„Der Druck ist enorm“

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Der Libanon, mit seinen vier Millionen Einwohnern, hat mindestens eine Million syrische Flüchtlinge aufgenommen. Das Welternährungsprogramm (WFP) der Vereinten Nationen unterstützt das fragile Land im Nahen Osten in dieser Herkulesaufgabe. Wie das vor sich geht, erklärt WFP-Länderdirektor Dominik Heinrich.

Die Reise

Die Reise mit dem World Food Program der Vereinten Nationen fand vom 13. bis zum 16. März statt und führte nach Jordanien und Libanon. Das WFP kam für Kost und Logis auf, die Flüge mussten die verschiedenen Medienhäuser bezahlen.
In unserer Dienstagnummer beleuchten wir das Thema von der Reportagen-Seite. Da liefern wir auch die genauen Zahlen zu den Gebern, zu denen ja auch Luxemburg zählt

Tageblatt: Mittlerweile haben die Flüchtlinge in Libanon Bankkarten, auf die jeden Monat 27 US-Dollar pro Person geladen werden und die ausschließlich für Grundnahrungsmittel ausgegeben werden dürfen. Wie können Sie verfolgen, was dann tatsächlich mit dem Geld passiert?

Dominik Heinrich: Mittlerweile bekommen wir von den Geschäften die Daten der eingekauften Güter. Wir bekommen von der Bank die Transaktionen, die stattgefunden haben, wo und wann sie stattgefunden haben. Wir haben Mitarbeiter und externe Kooperationspartner, die regelmäßig die 500 Geschäfte besuchen, wo Quittungen behalten werden, wo Interviews geführt werden mit den Familien, denen wir die Unterstützung geben. Mit den Geschäftseigentümern werden gemäß unseres Vertrags die Kontrolllisten durchgegangen. Insofern gibt es verschiedene Instanzen, wo Kontrollmechanismen eingeführt sind.

Wie wirkt sich diese doch sehr Hilfestellung auf die Wirtschaft des Libanon aus?

Mittlerweile sind diese Kontrollmechanismen ein Instrument der Weiterentwicklung geworden. Vor allem libanesische Produkte gewinnen damit an kompetitiven Preisen. Das fördert die libanesische Wirtschaft. Was unglaublich wichtig ist, da das Land ja sehr in Anspruch genommen ist durch die Anwesenheit von einer Million mehr Personen. Mittlerweile können wir auch die Kaufkraft der Flüchtlinge dadurch verstärken, dass wir die Daten haben – etwa weil wir die Preise mit den Geschäften so nach unten verhandeln können, oder weil wir den Geschäften, das sind oft kleine Mama-und-Papa-Shops, gegenüber den Mittelmännern eine größere Kaufkraft, eine größere Verhandlungsbasis geben können.

Wenn Ihnen ein Geber jetzt sagen würde, Bargeld, das ist mir zu risikoreich, ich weiß nicht, ob ich das gegenüber meinen Steuerzahlern rechtfertigen kann, was sagen Sie diesem?

Wichtig ist der erste Schritt in der Identifikation der Personen, denen Hilfe geleistet wird. Wenn wir wirklich sehr notbedürftigen Familien Unterstützung geben, Familien mit älteren Menschen, mit Kindern, Großfamilien, Familien, wo ein Handicap ist, dann haben wir schon an und für sich eine größere Sicherheit, dass die Mittel, ob es Bargeld oder die Bankomat-Karte ist, für den Einkauf von Nahrungsmittelgütern verwendet werden, dass wirklich die essenziellen Bedürfnisse für den Einkauf gedeckt werden. Wir haben Daten und Analysen dazu. Bei ganz armen Familien werden bis zu 80 Prozent für Grundnahrungsgüter ausgegeben. Im Schnitt sind es zwischen 60 und 80 Prozent. Da diese Armut und diese Notbedürftigkeit so groß sind, ist die Gefahr, dass damit Zigaretten oder Alkohol gekauft werden, wirklich nicht gegeben.

