PolenPiS hat sich Macht im Staat weit über die Abwahl hinaus zementiert

Polen / PiS hat sich Macht im Staat weit über die Abwahl hinaus zementiert
Auf der Oppositionsbank halten PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski (Mitte erste Reihe) und die seinen noch viele Strippen im Staat fest in der Hand Foto: AFP/Wojtek Radwanski

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Polens Außenminister Radoslaw Sikorski hat am Donnerstag in einer Grundsatzrede im Sejm die Wende in der polnischen Außenpolitik bekräftigt und so zum Regierungsprogramm erhoben: Das angespannte Verhältnis Warschaus zu Brüssel soll entspannt, das Weimarer Dreieck wiederbelebt und die Eiszeit mit Berlin beendet werden.

Sikorski ging in seiner Rede hart mit der Vorgängerregierung von „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) ins Gericht. Unter Parteichef Jaroslaw Kaczynski hatte sich Polen 2015-23 mit praktisch allen Nachbarländern überworfen. „Soviel Manipulation habe ich schon lange nicht mehr gehört“, kommentierte der PiS-freundliche Staatspräsident Andrzej Duda, der bei der Außenpolitik ein wichtiges Wort mitzureden hat.

Duda grämt dabei auch Donald Tusks angekündigte Abberufung von fast 60 Botschaftern. „Die Diplomatie muss aus den Klauen der Partei befreit werden und wieder professionell werden“, begründete der Regierungschef den Schritt. Die Botschafter berufe in Polen immer noch der Präsident, widersprach Duda. „Egal, dann haben wir eine andere Lösung“, gab sich Sikorski gelassen. Im Falle von Dudas Widerstand, so hatte man im Außenamt pragmatisch beschlossen, würden anstelle neuer Botschafter einfach „Chargés d’Affaires“ benannt. Betroffen sind neben Washington zentrale Posten wie London, Berlin, Paris, Rom, Kiew und Budapest.

Wenig Reformen vor 2025 möglich

Das Hauptproblem der Regierung von Donald Tusk ist nicht nur bei der Außenpolitik Staatspräsident Duda. Der Präsident hatte bereits am Wahlabend Mitte Oktober 2023 gedroht, sämtliche Gesetze, die die „Errungenschaften von acht Jahren PiS-Regierung“ gefährden würden, mit seinem Veto zu belegen. Tusks Mitte-links-Koalition jedoch hat zu wenig Abgeordnete im Sejm, um Dudas Vetos zu überstimmen. Damit kann Kaczynskis letzter Statthalter bis Sommer 2025 fast alle Reformen blockieren.

Dies verlangt von Tusks Dreiparteienkoalition – bestehend aus seiner liberalen Bürgerplattform (PO), dem zentristischen „Dritten Weg“ (bestehend aus Szymon Holownias katholisch-grüner Formation „Polen2050“ und der konservativen Bauernpartei PSL) und der „Neuen Linken“ – bei der Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit und dem Ende von vielen weltanschaulich begründeten Diskriminierungen viel Schlauheit gepaart mit Pragmatismus.

Tusks Bilanz nach gut 150 Regierungstagen ist durchwachsen. Außer der staatlich bezuschussten In-Vitro-Befruchtung hat Duda bisher alle Gesetze der neuen Koalition mit seinem Veto belegt oder sie, wie etwa das Staatsbudget 2024, zwar unterschrieben, aber zur Prüfung an das von PiS-Richtern beherrschte Verfassungsgericht übersandt.

Staatsfernsehen wieder pluralistisch

Tusk reagierte darauf bis jetzt mit der Taktik einer Dampfwalze, die manchmal hart am Rande der Rechtsstaatlichkeit fährt. So hatte der Kulturminister zum Jahreswechsel juristische Winkelzüge angewandt, um dem neuen Oppositionsführer Kaczynski das zum PiS-Propagandasender umgebaute Staatsfernsehen TVP, das Staatsradio und die staatliche Presseagentur PAP abzuknöpfen und dort neue, pluralistischere Programme zu senden. Kaczynski ließ dagegen seine Anhänger lautstark im ganzen Land protestieren und PiS-Abgeordnete besetzten Fernsehgebäude und die Nachrichtenagentur PAP.

