Max Lamesch, Sie sind Verantwortlicher für die Projekte der luxemburgischen Organisation SOS Villages d’Enfants Monde und arbeiten seit September in einem SOS-Kinderdorf in Haiti. Was ist dort Ihre Aufgabe?
" class="infobox_img" />Max Lamesch
„Ich bin seit September in Haiti, lebe und arbeite dort im SOS-Kinderdorf von Santo, in der Peripherie von Port-au-Prince. Diese Lage hat Vor- und Nachteile. Beispielsweise gerät man weniger schnell inmitten von Demonstrationen, die besonders seit den Wahlen vom 28. November immer wieder, unangekündigt und mit ungeheurer Wucht, aufgetreten sind. Solche Gewaltwellen, die häufig von Straßenblockaden durch Felsbrocken und brennende Reifen begleitet sind, konzentrieren sich jedoch vornehmlich im Zentrum, wo auch die politische Macht sitzt.
Andererseits ist diese Lage am Rande der Stadt von Nachteil, da sich die meisten NGOs, Botschaften, Entwicklungsbüros von Regierungen usw. auch im Zentrum befinden und die Arbeit von SOS-Kinderdorf mit diesen Organisationen abzustimmen, ist eine meiner Aufgaben. Man muss nämlich wissen, dass es in Port-au-Prince bis zu 2 Stunden dauern kann, um eine Distanz von 15 bis 20 km zurückzulegen. Die Staus in Port-au-Prince sind die schlimmsten, die ich bislang erlebt habe. Dies rührt einerseits von der schlechten Stadtplanung her aber auch daher, dass der meiste Schutt (schätzungsweise 10 Millionen Kubikmeter) noch immer nicht weggeräumt worden ist.“
Was können Sie über die Situation in Haiti berichten?
„Seit ich mit meiner Arbeit in Haiti begonnen habe, hat sich die allgemeine Lage tendenziell verschlechtert. Das Auftreten der Cholera, an der mittlerweile über 100.000 Menschen erkrankt und fast 4.000 Menschen gestorben sind, bedeutet sowohl für die NGOs als auch für den Staat eine zusätzliche Last. Erschwert wurde der Kampf gegen diese Epidemie durch Hurrikan Tomas Ende Oktober und natürlich durch die politische Krise, die kein Ende zu nehmen scheint. Wird diese nicht überwunden und die Arbeit der medizinischen Helfer weiterhin erschwert, könnte sich die Epidemie in den folgenden Monaten weiter ausbreiten. Und dies stellt natürlich eine große Gefahr dar für die Bevölkerung Haitis, die das Trauma vom Erdbeben noch nicht verarbeitet hat und auch heute noch sehr geschwächt ist.“
Was ist Ihnen besonders aufgefallen?
„Ein anderer Punkt, der mir in meinen ersten drei Monaten in Haiti aufgefallen ist, ist das Fehlen eines allgemeinen Baubooms. Als ich damals in Port-au-Prince ankam, erwartete ich eine Stadt im Aufbruch, aber an dessen Stelle sah ich nur vereinzelte kleine Baustellen und im Laufe der Zeit wurde mir die Komplexität des Wiederaufbaus immer eindringlicher bewusst. Die Vielzahl der Faktoren, die auf diesen Prozess Einfluss nehmen ist quasi unüberschaubar: die Trägheit des internationalen Mittelzuflusses, die jahrzehntealte Landfrage, die Unfähigkeit der Akteure sich konsequent zu koordinieren, die strukturelle Schwäche des Staates und die überbordende Korruption, und nicht zuletzt die ungelöste Frage der 1,3 Millionen Flüchtlinge.“
Wie gehen Sie als Luxemburger in Haiti an die dortige Problematik heran?
„Um sich in Haiti von der Menge an Problemen nicht unterkriegen zu lassen, braucht man einen anderen Arbeitsansatz. Man darf nicht alles auf einmal verändern wollen und man muss sich in Geduld üben. Außerdem muss man sich für Kultur, Geschichte und Bräuche des Landes interessieren, um die komplexe Mentalität der Haitianer ansatzweise verstehen zu können. Und es wird auch nur über ein tiefes Verständnis möglich sein, die Zusammenarbeit zwischen Haiti – insbesondere der Zivilbevölkerung – und der internationalen Gemeinschaft über die kommenden Jahre konstruktiv zu gestalten. Und eines ist sicher, der Wiederaufbau in Haiti wird Jahre wenn nicht Jahrzehnte dauern.“
De Maart

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