Diese Karten bringen ja auch Ihrer Verwaltung Vorteile. Letztlich müssen Sie keine Reissäcke mit Schiffen hier reinbringen lassen, Sie haben keine Räume mehr voll mit Quittungen, die kontrolliert werden müssen. Was bedeutet diese Einführung der Karte für das WFP?

Es bedeutet, auf dem humanitären Aufgabensektor dieselbe Effizienz zu erreichen, die im Finanzwesen oder in unserem täglichen Einkaufswesen erreicht wurde. Wir kaufen keine großen Säcke Reis mehr ein, sondern können auf unsere eigenen Bedürfnisse eingehen mit einer sehr effizienten Versorgungskette. Das findet hier auch statt: Das WFP geht Verträge mit einer Versorgungskette über diese Geschäfte ein, verwendet das existierende Finanzsystem, bringt eigene Kontrollen ein und hat ein eigenes Monitoring-System. Es muss keine nicht existierenden Strukturen parallel aufbauen.

Die Karten werden normalerweise für den 5. des Monats aufgeladen. Wie weit im Voraus wissen Sie, ob Sie das Geld dafür tatsächlich haben?

Das ändert sich von Jahr zu Jahr. 2016 hatten wir ein relativ stabiles Jahr. Da konnten wir durch die Voraussicht, die uns die Geberländer gegeben hatten, ein stabiles Programm für das ganze Jahr zusichern. Das hat sich in der Psychologie der Flüchtlinge sehr positiv herausgestellt und hat sich auch in der Effizienz der Arbeit der Organisation widergespiegelt. Wenn man mit einem Zeithorizont von einem Jahr arbeitet, hat man Effizienz. 2017 war insofern anders, dass bis Mai eine gewisse Sicherheit da war. Von Mai bis Ende des Jahres konnten wir den Flüchtlingen diese Sicherheit der Unterstützung gewährleisten, mussten aber von Monat zu Monat intensiv mit Gebern arbeiten, damit wir diese Sicherheit hatten. Es war unsere Strategie, das nicht so in die Öffentlichkeit zu bringen, damit wir nicht die Stabilität gefährden und nicht die Flüchtlinge verunsichern. Gleichzeitig muss man sagen, dass die Geberländer Ende 2017 auch das geleistet haben, was sie versprochen hatten – es bedeutete halt mehr Stress für unser Team.

Was für einen Wunsch ziehen Sie aus dieser Realität für die große Geberkonferenz der Nachbarländer Syriens, die morgen beginnt?

Das Welternährungsprogramm ist ein bisschen wie das tägliche Brot für diese Flüchtlinge. Was ich mir wünschen würde, ist eben die Zusicherung dieses täglichen Brots. Solange die politische Krise in Syrien nicht gelöst ist, sollte man anerkennen, dass hier zumindest eine Zusicherung gegenüber Kernprogrammen gebraucht wird für Zeithorizonte, die nicht weniger als ein Jahr sind.

Wie entscheidend ist diese Hilfe für die Gesamtstabilität im Libanon?

Bei mehr als einer Million Flüchtlingen auf vier Millionen Einwohnern ist der Druck enorm. Die Unterstützung sowohl des Libanon, armer Libanesen, der Infrastruktur als auch der Flüchtlinge hält eine Situation in diesem Land stabil, bis die Krise im Nachbarland Syrien gelöst ist oder sich wesentlich verbessert hat. Die vergangenen sechs Jahre haben bewiesen, dass die internationale Gemeinschaft dieses Land nicht verlassen hat. Es hat zwischen 2014 und 2015 eine Schwierigkeit in der Kontinuität in Geldern gegeben (eine Folge daraus war der europäische Flüchtlingssommer 2015, Anm.d.Red.). In den vergangenen zweieinhalb Jahren war das nicht so. Wenn man kohärent aus dieser Erfahrung der letzten sechs Jahre gelernt hat und kohärent weiter so investiert, wie es bis jetzt gemacht wurde, dann kann man zumindest eine Verschlechterung der Situation verhindern und auf eine baldige Rückkehr in die syrische Heimat hoffen.

