Urteile in Ergenekon-Prozess gekippt

Urteile in Ergenekon-Prozess gekippt
(reuters)

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Schlappe für Erdogan: Das höchste türkische Berufungsgericht hat die Verurteilung hunderter Militärs, Journalisten und Akademiker wegen einer angeblichen Verschwörung gegen die Regierung für null und nichtig erklärt.

Das Oberstes Berufungsgericht der Türkei habe seine Entscheidung mit einem „Mangel an Beweisen“ für die Existenz einer „terroristischen Organisation“ begründet, die den damaligen Regierungschef Recep Tayyip Erdogan habe umstürzen wollen, meldete die Nachrichtenagentur Anadolu.

2013 waren 275 Angeklagte im Prozess um die so genannte Ergenekon-Verschwörung „wegen gewaltsamen Umsturzversuches“ zu langen Haftstrafen verurteilt worden. 16 von ihnen erhielten lebenslang, unter ihnen der frühere Generalstabschef Ilker Basbug, der Journalist Tuncay Özkan und der links-nationalistische Parteichef Dogu Pericek.

Angebliche Verschwörung

Unter den Verurteilten waren dutzende ranghohe Militärangehörige. Zwar wurden die meisten Urteile nicht vollstreckt, doch galten für etliche Verurteilte Reisebeschränkungen und andere Auflagen. Der Fund eines geheimen Waffen- und Sprengstofflagers bei einem Ex-Offizier in einem Istanbuler Vorort hatte die Ermittlungen im Juni 2007 gestartet.

Die Staatsanwaltschaft wollte bei der weiteren Untersuchung ein weitreichendes Netzwerk aus Offizieren, Journalisten und Akademikern aufgedeckt haben. Laut Staatsanwaltschaft gründete das Netzwerk den nach der mythischen Heimat der Türken in Zentralasien benannten Geheimbund Ergenekon. Dessen Ziel soll der Sturz der islamisch-konservativen Regierung Erdogans gewesen sein, des heutigen Staatspräsidenten.

Illegale Ermittlungspraktiken

Die Angeklagten wiesen stets alle Vorwürfe zurück und bezeichneten Ergenekon als eine Erfindung der Regierung, um das Ansehen der Armee im Volk zu zerstören. Auch die säkulare Opposition und Bürgerrechtler sahen in dem Prozess ein politisches Manöver, um unliebsame Gegner zum Schweigen zu bringen. Das Berufungsgericht beklagte in seinem Urteil mannigfache Unregelmäßigkeiten, von illegalen Abhöraktionen des Geheimdienstes bis zur Zusammensetzung des Tribunals, das schließlich die Strafen verhängt hatte.

Nach dem Urteil vom Donnerstag ist der Weg nun frei für einen ganz neuen Prozess. Wer hinter der mutmaßlichen Fabrikation der Vorwürfe steckt, ist unklar. Erdogan gehörte als Ministerpräsident lange zu den erbitterten Gegnern des Militärs, bevor er vor wenigen Jahren eine Kehrtwende vollzog. Inzwischen wirft er seinem einstigen Verbündeten und heutigen Erzfeind, dem exilierten islamischen Prediger Fethullah Gülen, vor, die Ergenekon-Ermittlungen gesteuert zu haben.

Vizeministerpräsident Yalçin Akdogan bekräftigte den Vorwurf am Donnerstag im Kurznachrichtendienst Twitter: Das Netzwerk von Imam Gülen habe „den Gerichtsprozess vergiftet“. Oppositionsführer Kemal Kiliçdaroglu hielt dagegen fest, die Entscheidung zeige, dass es „noch immer Richter in diesem Land gibt“.