichen Palais stellte Maria Teresa das von ihr ins Leben gerufene Forum „Stand Speak Rise Up!“ vor, das am 26. und 27. März im European Convention Center in Luxemburg stattfinden wird.

„Vergewaltigung ist eine Kriegswaffe und kommt in nahezu allen Konflikten vor“, sagt die Juristin Céline Bardet, die sich auf Kriegsverbrechen spezialisiert hat und ebenfalls am Freitag in den Palast eingeladen wurde. Die Grausamkeit, die Bardet in über 40 Ländern – darunter in den sogenannten „Vergewaltigungslagern“ in Bosnien – gesehen hat, bewegte sie dazu, im Jahr 2014 eine NGO zu gründen, die sich in dieser Sache engagiert. Der Name ihrer Organisation erklärt sich von selbst: „We Are NOT Weapons of War“.

„Es ist eine humanitäre Sache, die uns alle etwas angeht“
Großherzogin Maria Teresa

„Der Einsatz dieser Kriegswaffe kennt weder Grenzen noch Rassen noch Nationalitäten noch Religionen“, so Bardet. „Terroristische Organisationen wie Daech oder Boko Haram machen ein System daraus und haben Gebrauchsanleitungen darüber verfasst, wie man vergewaltigt und wen man vergewaltigt.“ „Es sind mündliche Gebrauchsanweisungen“, so Mukwege. „Bewaffnete Gruppen entschließen sich dazu, Vergewaltigungen nach Protokoll auszuführen. Wenn man nach Protokoll verfährt, dann heißt das, dass man ein genaues Ziel hat, das man erreichen möchte. Daech beispielsweise hat sich auf Versklavung spezialisiert. Andere Gruppen haben zum Ziel, die weiblichen Genitalien zu verstümmeln“, so der Friedensnobelpreisträger.

„Es ist eine humanitäre Sache, die uns alle etwas angeht“, sagt Großherzogin Maria Teresa. „Durch die Vergabe des Friedensnobelpreises an Dr. Denis Mukwege und an Nadia Murat hat die Problematik die internationale Aufmerksamkeit auf sich gelenkt.“ Beide werden am Forum Ende März teilnehmen. Ebenso wie der Friedensnobelpreisträger von 2006, Prof. Muhammad Yunus.

Gebrauchsanleitung für Vergewaltigungen

„Vor zwei Jahren habe ich Mukwege zum ersten Mal in Luxemburg getroffen“, so die Großherzogin. „Ich habe schon viele Foren miterlebt und es hat mich stets gestört, dass man nicht den Erstbetroffenen das Wort gibt.“ Aus diesem Grund hat sie sich dazu entschlossen, Persönlichkeiten, die eine weltweite Rolle bei diesem Thema spielen, zu ihrem Forum einzuladen. „Dort können sie den ’survivors‘ zuhören.“

Als „survivors“ werden jene Frauen bezeichnet, die Opfer einer Vergewaltigung in Konfliktgebieten wurden. Etwa 40 „survivors“ aus den verschiedensten Teilen der Welt werden nach Luxemburg kommen. „Und sie werden das Wort haben“, so Maria Teresa. Das Wort haben bedeutet das Gegenteil von Schweigen. Und auf dem Forum soll das Schweigen gebrochen werden. „Denn Schweigen wird gerne als Instrument benutzt, welches es jenen erlaubt, die solche Verbrechen begehen, damit weiterzumachen“, sagt Mukwege. Eine Vergewaltigung, die meist unter extremer Gewalt stattfindet, dient dem Friedensnobelpreisträger zufolge nicht nur dazu, eine Gemeinschaft zu schwächen, sondern auch den anderen, den Gegner zu enthumanisieren. Sie zerstört sämtliche sozialen Bindungen, indem sie den sozialen Teppich zerstört.