Wie bedeutend ist denn die Stabilität im Libanon für die Region?

Der Libanon ist ein kleines, aber sehr wichtiges Land. Das hat Fürst Metternich am Anfang des Wiener Kongresses 1815 gesagt. Ich glaube, es ist immer noch so geblieben. Es ist ein Land, wo sich verschiedene Religionen, Kulturen auf sehr engem Raum begegnen und sehr eng miteinander leben – wo sie koexistieren. Das, was in einem kleinen Land passiert, ist oft ein Vorreiten von Veränderungen oder von Situationen, die dann in größerer Skala in anderen Ländern passiert. Stabilität im Libanon kann Stabilität für die Region hervorrufen, sie kann ein Beispielsmodell sein. Und Instabilität im Libanon, das wäre ein weiteres Land, das die internationale Gemeinschaft nicht geschafft hat, friedlich zu halten.

Planen Sie überhaupt mit einer baldigen Rückkehr von Flüchtlingen nach Syrien?

Die Rückkehr von syrischen Flüchtlingen in ihre Heimat ist etwas, was 40 Kilometer entfernt ist. Das wünscht sich jeder, das wünschen sich die Flüchtlinge. Aber es müssen die Bedingungen dafür existieren. Und in dieser Phase scheinen sie noch nicht für große Zahlen gegeben zu sein. Ein Anfang ist vor einigen Tagen geschehen. Wir verfolgen die Situation tagtäglich, um nach Kräften und mit bestem Wissen und Gewissen dem Libanon und den Flüchtlingen dienen zu können.


Wie in Libanon eine Million syrische Flüchtlinge versorgt werden

Erst Essenspakete, dann Papier-Bons, später Bargeld und Kreditkarten. Das Welternährungsprogramm (WFP) hat seine Hilfe für die syrischen Flüchtlinge in Libanon im Laufe der vergangenen sieben Jahre immer wieder angepasst. Mittlerweile kann in vielen Supermärkten per Iris-Scan bezahlt werden.

Das Programm und seine Entwicklung, hauptsächlich für syrische Flüchtlinge, aber auch für notbedürftige Libanesen, sehen ihren Anfang 2011, als die Krise in Syrien ausbricht und Menschen über die Grenze im Norden und im Osten des Landes kommen. Und nicht nur einige wenige, sondern – ein bisschen wie das in Deutschland im Jahr 2015 der Fall – zu Hunderttausenden.

Einen Austausch zwischen Libanon und Syrien hat es immer gegeben. Viele Gastarbeiter aus Syrien waren im Libanon vor allem in der Landwirtschaft und im Bauwesen tätig. Diese Masse von Menschen, die über die Grenze kommen, sind demnach zum einen keine Überraschung, zum anderen eine totale Überraschung. Es sind Menschen, die alles verlassen haben, mit wenig Hab und Gut kommen. Da hat das Welternährungsprogramm in der Anfangsphase Essenspakete verteilt, die das Wesentliche für eine Familie, die keine Möglichkeit zum Kochen hat, an Nahrung und an Unterstützung enthielten.

Der Libanon ist ein Land mit mittleren Einkommen, ein entwickeltes Land, wo es einen Bankensektor und eine gute Infrastruktur gibt. Demnach machte es wenig Sinn, mit großen Schiffen mit Reisladungen anzukommen und dort einen Parallelimport einzuführen. Gleich 2012 hat das WFP angefangen, Papier-Bons zu verteilen. Mittlerweile waren aber bis zu 300.000 Menschen über die Grenzen gekommen. Diese Nahrungsmittel-Bons wurden weiter verteilt und konnten in Geschäften verwendet werden. Geschäfte, die auch die Libanesen normalerweise besuchen würden und demnach keine extra für die syrischen Flüchtlinge aufgebauten Strukturen.

