Am 9. September 2012 entschuldigte sich der belgische Premierminister Elio Di Rupo bei der jüdischen Gemeinschaft für die Mitverantwortung belgischer Behörden bei der Deportation jüdischer Bürger während der Nazibesatzung. Und in Luxemburg? Einige Historiker und Politiker wollen mit der Schwarzweißmalerei aufräumen, wonach alle Luxemburger auf der „guten“ Seite standen. Laut dem Historiker Serge Hoffmann hat die Luxemburger Ersatzregierung zwischen Mai und Herbst 1940 aktiv mit den Nazis zusammengearbeitet.
Am 19. September warf er in einem Tageblatt-Artikel die Frage auf, warum es bis dato keine offizielle Entschuldigung aus Luxemburg gebe. Aufgrund der Parallelen zwischen den beiden Ländern wäre dies angebracht. „Sowohl in Belgien als auch in Luxemburg kollaborierten die ‚Ersatzregierungen‘ mit den Nazis und unternahmen nichts gegen die Judenverfolgung in ihren jeweiligen Ländern.“
„Certain flou“
In einer parlamentarischen Frage vom 28. September 2012 wollte der Abgeordnete Ben Fayot (LSAP) von Premierminister Jean-Claude Juncker wissen, ob es nicht an der Zeit sei, dass sich Luxemburg – so wie Belgien – bei der jüdischen Gemeinschaft entschuldige. Die Antwort von Jean-Claude Juncker verblüfft. Es brauche noch eingehendere Recherchen; und was die Beteiligung der luxemburgischen Verwaltung an der Deportation von Juden angehe, meint Juncker: „Il subsiste en effet un certain flou.“
Eine Antwort, über die sich der Historiker Denis Scuto schockiert zeigte. In seiner „carte blanche“ auf RTL vom 8. Februar 2013 sagte er, 280 jüdische Kinder seien von der Schulverwaltung oder Lehrern an die Nazis denunziert und anschließend deportiert und ermordet worden. Diese Tatsache sei kein „flou“. Die Version, nach der die Nazis sofort am 10. Mai 1940 die totale Kontrolle über die Verwaltung übernahmen, zweifelt auch Ben Fayot an. „Es ist an der Zeit, mit dieser Schwarzweißmalerei aufzuraümen“, sagte er dem Tageblatt gegenüber.
Eine Mitschuld
Zwischen dem 10. Mai und Herbst 1940 habe die luxemburgische Verwaltung normal und mit einer gewissen Autonomie gearbeitet. Daraus ergebe sich eine Mitschuld an der Deportierung der Juden. Als besonderen Skandal sieht Fayot die Tatsache, dass ausländische Juden, die in Luxemburg wohnten, im Gegensatz zu den luxemburgischen nach dem Krieg nicht entschädigt wurden. Aus diesem Grunde wollte Fayot auch vom Premier wissen, wie es mit den Empfehlungen des Expertenberichts aus dem Jahre 2009 über den Raub jüdischen Eigentums stehe.
Er habe mit dem Präsidenten des jüdischen Konsistoriums vereinbart, dass man sich darüber beraten wolle, wie die Empfehlungen des Berichts umgesetzt werden könnten. Dem widerspricht der Präsident des „Consistoire israélite“, François Moyse. Außer den Aussagen, es müsse etwas geschehen, habe er nichts vom Premierminister gehört, sagte er dem Tageblatt. Die Forderung nach einer offiziellen Entschuldigung habe die Kommission 2009 nicht gestellt. Ihre Aufgabe sei es gewesen, das Kapitels der Enteignungen aufarbeiten. Wenn sich nun aber herausstelle, wie Serge Hoffmann dies behauptet, dass die Verwaltung damals nicht neutral war und kollaboriert habe, dann müsste man das ernsthaft analysieren. Dann stelle sich sehr wohl die Frage einer öffentlichen Stellungnahme.
Keine Rückgabeforderungen
In dem Bericht von 2009 wird auch das Thema der Raubkunst angesprochen. Die Kommission habe das Thema damals eher als prinzipielle Frage aufgeworfen, sagte François Moyse. Konkrete Anhaltspunkte, dass sich solche Kunst in luxemburgischen Sammlungen befände, gebe es keine.
Der Meinung ist auch der Direktor des nationalen Kunstmuseums, Michel Polfer. Es gebe zwar einige Werke, deren Herkunft nicht eindeutig geklärt sei. Rückgabeforderungen habe es aber nie gegeben. Das Museum habe seine Hausaufgaben gemacht, alle Informationen seien öffentlich. Sollte es noch Forderungen von Nachkommen jüdischer Opfer geben, sei man kooperationsbereit.
Keine Gedenkstätte
Etwa 3.900 Juden lebten bis zum Einmarsch der Nazis 1940 in Luxemburg. Vielen gelang es, zu flüchten; 677 wurden deportiert. Aber auch von den Geflüchteten wurden viele später von den Nazis verschleppt. Eine nationale Gedenkstätte für die Shoah gibt es im Gegensatz zu vielen anderen Ländern in Luxemburg bis dato nicht. Ein Drittel der luxemburgischen Juden starb während und wegen der Nazibesatzung. Das Schicksal von 912 Personen ist bis heute unbekannt. Von den 3.907 Juden, die vor dem 10. Mai 1940 in Luxemburg lebten, blieben im September 1940 nur noch 70.
De Maart

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