Die Mitte-links-Regierung ließ in der Not die beliebten „Wiadomosci“, die Tagesschau, in privaten Studios produzieren und von dort ausstrahlen. Mit juristisch zweifelhaften Mitteln eroberte die neue Regierung so trotz der Gebäude-Besetzungen den Rundfunk relativ schnell zurück und ließ die schlimmsten PiS-Propaganda-Showmaster entlassen, teils jedoch ausgestattet mit hohen, arbeitsrechtlich bedingten Abfindungen.

Doch beim Staatshaushalt für 2024 musste Tusks Koalition pragmatisch vorgehen, um die fristgerechte Verabschiedung nicht zu gefährden. Ohne gültiges Budget hätte Duda das Parlament auflösen und eine von Kaczynskis letzten Hoffnungen auf den Machterhalt erfüllen können. Die Mitte-links-Koalition übernahm deshalb die Berechnungen der Vorgängerregierung, die siegessicher fürs Durch-Regieren auf Pump geplant hatte.

Schwieriger Rückbau der PiS-Justizreform

Weit schwieriger ist der Rückbau der PiS-Justizreform, die einen autoritären Staatsumbau begünstigen sollte. PiS hatte die Gewaltentrennung de facto aufgehoben und so Warschau mehrere EU-Rechtstaatsverfahren eingespielt. Sie führten zur Blockierung von EU-Geldern aus dem Wiederaufbaufonds. Diese hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nun kürzlich freigegeben, obwohl Polen – wegen Dudas Blockadehaltung – noch keine Gesetze zur effektiven Widerrufung der PiS-Rechtsbeugungen verabschieden konnte.

Finanziell helfen diese zusätzlichen EU-Gelder viel, doch juristisch gesehen herrscht in Polen fast ein halbes Jahr nach der zweiten demokratischen Wende immer noch ein Durcheinander. Dies speist sich vor allem aus der Tatsache, dass die zum Autoritarismus neigende PiS in den letzten acht Jahren Tausende der Partei hörige „Richter“ auf allen Gerichtsebenen installiert hat. Diese werden weder von Tusk noch der EU als Richter anerkannt, fällen aber weiterhin Urteile. Dies führt zu Gerüchten, wie etwa dem, dass von den PiS-hörigen, sogenannten „Neo-KRS-Richtern“ gefällte Scheidungsurteile nicht gültig seien, oder dass gar Gewaltverbrecher freigelassen werden müssten.

Justizminister Adam Bodnar will deshalb den von PiS eingesetzten „Richtern“ ein Verifizierungsverfahren anbieten. Wer sich keine politisch bedingten Urteile – etwa gegen unbotmäßige Richter-Kollegen – hat zuschulden kommen lassen, würde so übernommen.

Schwieriger gestaltet sich Tusks Kampf um die Oberstaatsanwaltschaft: Bodnar hat den von Kaczynski eingesetzten Oberstaatsanwalt Dariusz Baski aus formellen Gründen abberufen. Doch wie im Falle von TVP widersetzte sich der PiS-Beamte und besetzte mit einer Gruppe von Getreuen die Oberstaatsanwaltschaft in Warschau. Die Arbeit der Staatsanwaltschaft bleibt auch Wochen später teilweise paralysiert.

Pragmatischer Umgang mit der Kirche

Eine pragmatische Lösung bahnt sich im Umgang mit der katholischen Kirche an, die unter PiS verhätschelt großen Einfluss auf den Gesetzgebungsprozess genoss. Tusk hatte im Wahlkampf die völlige Trennung von Kirche und Staat versprochen. Nun muss aber im Einzelnen über Religionsunterricht und bereits versprochene Subventionen verhandelt werden. So bekommt etwa jener PiS-freundliche Exorzist, der Teenagern den Veganismus austreiben wollte, keine Zwei-Millionen-Euro-Spende des Justizministeriums. In anderen Fällen, wie dem staatlichen Fonds für Priesterrenten, wird vorsichtig gehandelt, denn viele PO, PSL und „Polska2050“-Mitglieder sind ebenso wie die PiS-Wähler gläubige Katholiken.

JJ
28. April 2024 - 8.43

Die alten Kommunisten sehen nicht gerade zufrieden aus. Der Restzwilling alleine gegen die Neue Welt. Die Kirche passt zum Verein und Exorzisten sollten eigentlich im 21. als Peinlichkeit vergessen werden. Aber auch der Vatikan bildet noch immer welche aus.Die Dummheit treiben sie jedenfalls nicht aus.