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„Diese Kriegswaffe ist eine Waffe, die nicht teuer ist und die desaströse Folgen für ihre Opfer und deren Gemeinschaft hat.“ Man kann sogar den wirtschaftlichen Verlust errechnen, der durch die sexuelle Gewalt an Frauen in Brennpunktzonen entsteht. Die Konsequenzen können laut Mukwege sowohl horizontal als auch vertikal sein. Horizontal, indem sie das Umfeld der Frau zerstören. Vertikal, indem sie einen Einfluss auf kommende Generationen haben. Medizinisch, physisch, geburtstechnisch. „Diese Waffe ist derart furchterregend, dass sie die Menschen dazu bewegt, vor ihr die Augen zu verschließen, nicht darüber zu reden“, erklärt Mukwege. Bei diesem Forum werden nicht die Experten reden, sondern die Betroffenen. „Denn das, was wir glauben, über die Opfer zu wissen, entspricht nicht immer der Wahrheit. Deshalb müssen wir den Opfern zuhören. Wir müssen ihnen die Möglichkeit geben, uns zu sagen, was zu tun ist. Damit sie von ihrem Status als Opfer loskommen und den Status ’survivors‘ erreichen und somit ein ’normales‘ soziales Leben führen können. Das Schweigen kommt nicht unbedingt nur von den Frauen. „Diese sind bereit, sich zu öffnen, wenn wir ihnen Halt geben“, sagt Céline Bardet.

„Aber das Schweigen kommt vor allem aus der Gesellschaft, die diese Sachen nicht hören möchte.“ Und dann gibt es noch das Problem mit der Straflosigkeit. „Weil es keinen politischen Willen gibt“, sagt Bardet. Diese beiden Sachen gilt es zu verändern: das Schweigen und die Straflosigkeit.

„Das Schweigen kommt aus der Gesellschaft“

Bei ihrer Arbeit, die sich mit Kriegsverbrechen befasst, stellte sie eine Tendenz der Nicht-Aktion fest. Das war es schließlich, was sie dazu bewegte, ihre NGO zu gründen. Es war dieses Schweigen. Nicht von den Opfern, sondern von der Gesellschaft.

„Wir können im Jahr 2019 nicht einfach die Augen davor verschließen, vor einem System, das schon seit Jahrzehnten so praktiziert wird und das wir bislang nicht sehen wollten“, sagt Bardet. „Vor wenigen Jahren redete niemand über dieses Thema, auch die Medien nicht. Das Thema war nicht geeignet. Das ändert sich gerade. Wir können das nur ändern, indem wir die Gesellschaft dementsprechend ändern. Und durch den Blick, den wir auf diese Problematik richten. Es irritiert mich, wenn ich vom Schweigen der Frauen höre. Das Schweigen kommt eher von uns, uns allen, der Gesellschaft.“


„Dr. Denis Mukwege ist ein außergewöhnlicher Mensch“

Interview mit der Großherzogin,
die dem Friedensnobelpreisträger Denis Mukwege eine Plattform zur Verfügung stellt

Tageblatt: Wo haben Sie den Friedensnobelpreisträger Dr. Denis Mukwege denn eigentlich kennengelernt?
Großherzogin Maria Teresa: Hier in Luxemburg. Er kam hierher, um an einer Konferenz in der Philharmonie teilzunehmen. Ich war dort, um ihm zuzuhören. Ich war unter Tränen. Ich war komplett aufgewühlt. Dann stellte ich mir die Frage, wie ich einem so großartigen Menschen helfen könnte. Ich habe ihn gefragt, ob er Zeit hätte, mich zu besuchen. Er hat sich Zeit genommen. Wir haben uns unterhalten. Da sagte er mir, er habe eine Gruppe von „survivors“ gegründet und fragte mich, ob ich ihnen eine Plattform geben könnte, über die sie sich ausdrücken könnten. Es gibt viele Foren auf dieser Welt, aber noch keines wie jenes in Luxemburg, das in erster Linie den Opfern das Wort gibt. Jenen, die von der Problematik direkt betroffen sind.

Glauben Sie, dass der Nobelpreis für Dr. Mukwege dazu beiträgt, mehr in diesem Bereich bewegen zu können?
Da bin ich mir sicher. Ich arbeite mit Dr. Mukwege bereits seit anderthalb Jahren an dem Forum zusammen. Als man mich eines Morgens anrief und sagte, „weißt du was, Dr. Mukwege hat soeben zusammen mit Nadia Murad den Friedensnobelpreis bekommen“, da habe ich gelächelt. Und einen Freudeschrei ausgestoßen. Für die Sache und für die Frauen. Es ist unglaublich, dass man den Fokus damit auf die Problematik gesetzt hat, durch den Friedensnobelpreis. Davon abgesehen, dass Dr. Mukwege ein außergewöhnlicher Mensch ist. Sehr couragiert, sehr bescheiden, komplett aufopfernd für seine Sache und nicht zu vergessen, er riskiert sein Leben mit dem, was er tut. Ich würde alles tun, um ihm zu helfen.

