Österreichs Sozialdemokraten im Wandel

Österreichs Sozialdemokraten im Wandel
(Christian Bruna)

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Ein Burgfrieden in der Wiener SPÖ, erfreuliche Umfragedaten, die geschliffene Rhetorik des Parteichefs und Kanzlers: Das alles gehört zum neuen Kurs der österreichischen Sozialdemokraten, der eine Kooperation mit den Rechtspopulisten zumindest möglich machen soll.

Es war ein Aufstand, der schon wieder vorbei zu sein scheint. In einem offenen Brief attackierten Sozialdemokraten vom linken Flügel Anfang April Österreichs SPÖ-Chef und Bundeskanzler Christian Kern. „Immer öfter sind auch Sozialdemokraten Erfüllungsgehilfen rechter Politik geworden“, bilanzierten führende Wiener SPÖ-Politiker das erste Jahr unter dem neuen Kanzler.

Die Kritik richtet sich vor allem gegen die Migrationspolitik der rot-schwarzen Koalition. Etwa die verschärften Asylgesetze. Oder Vorstöße, Sozialleistungen für Ausländer einzuschränken und bei Arbeitsmarktprogrammen eine „Ausländerbremse“ einzuführen. In Medienkommentaren ist schon von „Semipopulismus“ und „FPÖ light“ die Rede. Zuletzt stimmte die SPÖ einer Beugehaft für ablehnte Asylbewerber zu, die bei der Abschiebung nicht kooperieren.
Der Landesparteitag der Wiener SPÖ am kommenden Samstag (29.4.) könnte ein interner Stimmungstest werden. Allerdings stehen die Vorzeichen eher auf Eintracht als auf Streit. Der voraussichtliche Verzicht auf Flügelkämpfe hat seinen Grund.

Die SPÖ ist wieder deutlich im Aufwind

Die SPÖ ist mit Kern, der vor elf Monaten die Nachfolge des glücklosen Kanzlers Werner Faymann angetreten hat, wieder deutlich im Aufwind. Damals abgeschlagen bei etwas mehr als 20 Prozent, sagt eine der neuesten Umfragen den Sozialdemokraten nun 29,5 Prozent voraus. Vor allem: Erstmals seit knapp zwei Jahren liegt die SPÖ damit vor den Rechtspopulisten von der FPÖ, die auf 27,5 Prozent in der Wählergunst abgerutscht sind.

Von einer „Trendwende“ wollen die Experten noch nicht sprechen, aber es ist ein deutliches Signal, das Kern für sich verbuchen kann. Er hat sich die Rückgewinnung einstiger SPÖ-Wähler, die zwischenzeitlich zur FPÖ abgewandert sind, auf die Fahne geschrieben. Für das Versagen der Sozialdemokraten – konkret: für die Entfernung der SPÖ von der Lebenswelt und den Sorgen des einfachen Mannes – hatte sich Kern sogar öffentlich entschuldigt.

Sein „Ran-ans-Volk“-Stil, der trotz seiner Maßanzüge und seines nicht uneitlen Auftretens glaubwürdig scheint, hat die Wogen auch in der so wichtigen Wiener SPÖ einstweilen geglättet. Dazu beigetragen hat der angekündigte Rücktritt von Ministerpräsident Michael Häupl, der „zeitnah“ nach der nächsten Nationalratswahl erfolgen soll.

„Es ist nicht ausländerfeindlich, von Grenzen der Immigration und Integration zu sprechen“

Denn der migrationsfreundliche Häupl ist dem rechten SPÖ-Flügel, der mehr und mehr Oberwasser bekommt, ein Dorn im Auge. Die Arbeiterbezirke Wiens mit ihrem hohen Ausländeranteil hatten sich bei der letzten Landtagswahl von der SPÖ ab- und der FPÖ zugewendet. „Die einstige rote Hochburg Wien wird verspielt“, meinte dazu der SPÖ-Chef im Wiener Stadtteil Simmering und Häupl-Kritiker Harald Troch.

„Es ist nicht ausländerfeindlich, von Grenzen der Immigration und Integration zu sprechen“, meint der Berliner Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel zum SPÖ-Kurs. Auch der deutsche SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz werde in der Migrationsfrage „an die Menschen in Dortmund, Bochum und Mannheim denken müssen, die weiterem Zuzug skeptisch gegenüberstehen“, so Merkel.

Kern und die FPÖ versuchen die einst so tiefen Gräben zu überwinden

Für die nächste Nationalratswahl, die spätestens im Herbst 2018 ansteht, würde Kern zwar eine Koalition mit den Grünen und den liberalen Neos bevorzugen, ließ SPÖ-Geschäftsführer Georg Niedermühlbichler wissen. Aber angesichts der Stagnation der Grünen bei rund zwölf Prozent – sie können nicht vom Wahlsieg des Grünen-nahen Staatsoberhaupts Alexander Van der Bellen profitieren – geht diese Rechnung wohl nicht ganz auf. Für viele Menschen und Medien im Land ist klar: Die FPÖ wird als Senior- oder Juniorpartner an der nächsten Regierung beteiligt sein.
Kern und auch die FPÖ versuchen zurzeit, die einst so tiefen politischen Gräben zu überwinden, ganz pragmatisch.

„Die SPÖ wird sich entscheiden müssen, ob sie ihre Parteigeschichte verlängern will“, sagte FPÖ-Generalsekretär Herbert Kickl mit Blick auf jahrzehntelanges Nein der Sozialdemokraten zur Zusammenarbeit mit den Blauen. Die rot-blaue Zusammenarbeit auf Landesebene im Burgenland habe Modellcharakter, meint Kickl. „Wenn die SPÖ dazu nicht bereit ist, dann wird sie so oder so keine Zukunft haben.“

Unterdessen spielen Kern und auch Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) auf Zeit. Die Dauerdebatte um vorgezogene Neuwahlen befeuern sie bewusst nicht. Bei seinen wahlkampfartigen Touren – zuletzt durch Wien – versichert Kern leutselig: „Ich bin seit 17. Mai im Amt des Bundeskanzlers, seit spätestens 20. Mai lese ich, dass wir im Wahlkampf sind. Sie werden sich noch eineinhalb Jahre gedulden müssen, dann werden Sie wirklichen Wahlkampf erleben.“ Soll heißen, dass der Regierungschef vom regulären Wahltermin im Herbst 2018 ausgeht. Aber daran glauben nur wenige.