Orange Week25 Jahre Gleichheit: Kein Grund zum Feiern

Orange Week / 25 Jahre Gleichheit: Kein Grund zum Feiern
Einen Marsch durch die Straßen wie 2018 wird es in diesem Jahr aufgrund der sanitären Lage nicht geben. Das Thema der Gewalt gegen Frauen bleibt aber immer noch ein Thema. Foto: Editpress-Archiv/Hervé Montaigu

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Gefeiert wird dieses Jahr aus bestbekannten Gründen nicht. Mit einer bunten Geschenkbox hat das Ministerium für die Gleichstellung zwischen Frauen und Männern an den 25. Jahrestag seiner Gründung erinnert. Aber vielleicht gibt es auch gar keinen wirklichen Grund zum Feiern?

Durch die Straßen von Esch hätte der Umzug unter dem orangefarbenen Banner der „Orange Week“ am Samstag ziehen sollen. Aus sanitären Gründen wurde jedoch darauf verzichtet. Die Gewalt gegen Frauen ist aber immer noch ein Thema.

Es zieht sich wie ein Leitfaden durch die vergangenen 25 Jahre der luxemburgischen Frauenpolitik, es ist einer der seltenen gemeinsamen Nenner, der sich durch die Aktionen aller vier bisherigen Amtsträgerinnen zieht. Marie-Josée Jacobs, Françoise Hetto, Lydia Mutsch und Taina Bofferding haben nacheinander für das Frauenministerium verantwortlich gezeichnet. Sie haben jedoch unterschiedliche Akzente gesetzt.

1995 war der neue Premierminister Jean-Claude Juncker mit der Ernennung von Marie-Josée Jacobs für eine Überraschung gut. Ein Vorläufer war er damit nicht. Bereits 19 Jahre zuvor hatte in Frankreich Präsident Valery Giscard d’Estaing Françoise Giroud mit diesem Amt betraut. 1995 hatten alle europäischen Staaten eine Frauenbeauftragte in ihren Reihen. Für die osteuropäischen EU-Kandidaten war das im Hinblick auf ihre Aufnahme sogar Pflicht.

Wir müssen etwas in den Köpfen der Menschen ändern

Marie-Josée Jacobs (CSV), erste Frauenministerin

Marie-Josée Jacobs wurde 1995 zur Familienministerin ernannt
Marie-Josée Jacobs wurde 1995 zur Familienministerin ernannt Foto: Editpress/Julien Garroy

Die Wahl war auf den ersten Blick befremdlich. Eine Parteigängerin aus dem Norden, Junggesellin, Krankenschwester und Gewerkschafterin, wurde mit den Rechten der Frauen betraut. Dass sie zusätzlich auch Familienministerin war, sollte möglicherweise die Sache abrunden.

Marie-Josée Jacobs jedoch sah die Sache anders. Einkommensunterschiede, Kinderbetreuung, Ausbildung, Erziehungspauschale, Rentengleichheit. Sie hat in ihrer elfjährigen Amtszeit viele Themen mit viel persönlichem Engagement angepackt und zur Basis für spätere Arbeiten gemacht. Besonders stolz ist sie rückblickend auf die Einrichtung der ersten Frauenhäuser und auf die Thematisierung der häuslichen Gewalt. Gekämpft hat sie für einen Mentalitätswechsel, für die Akzeptanz der Gleichberechtigung. Der Lohnunterschied lag 1995 noch bei 28 Prozent.

Überzeugungsarbeit

Die ersten „Maison relais“ gehen auf Jacobs’ Kappe, genau wie 1999 (auf Bestreben der EU) die Einführung des „Congé parental“. Bedauert hat sie, dass trotz großzügiger finanzieller Bemessenheit der Pauschale die Männer anfangs nicht vom Nutzen des Elternurlaubs zu überzeugen waren, genauso wenig wie die Unternehmer und die Gewerkschaften.

Auch in den Schulen hat die Ministerin viel Überzeugungsarbeit geleistet, um die Mädchen von einer ausreichenden Ausbildung zu überzeugen. Sie hat mehr als einen Parteigänger vor den Kopf gestoßen, wenn sie angesichts der hohen Scheidungsraten die Frauen davor warnte, Beruf und Karriere zugunsten von Mann und Kind aufzugeben. Mit der Vergütung der Babyjahre und der Erziehungszeit wurden auch schon erste Weichen für eine Individualisierung der späteren Rente der Frauen gestellt. „Wir müssen etwas in den Köpfen der Menschen ändern“, hat Marie-Josée Jacobs immer wieder gepredigt. Mit ihren „actions positives“ hat sie jedes Mal den konkreten Beweis erbracht, dass sich der Kampf lohnt. Das erste Gesetz zur Bekämpfung der häuslichen Gewalt, das erstmals die Opfer zu schützen versuchte, entstand ebenfalls unter ihrer Federführung.