Andererseits wollen wir Dr. Mukwege unterstützen mit konkreten Projekten. Und Céline Bardet. Céline ist gerade dabei, mit einem luxemburgischen Start-up-Unternehmen ein Warnsystem zu entwickeln, das weltweit einzigartig ist. Für Frauen, die sich in einer Situation von großer Gefahr befinden. Ich möchte also das luxemburgische Start-up unterstützen.

Wieso wollten Sie unbedingt ein Forum in Luxemburg organisieren?
Der Grund liegt darin, dass ich international ein Bild von uns abgeben möchte, in dem wir weltweit eines der größten Geberländer sind, das sehr bewandert im humanitären Bereich ist. Denn das wissen die Leute im Ausland nicht. Die internationalen Organisationen wissen es, aber nicht generell. Man sagt viele Dinge über Luxemburg, die mir Kummer bereiten. Aber nicht solche wichtigen Sachen. Deshalb bin ich auch sehr stolz darauf, dieses Forum in Luxemburg zu organisieren. Um dieses Image eines humanitären Luxemburgs zu zeigen, das bereits jetzt sehr viel in der Welt macht. Ich bin übrigens sehr dankbar für die Unterstützung der luxemburgischen Regierung.

Das Novum ist ja, dass man auf dem Forum hier in Luxemburg den „survivors“ das Wort gibt …
Ganz genau. Deshalb nehmen diese Frauen auch an allen Workshops und an den Gesprächsrunden teil. Es werden immer mindestens zwei „survivors“ teilnehmen. Sie werden Fragen stellen. Sie kommen bereits eine Woche vor Beginn des Forums nach Luxemburg und wir werden diese Zeit nutzen, um zusammenzuarbeiten. Wir werden auf alle Fragen eingehen, sie können alles sagen, was sie loswerden wollen, was sie übermitteln wollen. Es ist ihr Forum. Deshalb habe ich als Untertitel für Stand Speak Rise Up! „Nothing about us without us“ gewählt. Nichts über uns ohne uns. Ich glaube, es ist wichtig, das so durchzuziehen. Oft hat man irgendwelche Experten, die nicht unbedingt die Geschehnisse vor Ort miterlebt haben, und man vergisst, was für die Erstbetroffenen zu tun ist.

Meinen Sie, dass man den Schmerz, den man diesen Frauen zugefügt hat, wieder gutmachen kann?
Es ist ja nicht nur die Vergewaltigung, die sie erlebt haben, sondern auch Folter. Vergewaltigung ist gleich Folter, Vergewaltigung ist mehr als Folter. Ich glaube, dass man das weder vergessen noch sich davon vollständig erholen kann. Aber ich glaube, dass man dennoch vorwärts im Leben gehen kann. Ich meine, dass man vielleicht eine Form der Resilienz finden kann. Durch das Forum können wir den Frauen sagen: Wir sind da. Wir hören euch zu, wir unterstützen euch, wir sind an eurer Seite. Deshalb möchte ich diese Bewegung starten. Und ich werde die Erste sein, die sich auf diesem Weg engagiert. Ich glaube, das gehört zu der Resilienz, nämlich zu wissen, dass man nicht alleine ist.


„Im Kongo zählen wir auf den luxemburgischen Leser“

Friedensnobelpreisträger Dr. Denis Mukwege
erläutert im Gespräch Lösungsansätze

Dr. Denis Mukwege ist praktizierender Chirurg und Frauenarzt im Kongo. Er trägt den Beinamen „der Mann, der Frauen repariert“, weil er verstümmelte Vergewaltigungsopfer täglich in seinem Krankenhaus operiert. Der Nobelpreisträger spricht mit dem Tageblatt über Lösungsansätze in seinem Kampf gegen den Missbrauch von Frauenkörpern als Kriegswaffe.

Tageblatt: Großherzogin Maria Teresa sagt, dass Empörung nicht ausreicht und dass wir handeln müssen. Dr. Mukwege, können Sie uns eine konkrete Aktion nennen, wie man gegen die Gewalt an Frauen in Brennpunktzonen vorgehen sollte?
Dr. Denis Mukwege: Eine konkrete Aktion ist heute der Kampf gegen die Straffreiheit. Man hat das Gefühl, dass diese Gewalt gegen Frauen schon fast Verbrechen geworden sind, die toleriert werden. Die Menschen hören bei dem Thema weg. Sie wollen nicht zuhören. Sie wollen dem nicht viel Aufmerksamkeit schenken. Aber die Opfer leiden fürchterlich. Deshalb glaube ich, dass man absolut gegen diese Straflosigkeit in Bezug auf diese Verbrechen ankämpfen sollte.

