Zwischen Zelten des Flüchtlingshilfswerks und Abfällen liegt ein Friedhof. Hier, mitten im äthiopischen Kobe, hatten Mitarbeiter der Vereinten Nationen die 36 Gräber vor wenigen Tagen zufällig im Flüchtlingscamp entdeckt. Somalier haben Familienangehörige beigesetzt, die den Hunger, die Dürre und die beschwerliche Reise nach Äthiopien nicht überlebt haben. Das Erschreckende: Die meisten der mit Zweigen und Steinen gekennzeichneten Erdhügel sind klein – ein unverkennbares Zeichen für das Grauen, das der Krisenstaat Somalia derzeit erlebt. Denn es sind vor allem Kinder, die dem Hunger zum Opfer fallen.
Der UN-Koordinator für humanitäre Hilfe in Somalia, Mark Bowden, erklärte die Dürre-Situation in Teilen des Krisenlandes am Mittwoch offiziell zur Hungersnot. Die Lage sei „schockierend und verzweifelt.“ Bowden rief dringend zu Spenden für die Betroffenen auf. „Die Menschen in Somalia verdienen unsere ungeteilte Aufmerksamkeit“, betonte er.
Fünf Tage zu Fuß gelaufen
Dehebe ist mit ihrem Mann Ibrahim und den neun Kindern fünf Tage zu Fuß gelaufen, um die Flüchtlingscamps im äthiopischen Dolo Ado zu erreichen. Ihre Mutter und Schwester liegen in Somalia begraben. Sie haben den Hunger nicht überlebt.
„Wir haben unsere Farm und unser gesamtes Vieh verloren und haben nur noch unsere Kinder“, sagt sie. „Jetzt werden wir dafür kämpfen, dass sie überleben.“ Aber alle ihrer Kinder sind krank, sie sind entweder schwer unterernährt oder leiden an Malaria. Zwei der Söhne sind so dünn und schwach, dass sie bewegungslos in der selbst gebauten und mit Lumpen bedeckten Hütte liegen.
25.000 Menschen in einem Camp
Und Dehebe hat noch Glück gehabt, denn sie hat einen Platz im erst vor wenigen Wochen eröffneten Kobe-Camp bekommen. Seit vergangenem Samstag hat das Lager seine volle Kapazität erreicht, 25 000 Menschen haben hier in kürzester Zeit Zuflucht gesucht. „Aber ein weiteres Camp – Haloweyn – ist schon in Vorbereitung“, sagt UNHCR-Koordinator Jo Hegenauer bei einem Besuch in der Region der Nachrichtenagentur dpa. Es werde Platz für weitere 35 000 Somalier bieten.
Etwa 99 Prozent aller Flüchtlinge könnten sich nicht einmal die Fahrt mit einem der überfüllten Lastwagen erlauben und liefen zu Fuß über die Grenze, erklärt Hegenauer. Wer die Reise überlebt, wird im sogenannten „Reception Centre“ registriert und bekommt erstmals nach Tagen wieder eine warme Mahlzeit. Zudem verteilt das Welternährungsprogramm (WFP) mit Vitaminen und Mineralien angereicherte Nahrungsmittel.
Ein Essen pro Tag
Von hier aus geht es mit Minibussen zum „Transit Centre“, das maximal 16.000 Flüchtlingen Platz bietet. Meist bleiben die Menschen hier knapp eine Woche, bis sie einen Platz in einem der Camps bekommen, und erhalten ebenfalls ein Essen pro Tag. Neben dem UN-Flüchtlingskomitee und dem WFP sind noch mehrere andere Organisationen in Dolo Ado vertreten, darunter „Save the Children“, mehrere äthiopische Nichtregierungsorganisationen und „Ärzte ohne Grenzen“ (MSF).
In den Zentren selbst werden an jede Familie Lebensmittel für einen Monat verteilt, zudem Decken und Kochutensilien. Wer keinen Platz in einem der UNHCR-Zelte bekommt, baut sich selbst eine behelfsmäßige Unterkunft aus Zweigen und Lumpen. Rund 120 000 Menschen leben derzeit in den drei äthiopischen Camps. Zudem wird der Gesundheitszustand der Kinder untersucht. Derzeit behandelt „Ärzte ohne Grenzen“ allein in Kobe 2200 kleine Patienten, die an Unterernährung, Durchfall und anderen Krankheiten leiden. Sie erhalten vor allem die Spezialnahrung „Plumpy’nut“, eine Erdnussbutter-Paste mit vielen Vitaminen, die den hungernden Kindern ihre Energie wiedergeben soll.
Eine schwierige Arbeit
„Manchmal ist diese Arbeit sehr schwierig, allein vergangene Woche sind zwei Kinder gestorben“, sagt MSF-Krankenpfleger Vassilis Takos. „Aber am schlimmsten ist es natürlich für die Flüchtlinge, ich kann ja in ein paar Monaten wieder nach Hause gehen.“
Wie die Zukunft der Flüchtlinge aussehen wird, ist tatsächlich völlig ungewiss. „Die internationale Gemeinschaft wird irgendwann über ihr Schicksal entscheiden, aber traditionell bleiben die Somalier sehr lange in den Flüchtlingscamps“, meint Hegenauer.
Auch die 19-jährige Mariam Gemale hat nicht vor, jemals in ihr zerrüttetes Heimatland zurückzukehren. Sie hat sich gerade nach einem mehrtägigen Fußmarsch als Flüchtling registrieren lassen und hockt mutterseelenallein auf der Erde. „Ich bin einfach einer Gruppe von Leuten hinterhergelaufen, weil ich etwas zu essen brauchte“, sagt sie traurig. „Wenn ich hier etwas gegen meinen Hunger bekomme, dann werde ich bleiben, bis ich sterbe.“
De Maart

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