Inspiriert von der ersten großen Weltfrauenkonferenz in Peking, die fast zeitgleich mit ihrer Amtsübernahme stattfand, hat sie auch „Gendermainstreaming” zum politischen Schlagwort gemacht und immer wieder zur ausgewogenen Behandlung von Frauen und Männern im Berufs- und öffentlichen Leben aufgerufen.

„Keine Feministin“

Erst 2006 wurde das Gleichheitsprinzip in der Verfassung verankert. Zu diesem Zeitpunkt hat Marie-Josée Jacobs das Zepter bereits an ihre Parteikollegin Françoise Hetto-Gaasch weitergereicht. Diese machte aus dem ursprünglichen Frauenförderministerium ein „Ministerium der Chancengleichheit“ und sprach von der „Gleichbehandlung der Geschlechter“. Sie hatte auch ein Ohr für ungleich behandelte Männer. „Ich bin keine Feministin“, hatte sie gleich bei ihrer Amtsübernahme erklärt und sich im gleichen Atemzug von der damals geforderten Quotenregelung bei der Aufstellung von Wahllisten distanziert.

Für Jacobs war der Menschenhandel ein Thema gewesen, dem sie einen angepassten gesetzlichen Rahmen geben wollte. Françoise Hetto-Gaasch ging einen Schritt weiter und wagte sich an das Thema Prostitution heran. Den von ihrer Vorgängerin bereits angedeuteten und von den Frauenverbänden verteidigten Weg der Bestrafung der Kunden der Prostituierten (schwedisches Modell) wollte sie jedoch nicht gehen, sondern lediglich die Zuhälterei bestrafen.

Auch in der Reform der Scheidungspolitik hat sie die weiblichen Realitäten außer Acht gelassen, wenn sie sich vorstellte, dass bei einer „garde alternée“ die Kinder im gemeinsamen Haus bleiben und abwechselnd von Vater und Mutter betreut werden könnten, was eine komplette Missachtung der tatsächlichen Lebensumstände der Betroffenen war. Bis heute sind die Alleinerziehenden und die damit verbundene Gefahr der Armut für das Frauenministerium kein Thema.

Die Bestrafung der Gewalt gegen Frauen lag Hetto-Gaasch am Herzen, ebenso eine gerechte Lohnpolitik, die Förderung der Frauen in der politischen und wirtschaftlichen Verantwortung und der Kampf gegen die immer noch in den Schulen und in der Gesellschaft vorhandenen Stereotypen.

Quoten und Kinder

Der Kampf gegen die Stereotypen war eine der Herzensangelegenheiten der dritten Mandatsträgerin, Lydia Mutsch, mit deren Amtsübernahme das Ministerium in die Hände der LSAP wechselte. In Erinnerung bleibt ihr die entsprechende Aufklärungsarbeit in den Schulen.

Anders als ihrer Vorgängerin lagen ihr die Chancengleichheit der Frauen und der große Nachholbedarf am Herzen. Sie scheute nicht vor dem Unwort „Quoten“ zurück, sondern strebte ein allgemeines Verhältnis von 40 Prozent Frauen in der politischen, wirtschaftlichen und verwaltungstechnischen Verantwortung an. Damit übernahm sie einen Gleichstellungskampf, den Viviane Reding in ihrer Eigenschaft als EU-Kommissarin ebenfalls angestoßen hatte.

Lydia Mutsch hat die Gehältergleichheit gesetzlich verankert
Lydia Mutsch hat die Gehältergleichheit gesetzlich verankert Foto: Editpress/Tania Feller

Bei ihren Kollegen in der Regierung konnte sie durchsetzen, dass sämtliche neuen Posten in der Staatsverwaltung paritätisch besetzt wurden. Diese häufig verschriene Quotenregelung verstand sich auch als Signalwirkung für die Privatunternehmen.

Unter Lydia Mutsch wurde die Gehältergleichheit gesetzlich verankert. Allein den von ihr angedachten neuen legalen Rahmen für die Regelung der Prostitution hat sie nicht durchsetzen können. Dafür hat sie die luxemburgische EU-Präsidentschaft 2015 genutzt, um die hiesige Frauenpolitik international sichtbar zu machen. In Mutschs Amtszeit fällt auch die luxemburgische Unterzeichnung der sogenannten „Istanbul-Konvention“, die ein weiterer Schritt zur Bekämpfung von häuslicher Gewalt ist. Die konkrete Umsetzung kommt allerdings nur schwer in die Gänge.