Welche anderen Punkte sind noch wichtig?
Neben dem Kampf gegen die Straffreiheit brauchen wir eine Umerziehung. Die dominierende Männlichkeit schafft eine Ungleichheit zwischen Frau und Mann. Um Frauen kontrollieren zu können, muss man Gewalt anwenden. Diese Erziehung ist nicht angeboren, es ist etwas, das man gegenüber einer jeweiligen Gesellschaft erlernt. Es gibt soziale Normen, die diese soziale Ungerechtigkeit schaffen. Ich glaube, um das zu ändern, braucht es eine Umerziehung in Bezug auf soziale Normen, welche zeigen soll, dass die Gleichheit der Geschlechter das eigentlich Angeborene und Normale ist. Denn das, was wir heute als soziale Norm aufstellen, führt zu sexueller Gewalt. Daneben ist es sehr wichtig, darüber zu kommunizieren. Nur so kann diese Problematik den Weg in unsere Gesellschaft finden. Jeder sollte sich im Klaren sein, dass es für ein solches Gewaltverbrechen keine Entschuldigung gibt.

Was können wir/unsere Leser tun, um Ihnen bei Ihrem Kampf zu helfen?
Ich glaube, die Leser können sehr viel tun. Das Erste, was wir machen können, ist, die Opfer darin zu bestärken, ihr Schweigen zu brechen. Wir sollten den Opfern das Wort geben. Ich glaube, dass die Leser das Zeug dazu haben, das machen zu können. Spricht jemand über eine Vergewaltigung als Kriegswaffe, sollten wir denjenigen nicht verblüfft hinterfragen mit „wieso“, „weshalb“ und ihn als Fremden bezeichnen, sondern wir sollten die Person für voll nehmen. Das kann nämlich jedem passieren, in jeder Gesellschaft und in jeder konfessionellen Kategorie. Der Leser sollte mitfühlend und teilnahmsvoll sein gegenüber den Opfern sexueller Gewalt. Die zweite Sache, die der Leser tun kann, ist, auf spezifische Art zu kämpfen.

Haben Sie ein Beispiel?
Im Zentrum des Krieges, der in der Demokratischen Republik Kongo geführt wird, steht die Kontrolle über das Erz. Es geht also um die Kontrolle von Ressourcen, die in Smartphones und Elektroautos benutzt werden. Es ist klar, dass wir alle ein Smartphone brauchen und dass wir alle ein umweltfreundliches Fahrzeug nutzen wollen. Aber wir könnten Druck auf die politischen Verantwortlichen ausüben, indem wir sie darum bitten, von den Herstellern eine absolut saubere Lieferkette zu verlangen. Und damit diese Kette sauber ist, müssen Zonen, wo Krieg eben wegen dieser Ressourcen geführt wird, als solche ausgemacht werden. Die Leser sollten daraufhin ihre politischen Führer kontaktieren. Denn das ist ein globales Problem.

In der Demokratischen Republik Kongo zählen wir heute auf den luxemburgischen Leser, der sagt, ich liebe Smartphones, ich liebe saubere Autos, aber ich fühle auch mit den Kongolesen mit, die Frieden in ihrem Land brauchen. Und wir zählen wiederum auf luxemburgische Unternehmen, die diese Erze auf eine saubere Art abbauen können, indem sie sowohl die Menschheit als auch die Umwelt respektieren. Und ich sage immer: Es gibt keine Globalisierung ohne eine Universalität der Menschenrechte. Heute kann man noch hinzufügen: ohne Respekt vor der Umwelt.

Was sind Ihre Erwartungen an das Internationale Forum „Stand Speak Rise Up!“, das von Großherzogin Maria Teresa ins Leben gerufen wurde?
Das ist eine Innovation, weil das Forum den Opfern das Wort gibt. Das ermöglicht es den „survivors“, uns zu sagen, was wir für sie tun können, und nicht umgedreht wir ihnen sagen, was sie brauchen. Ich glaube, das ist die Originalität bei diesem Forum, dass wir den Opfern zuhören und handeln können, auf Basis ihrer Vision und ihrer Bedürfnisse.