Vor Gericht wurde am Donnerstag der sogenannte CHL-Prozess fortgesetzt, bei dem sechs Ärzte und sechs Krankenpfleger der fahrlässigen Tötung an einem dreijährigen Unfallopfer beschuldigt sind. Es war der Vertreter der Staatsanwaltschaft, der den Experten darauf ansprach, dass am Montagmorgen, 62 Stunden nach dem Unfall, noch niemand von einem fatalen Ende des Kleinkindes ausgehen konnte.
In seiner Antwort berief sich der Experte auf Artikel, die im Jahre 2008, also drei Jahre nach den verhandelten Fakten, in einer breit angelegten Studie die Überlebenschancen in solchen Fällen festhielten. Diesen Informationen zufolge könnte man laut dem Gutachter das fatale Ende des Opfers am Montagmorgen schon mit rund 60 Prozent beziffern. Ob dieser spontanen Aussage verlor Me Assa, der einen der Ärzte verteidigt, seine Contenance und forderte vom Gerichtsschreiber vehement einen Eintrag in das Verbatim, das dieser eh dabei war zu schreiben. Der Experte versuchte zu beschwichtigen, indem er einräumte, dass der genannte Prozentsatz ungefähr sei.
Nach einer kurzen Pause kam der Experte Philippe Hantson auf diesen Punkt zurück und bestätigte, dass die Sterberate, oder besser gesagt die Todeswahrscheinlichkeit des verunglückten Kindes in diesem spezifischen Fall am Montagmorgen schon bei 89 Prozent lag. Somit waren seine Überlebenschancen zu diesem Zeitpunkt 11 Prozent.
Fehlte es an Analysen?
Me Pol Urbany brachte den Experten dann dazu, den Ärzten in aller Herren Länder, die immer noch Propofol bei Kleinkindern einsetzen, zu raten, während der Behandlungsdauer regelmäßig Analysen vorzunehmen, um die damals schon bekannten Nebenwirkungen im Auge zu behalten.
Dies bewirkte bei den Verteidigern der Ärzte eine Inflation an Mitteilungen über die vielfältigen Analysen, die in diesem Fall durchgeführt wurden.
Todes-Ursache
Me Valérie Dupong, die einen der Intensivmediziner verteidigt, wollte vom Experten wissen, ob die schwankende Temperatur des Opfers, die anfangs fiel, um dann später wieder zu steigen, in diesem Fall einen Einfluss auf die fatale Entwicklung hatte, was der Gutachter aber bezweifelte.
Aus der anschließenden Diskussion zwischen der Anwältin und der Vorsitzenden schälte sich heraus, dass die Verteidigung der Ärzte versucht, eine andere Ursache für den Tod des kleinen Opfers zu finden, als das klassische Propofol-Infusionssyndrom bei Kindern, das, wie der Experte dann erklärte, schon 1992 rund um den Globus für heftige Diskussionen sorgte.
Und von Anfang an war der kausale Zusammenhang zwischen Wirkstoff und Problem bekannt, ansonsten das Syndrom wohl nicht danach benannt worden wäre. Ein Problem ist die Tatsache, dass das Mittel weltweit unter verschiedenen Markenbezeichnungen von der Pharma-Industrie vertrieben wird. Und doch scheinen einige Ärzte das Mittel Deprivan nicht gekannt zu haben.
Gefährliche Nebenwirkungen
Me Philippe Penning, der den Arzt verteidigt, der das Unfallopfer als Erster sah und ihm Deprivan verschrieben hatte, entlockte dem Experten, dass die Nebenwirkungen des Medikaments nicht von der Dosis abhängen und/oder kumulierbar sind. Nach dieser Aussage schwebte also nur noch die Dauer des Einsatzes im Raum.
Der Prozess wird am kommenden Dienstag mit den Aussagen der Gegenexperten fortgesetzt, die sich aber kaum widersprechen werden, wie die Verteidiger gegenüber Tageblatt bestätigten.
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können