Sicherheit geht vor

Sicherheit geht vor
(Jacques Brinon)

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Der Rücktritt der französischen Justizministerin Christiane Taubira löst kein Problem. Im Gegenteil.

Es waren die Anhänger der Regierungslinie, die die scheidende Justizministerin Christiane Taubira mit Anerkennung überhäuften, an dem Tag, an dem sie von ihrem Amt zurücktrat. Nicht umsonst. Christiane Taubira trat zurück, weil sie eine Politik nicht mehr tragen wollte, die ihr widersprach. Es entsprach ihr aber auch, diesen Schritt an dem Tag zu tun, an dem in der Nationalversammlung die Diskussion über das Ereignis begann, das die Politik in Frankreich tief entzweit. Die Regierung bereitete ihr mit ihrer Hochachtung einen stilvollen Abschied.

Staatspräsident Hollande will die Verfassung ergänzen. Er will dem Staat über Notstandsparagraphen Befugnisse geben, die die Justiz in den Hintergrund stellen und der Administration den Vorrang geben. Ein einfacher Verwaltungsakt kann zukünftig Freiheitsrechte in Frankreich außer Kraft setzen, findet Staatspräsident Hollande für dies Idee eine Mehrheit. Ausdruck dieser neuen Sicherheitsphilosophie ist die Idee, dass Frankreich Binationalen, die den Staat gefährden oder terroristische Aktionen begehen, die Staatsangehörigkeit entziehen kann.

Taubira wehrte sich

Diese Idee ist von der Justizministerin nie akzeptiert und öffentlich abgelehnt worden. Taubira wehrte sich dagegen, dass die Verwaltungsrichter in Frankreich ein Vorrecht gegenüber den Zivil- und Strafrichtern bekommen sollten.

Frankreich schränkt seine Freiheitsrechte seit dem Überfall auf das satirische Magazin „Charlie Hebdo“ nach und nach ein. In einem Gesetz über die Abwicklung von Geschäften sollte jeder bestraft werden, der Insider Informationen veröffentlichte. Erst ein geharnischter Protest der Wirtschafts- und Finanzjournalisten veränderte den betreffenden Paragrafen. Dafür gibt es nun Militärgesetz, in dem Freiheiten zugunsten der Armee wieder eingeschränkt werden. Sicherheit geht vor. Das ist der Leitspruch, der in Frankreich herrscht und der sich überall wiederfindet.

Filme untersagt

Im Vorgriff auf kommende Gesetze hatten nach den Attentaten im Januar vergangenen Jahres bereits Bürgermeister per Dekret Filme untersagt, von denen sie meinten, dass sie zu nahe an terroristische Themen gelangen würden. Derzeit muss die Kulturministerin darüber entscheiden, ob im öffentlich rechtlichen Fernsehen ein Film ausgestrahlt werden darf, der als „terroristisch“ eingestuft wird.

Ausnahmezustand

Frankreich kennt nicht nur den Ausnahmezustand. Nach früheren Attentaten, die keinen terroristischen Hintergrund hatten, wurde die Aktion „Vigipirate“ eingeführt. Vigipiarte gilt seit Jahren in der höchsten Alarmstufe für das Umfeld von Bahnhöhen, von Atomkraftwerken oder von Ministerien oder anderen Bauwerken. An den Türen von Pariser Theatern hängen Schilder mit der Bitte um Verständnis, dass man wegen Vigipirate Taschen kontrollieren müsse. Frankreich hat sich durch Vigipirate an den inneren Ausnahmezustand seit langem gewöhnt. Verschärft hat sich seit den Attentaten des 13. November 2015 durch den verhängten Ausnahmezustand die Tatsache, dass man vorsichtiger in der Ausdrucksweise geworden ist. „Verherrlichung von Terrorismus“ oder „Rassismus“ sind Vorwürfe, die schnell erhoben werden.

Der Ausnahmezustand hat Frankreich verändert. Reine Verwaltungsakte haben in über 3.000 Fällen zu Hausdurchsuchungen und Hausarrest geführt. Zwei Äußerungen lassen erkennen, was unter dem Schutz des Ausnahmezustandes geschah. „Wir sind im Ausnahmezustand. Wir dürfen alles“, zitiert die französische Abendzeitung Le Monde einen Polizisten. Und der französische Innenminister wird mit der Äußerung gegenüber der Polizei zitiert, dass man „Türen auch öffnen könne“. In den 3.000 Hausdurchsuchungen sind sind gerade vier Fälle bekannt geworden, in deren Folge die Terrorismus Brigade wirklich mit den Funden beschäftigt wurde.

Unbegründeter Hausarrest aufgehoben

Verwaltungsgerichte hingegen haben in einem Fall bereits einen Hausarrest als unbegründet aufgehoben und in einem Drogenfall das gesamte Verfahren als unzulässig erklärt, weil es nichts mit Terrorismus zu tun hatte. Der Vizepräsident des obersten Verwaltungsgerichtes hat in einer Rede kritisiert, dass über den Ausnahmezustand Verfahren der normalen Gerichtsbarkeit auf die Verwaltungsgerichte übertragen würden.

Neben diesen technischen Hintergründen der Veränderungen in Frankreich, die Christiane Taubira nicht mittragen wollte, handelt sich Staatspräsident Hollande nun auch politisch gefährliche Situationen ein. Christiane Taubira ist nicht mehr zur Loyalität verpflichtet. Im Jahre 2002 kandidierte sie für das Präsidentenamt. Ihre Stimmenanteile kosteten Lionel Jospin de Wahl. Sie ist eine gute Rednerin, kann Menschen mitnehmen in ihrer Argumentation.

Problem Macron

Derzeit hat der Staatspräsident nur noch einen Störenfried in seiner Regierung: Wirtschaftsminister Emmanuel Macron, der sich seine freie Rede nicht verbieten lässt. Macron hat schon erkennen lassen, dass er nicht gehen wird. Sowohl der Staatspräsident als auch der Premierminister werden überlegen müssen, wie sie Macron einfangen können oder ob sie sich von ihm trennen.

Mit dem Rücktritt der Justizministerin hat der Staatspräsident aber die vorletzte Charakterperson verloren. Gleichzeitig wurde die politische Basis seiner Regierung reduziert. Die linken Sozialisten sind derzeit in seiner Regierung nicht mehr vertreten. Die Grünen sind es nicht mehr. Beide Gruppierungen braucht er zu seiner Wiederwahl. Spätestens Mitte Februar wird er seine Regierung verändern, um aus ihr für die letzten 15 Monate seiner Amtszeit ein schlagkräftiges Wahlkampf-Kabinett zu machen. Die Frage ist: Wie? Und dahinter steht noch die Frage, was geschieht, wenn Staatspräsident Hollande seine Verfassungsänderung nicht durchbringt und wenn es ihm nicht gelingt, den Ausnahmezustand bis Mai zu verlängern. Frankreich befindet sich in sehr unruhigem politischen Fahrwasser.