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Russland wählt neues Parlament

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Am Sonntag wählen die Russen ihr neues Parlament. Die Regierungspartei "Geeintes Russland" könnte dabei an Stimmen einbüssen, ohne jedoch ihre Vormachtstellung zu verlieren.

Der Machtkampf in Russland um die Sitze im Parlament nähert sich seinem Höhepunkt. Präsident Dmitri Medwedew, der zugleich der Spitzenkandidat der Kremlpartei Geeintes Russland ist, ruft in einem Appell an die rund 110 Millionen Wahlberechtigten zur Beteiligung an der richtungsweisenden Abstimmung an diesem Sonntag (4. Dezember) auf. Kremlgegner sowie Menschenrechtler sprechen schon jetzt von der „schmutzigsten Wahl“ seit dem Ende der Sowjetunion vor 20 Jahren.

Die von der Wahl ausgeschlossene liberale Opposition beklagt „nie dagewesenen Druck und Gesetzesverstöße“ seitens der Putin-Partei, die alles für ihren Machterhalt tue. Allein in Moskau sollen am Wahltag mehr als 50.000 Sicherheitskräfte Proteste verhindern.

„Partei der Gauner und Diebe“

Zwar droht der vor zehn Jahren gegründeten Regierungspartei unter Vorsitz von Regierungschef Wladimir Putin der Verlust ihrer Zweidrittelmehrheit. Damit konnte sie bisher die Verfassung ändern. Doch einen Sieg der von der Opposition als „Partei der Gauner und Diebe“ kritisierten Kremlkraft bezweifelt niemand.

„Unsere Wahlen sind eine Mixtur aus Machtmissbrauch und groß angelegter Fälschung“, ätzte der Duma-Abgeordnete Gennadi Gudkow. Der Auftritt des Ex-Geheimdienstoffiziers von der gemäßigten Oppositionspartei Gerechtes Russland im Parlament neulich ist inzwischen ein Renner im Internet. Gudkow beschreibt nach Meinung vieler Russen, was die meisten Wähler von der Duma-Wahl halten.

Stimmungstest für Präsidentenwahl

Mit gut 50 Prozent der Stimmen darf die Putin-Partei Umfragen zufolge rechnen. Das wären statt der bisherigen 315 von 450 Sitzen nur noch etwa 260 Mandate in der politisch allerdings weitgehend bedeutungslosen Volksversammlung. Der Urnengang gilt daher vor allem als erster Schritt zu dem geplanten und umstrittenen Ämtertausch zwischen Medwedew und Putin. Die Wahl ist ein Stimmungstest für die traditionell wichtigere Präsidentenwahl am 4. März 2012.

Der 46-jährige Medwedew soll demnach künftig das Amt des Regierungschefs von Putin übernehmen. Der 59-jährige Putin wiederum will wie schon von 2000 bis 2008 im Kreml regieren – dann erstmals für sechs Jahre. Es ist der Posten mit der größten Machtfülle. Doch auch wenn Putin weiter als der beliebteste Politiker des Landes gilt, so sprechen doch auch viele Russen erstmals ganz offen auf der Straße, in Betrieben und an Hochschulen über ihre Unzufriedenheit. Sie beklagen ein System der Bevormundung.

Putin hat seinen „Heiligenschein“ verloren

Ungewöhnlich deutlich zu spüren bekam dies Putin erstmals auch selbst. Als er unlängst bei einem Kampfsportturnier in der Moskauer Olympiahalle zum Feiern mit dem Sieger in den Ring stieg, pfiff und buhte die Menge. Putin habe seinen „Heiligenschein“ verloren, kommentierten viele Medien.

„Früher haben die Beamten wirklich eine echte Verbesserung ihres Lebens gespürt und verhielten sich deshalb loyal. Jetzt sehen sie, dass es nicht besser wird und der Stillstand beginnt“, meint etwa der Politologe Michail Tulski. Medien berichteten zudem, dass viele staatstreue Arbeitgeber Beschäftigten zu Tausenden mit Jobverlust gedroht hätten, sollten sie nicht für die Putin-Partei stimmen. Mehr als 7000 Verstöße von der direkten Wählerbestechung bis zur Beschlagnahme von Wahlmaterialien der Opposition listet etwa die Internetseite www.kartanarusheniy.ru auf.

Hetzjagd auf Bürgerrechtler

Die von der einzigen unabhängigen russischen Wahlbeobachterorganisation Golos gesammelten Daten haben nun auch die Staatsanwaltschaft auf den Plan gerufen. Ermittelt wird aber nicht gegen die mutmaßlichen Wahlbetrüger, sondern gegen Golos wegen „unzulässiger Einmischung“. Zuvor hatte Putin die vom Westen unterstützten Nichtregierungsorganisationen als „Judas“ bezeichnet und damit, wie Kritiker bemängelten, eine beispiellose Hetzjagd auf die Bürgerrechtler ausgelöst.

Russlands oberster Wahlleiter Wladimir Tschurow weist Vorwürfe gegen die Putin-Partei grundsätzlich zurück. „Wir haben fast kristallklare, saubere Wahlen“, hatte Tschurow betont. Dabei kritisierten in der Vergangenheit auch die Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) die Abstimmungen scharf. Der Hauptvorwurf richtet sich gegen die Staatsmedien, in denen Andersdenkende kaum zu Wort kämen.

Destabilisierung

Immer wieder warnte das Machttandem Putin/Medwedew vor Versuchen der Destabilisierung. „Für uns sind Wahlen, die Demokratie etwas Heiliges. Aber es gibt noch höhere Werte: Das ist der Frieden und die gesellschaftliche Ruhe“, sagte Medwedew in Wladikawkas im Nordkaukasus. Das kremlkritische Magazin „The New Times“ resignierte schon vor Wochen: Es sei immer so gewesen in Russland: Entscheidend sei nicht, wie abgestimmt, sondern wie gezählt werde.