Die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei verschlechtern sich immer weiter. Die Gründe sind die Inhaftierung des Korrespondenten Deniz Yücel von der Zeitung „Die Welt“ in der Türkei sowie Auftrittsverbote türkischer Politiker in Deutschland.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan wirft dem Journalisten vor, für Deutschland zu spionieren. Türkische Regierungsvertreter planen unterdessen, vor der Volksabstimmung am 16. April für eine Verfassungsreform in ihrem Land in mehreren EU-Staaten wie Deutschland und den Niederlanden zu werben. Die zur Entscheidung stehende Einführung eines Präsidialsystems würde Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan deutlich mehr Macht verleihen und das Parlament schwächen.
Kern will „gemeinsame Vorgehensweise der EU“
Türkischen Ministern, die in Deutschland Wahlkampf für das umstrittene Verfassungsreferendum machen wollen, wurden die Auftritte zum Teil untersagt. Die Türkei kontert, ein Minister nennt die Verbote „faschistisch“.
Ob Deniz Yücel in diesem Zusammenhang nun als „politische Geisel“ gesehen werden kann, sei einmal dahingestellt. Fest steht, dass der Mann aufgrund der Ausübung seines Berufes in der Türkei verhaftet wurde. Wie fast 200 seiner türkischen Berufskollegen, die seit dem fehlgeschlagenen Putschversuch im Juni vergangenen Jahres ebenfalls ins Gefängnis wanderten. Die Vorwürfe reichen von Präsidentenbeleidigung bis zur Unterstützung einer terroristischen Organisation.
Der österreichische Bundeskanzler Christian Kern hat sich nun für ein EU-weites Verbot von Wahlkampfauftritten türkischer Politiker ausgesprochen. „Eine gemeinsame Vorgehensweise der EU, um solche Wahlkampfauftritte zu verhindern, wäre sinnvoll“, sagte Kern der „Welt am Sonntag“. Damit könnte verhindert werden, dass einzelne Länder wie Deutschland, in denen solche Auftritte untersagt würden, unter Druck der Türkei gerieten, fügte der Sozialdemokrat hinzu.
Pressefreiheit sei ein Fremdwort
Mit Blick auf die geplante Verfassungsänderung kritisierte Kern, dass „die Einführung eines Präsidialsystems den Rechtsstaat in der Türkei noch weiter schwächen, die Gewaltenteilung einschränken und den Werten der Europäischen Union widersprechen würde“.
Der Regierungschef aus Wien warf Ankara vor, „Menschenrechte und demokratische Grundrechte mit Füßen“ zu treten. Pressefreiheit sei ein Fremdwort in dem Land am Bosporus. Das zeige auch die Inhaftierung des deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel und weiterer Journalisten und Wissenschaftler.
Abbruch der EU-Beitrittsgespräche
Kern bekräftigte in diesem Zusammenhang seine Forderung nach einem sofortigen Abbruch der EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei: „Wir sollten die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei nicht nur vorübergehend aussetzen, sondern beenden. Wir können nicht weiter mit einem Land über eine Mitgliedschaft verhandeln, das sich seit Jahren Schritt für Schritt von demokratischen Standards und rechtsstaatlichen Prinzipien entfernt.“ Auch die Vorbeitrittshilfen von 4,5 Milliarden Euro bis zum Jahr 2020 sollten umgehend gestrichen oder als Druckmittel für politische Reformen verwendet werden.
Seit einem knappen Jahr aber ist die Europäische Union über ein Abkommen mit der Türkei verbunden. Dieses erlaubte es den EU-Staaten, der Flüchtlingskrise Herr zu werden. Gegen milliardenschwere Überweisungen aus Brüssel sowie einer Art Tauschhandel von illegalen Flüchtlingen besonders aus Griechenland gegen legale, die sich in Lagern in der Türkei aufhalten, verpflichtet sich die Türkei, Menschen vor allem aus Syrien nicht mehr einfach aus dem Land in Richtung EU reisen zu lassen.
Wer sitzt am längeren Hebel?
Mit diesem Flüchtlingsabkommen sowie der Schließung der Balkanroute konnten die EU-Staaten den Zustrom von Flüchtlingen aus den Kriegsgebieten im Nahen Osten und aus Afghanistan drastisch reduzieren. Dieser Schritt galt als notwendig, um innenpolitisch nicht weiter unter Druck zu geraten. In mehreren europäischen Ländern hatten zuvor rechtspopulistische Parteien die Flüchtlingskrise für ihre Zwecke instrumentalisiert und mit anti-islamischer und fremdenfeindlicher Politik ihre Beliebtheitswerte steigern können.
Erdogan und türkische Minister drohen seitdem wiederholt, das Abkommen aufzukündigen. Das setzt Brüssel unter Druck. In mehreren europäischen Ländern wird dieses Jahr gewählt. Der Blick geht dabei besonders Richtung Niederlande, Frankreich und Deutschland, wo rechtspopulistische Parteien nach mehr Macht greifen wollen. Eine neue Flüchtlingskrise würde ihnen in die Hände spielen. Das weiß auch Erdogan.
EU-Auffanglager für Flüchtlinge auf dem Westbalkan
Um diesem Druck aus der Türkei zu begegnen, kommen wiederum Vorschläge aus Wien, dieses Mal allerdings vom Außenminister Sebastian Kurz. Der Politiker der konservativen ÖVP fordert EU-Auffanglager für Flüchtlinge in Georgien oder auf dem Westbalkan.“ Wir brauchen Flüchtlingszentren außerhalb der EU, die gemeinsam mit dem UNCHR betrieben werden“, sagte Kurz der „Bild am Sonntag“.
„Wo genau diese sind, ist nicht so entscheidend. Wichtig ist, dass sie Schutz bieten und dass Menschen, die sich illegal auf den Weg nach Europa machen, dorthin zurückgebracht werden“, sagte Kurz. Solche Einrichtungen könnten in Ländern wie „Ägypten, in Georgien oder einem Land im Westbalkan“ liegen.
De Maart

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