Soziales Engagement

Häusliche Gewalt ist auch für die vierte Chefin im „Frauenministerium” Taina Bofferding (LSAP) ein Thema. Ihr Ministerium unterstützt die Organisatorinnen der „Orange Week“, die zwischen dem 25. November und dem 10. Dezember dieses Thema zur Sprache bringt. Diese Art von „Frauenkampf“ ist jedoch nicht Bofferdings Priorität.

Sie hat das Ministerium bei ihrer Amtsübernahme 2018 erneut umbenannt und – wiederum mit stärkerem Augenmerk auf die Männer – aus der „Chancengleichheit“ ein „Ministerium für die Gleichstellung zwischen Frauen und Männern“ gemacht. Hinter diesem neuen Namen verbirgt sich ein starkes soziales Engagement und ein bislang eher wörtliches Bekenntnis zur Gleichstellungsarbeit bei der Jugend und in der Erziehung.  Der zum 25. Jahrestag veröffentlichte „Plan d’action national pour une égalité entre les femmes et les hommes“ zeichnet nicht weniger als sieben politische Prioritäten auf, darunter politisches Engagement, genderpolitische Erziehung und Kampf gegen die häusliche Gewalt. Er lässt aber keine konkrete Marschrichtung erkennen. Die Lehrer sind nicht mehr sensibilisiert und in den einzelnen Ministerien ist die Chancengleichheit auch kein Thema mehr.

Spezialisten der Frauenpolitik vermissen darin auch das Engagement gegen sexuelle Gewalt und Bedrängnis am Arbeitsplatz, sie bedauern, dass internationale Bewegungen wie #MeToo an Luxemburg fast spurlos vorbeigegangen sind, als ob wir nicht davon betroffen wären.

Die verschiedenen Ministerinnen geben sich allzu gerne mit der Veröffentlichung „farbenfroher Faltblätter“ zufrieden, monieren politische Beobachter. Der aktuellen Amtsträgerin wird vorgeworfen, keine institutionellen Mechanismen eingerichtet zu haben, um die Chancengleichheit umzusetzen. Dadurch würden Notfälle übersehen. Immer wieder wird auch davor gewarnt, dass die Chancengleichheit in den einzelnen Ministerien kein Thema mehr ist, woraufhin sich unweigerlich die Frage stellt, ob und wie das Ministerium erhalten bleibt.

Die internationalen Gremien sind genauso streng. Die UNO-Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (Cedaw) wirft Luxemburg in ihrem Bericht von 2018 vor, der Frage der Diskriminierung allzu neutral gegenüberzustehen und die Gleichberechtigung nicht zu fördern, dies nicht zuletzt, weil das Ministerium in seiner aktuellen Form zu restriktiv ausgelegt sei, um eine Richtung vorzugeben. Darüber hinaus könne Luxemburg kein zuverlässiges statistisches Material über die aktuelle Lage liefern. Von der UNO wird der Regierung deshalb nahegelegt, die Bemühungen zur Gleichstellung fortzusetzen und sich eine globale Strategie zu geben, mit spezifisch Beauftragten in jeder Regierungsstelle.

Lët’z say no to violence against women

Zum vierten Mal in seiner Geschichte beteiligt sich Luxemburg an der „Orange Week“, einer internationalen Aktion gegen Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Bereits seit 2008 lädt die UNO mit ihrer Kampagne „UNiTE“ Regierungen, Nicht-Regierungsorganisationen, Medien und Unternehmen ein, sich für dieses Thema zu mobilisieren.
Der Solidaritätsmarsch am 21. November wurde aus sanitären Gründen abgesagt, das Programm „Lët’z say no to violence against women“ jedoch wird vom 25. November (internationaler Tag der Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen und Mädchen) bis zum 10. Dezember (Tag der Menschenrechte) stattfinden. Eine Reihe von Gemeinden und Unternehmen wie die Zentralbank, die Eisenbahn, der Fonds Belval oder die Kanzlei Elvinger, Hoss, Prüssen werden ihre Einrichtungen orangefarben beleuchten, unterstützt von punktuellen Aktionen von „Fondation Pro Familia“, „SOS Kannerduerf“ oder der „Ecole privée Sainte-Anne“ und von „Stëmm vun der Strooss” und „CID Fraen a Gender“ organisierten Workshops zum Thema sexistische Gewalt. Das komplette Programm ist auf www.cnfl.lu einzusehen. Die Teilnehmer werden aufgefordert, sich mit einem orangefarbenen Merkmal zur Kampagne zu bekennen, speziell angefertigte Masken können auf der gleichen Webseite angefordert werden.