Mögliches Exportmodell

Die Schwierigkeit in der Phase war es, libanesische Geschäftsmänner überhaupt davon zu überzeugen, dass sie solche Bons akzeptieren würden, dass Flüchtlinge in ihren Geschäften willkommen geheißen würden als Kunden – weil eben das Risiko bestand, dass ein syrischer Flüchtlingsstrom potenziell den normalen Strom der libanesischen Kunden unterbrechen könnte. Eine weitere Herausforderung in der Phase war, dass Papier-Bons unter Umständen fotokopiert werden könnten. Wenn 300.000 Menschen versorgt werden müssen, bedeutet das einen regelrechten Berg dieser Papier-Bons, der ganze Bürozimmer füllte. Also hat das WFP im Libanon angefangen, diese Bons weiterzuentwickeln. Um die Kopierbarkeit zu erschweren, wurden Hologramme eingeführt. Es kamen Strichcodes hinzu, um das Zählen und die Transaktionen zu vereinfachen. Die Größe von Bons wurde mit denen von Banknoten gleichgebracht, damit die Zählmaschinen diese automatisch zählen konnten. Doch auch das wurde der Situation im Libanon nicht vollauf gerecht. Es war kein modernes System.

Zu dem Zeitpunkt entschied sich das WFP, auf handelsübliche Bankomat-Karten überzugehen. Diese Karten, ein finanzielles Produkt, mussten mit dem Einverständnis der libanesischen Zentralbank entwickelt werden. Dann konnten die Flüchtlingsfamilien in dieses Programm eingebracht werden: Jeder Familie wurde eine solche Karte gegeben, mit der sie nur Nahrungsmittelgüter in den Geschäften einkaufen konnten. Das war wiederum ein Entwicklungsschritt. Es handelt sich um Geschäfte in Städten, aber auch um solche im Bergland und in Gegenden, wo noch keine Verkaufsstelle vorhanden war.

Diese Entwicklung in ländliche Gegenden zu bringen, nutzte auch den Libanesen, die dort schon immer gelebt haben, aber noch nie diese Entwicklung erfahren konnten. Wie mit dieser Flüchtlingskrise umgegangen wurde und wird, diese humanitäre Antwort auf die Krise während der vergangenen sieben Jahre – all das kann unter Umständen ein Exportmodell werden für Länder, in denen ähnlich große humanitäre Krisen stattfinden, wo aber weniger ideale Standortfaktoren herrschen.


Der Weltgemeinschaft kurzes Gedächtnis

Ein Kommentar von Armand Back

Hilfe ist teuer. Im vergangenen Jahr kostete das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen fast sieben Milliarden Dollar. Für Syrien und seine Nachbarländer stellten die Geberländer im selben Zeitraum fast zwei Milliarden zur Verfügung. Das waren in dem Jahr rund 90 Prozent der im Vorfeld versprochenen Gelder. Länder wie Jordanien und Libanon konnten so mit der Hilfe der internationalen Gemeinschaft die Herausforderungen stemmen, die die syrischen Flüchtlinge für ihre Wirtschaft und ihr Zusammenleben bedeuten. In den Jahren 2014 und 2015 wurden jeweils nur um die 60 Prozent der zugesagten Gelder ausbezahlt. Das Welternährungsprogramm konnte den syrischen Flüchtlingen zeitweilig nicht mehr richtig helfen. Der Hunger trieb die Menschen weiter. Es war einer der Auslöser für das, was später einmal der europäische Flüchtlingssommer 2015 genannt werden sollte. Nun, kurz vor der Syrien-Konferenz, fehlt es wieder an Geldern, werden wieder Zusagen nicht eingehalten. Ändert sich in den kommenden Tagen nichts daran, werden Ende des Monats 170.000 syrische Flüchtlinge im Libanon kein Geld mehr bekommen. Wir sollten wissen, was das bedeutet.