Pokern um den Standort Luxemburg

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Ein amerikanischer Videoclub bringt Europa durcheinander. Der Club heißt Netflix und ließ sich 2011 in der Avenue de la Liberté in Luxemburg-Stadt nieder, schlug dort seine Zelte für den Europasitz auf.

Die operativen Zentren vom Videoclub Netflix befinden sich in Amsterdam. In Luxemburg kommen Unsicherheiten auf. Bleibt der Videoclub in Luxemburg oder zieht er weg? Dabei könnte Netflix – wenn seine Expansion in Europa gelingt – für Luxemburg die Bedeutung von SES oder RTL erlangen.

Netflix: Daten und Fakten

Der Name des Unternehmens setzt sich zusammen aus „net“ = Abkürzung für Internet und dem amerkanischen slang „flix“ für Film. Das Unternehmen weist für das vergangene Jahr einen Umsatz von 4,37 Milliarden US Dollar aus. Der Gewinn für das Geschäftsjahr 2013 beträgt 112 Millionen US-Dollar. Netflix gab zwei Milliarden US-Dollar für den Ankauf von Rechten aus. Das Unternehmen soll Investitionen in Höhe von 400 Millionen US-Dollar in Europa planen. Netflix ist in 40 Ländern der Welt vertreten. Der Aktienkurs lag am vergangenen Freitag bei 327 US-Dollar. Er brach – wie alle Internet Aktien – um über zwei Prozent ein. wy.

Woher kommen die Unsicherheiten? Netflix residiert in einem Gebäude der Firma Regus, die Büros vermietet, in jeder Größe mit jedem Service, den der Mieter wünscht. Ein dauerhaftes Hauptquartier ist so etwas nicht. Die größte Investmentfonds-Ratingagentur, Morningstar, hat dort ihren Übergangssitz gehabt, bevor sie ihren endgültigen Sitz auf dem Kirchberg nahm. Zweifel daran, dass Netflix sich dauerhaft an Luxemburg binden könnte, hat das Wirtschaftsmagazin Paperjam gesät. Das Magazin stellte die steuerliche Belastung in Luxemburg als Grund dar. Außerdem fügte es die operativen Zentren in Amsterdam als Grund an. Netflix könnte, so die Argumentation, Luxemburg in Richtung Amsterdam verlassen.

Ansiedlungspolitik Luxemburgs

Die Ansiedlungspolitik Luxemburgs geht in die Richtung, Hauptquartiere und Holdings im Lande zu beheimaten. Der ebenfalls stark diskutierte Fall der Fusion von Numericable und SFR in Frankreich spielt gerade deswegen nach Luxemburg. Patrick Drahi, Hauptaktionär von Altice hat die Holding in Luxemburg angesiedelt, macht das operative Geschäft (mit Ausnahme von kleinen Coitel-Inseln in Luxemburg) aber im Ausland. Das wird zukünftig die Normalsituation für Luxemburg.

Die von Paperjam angesprochene steuerliche Problematik wird sich im kommenden Jahr stellen. Noch können die Kunden der Unternehmen wie Netflix oder i-Tunes oder Amazon oder Apple bei Inanspruchnahme der Dienstleistungen von einem ermäßigten Steuersatz profitieren. Vom kommenden Jahr an wird das System geändert. Dann gilt jeweils der Mehrwertsteuersatz des Landes, aus dem die Bestellung erfolgt.

Keine TVA-Einnahmen

Der eigentlich Leidtragende dieser Veränderung ist der Staatshaushalt. Ihm gehen die Einnahmen aus der Mehrwertsteuer verloren. Luxemburg selbst muss aber nicht unbedingt den Sitz der Unternehmen verlieren. Theoretisch können sich Holdings des Dienstleistungsbereiches dann in jedem Land der Europäischen Union niederlassen. Praktisch kommt es jedoch darauf an, wie sich die Unternehmenssteuern in den einzelnen Ländern gestalten; wie die Stabilität eines Landes eingeschätzt wird; ob und wie „ruling“ praktiziert wird. Netflix hat in einer Mitteilung zu einem möglichen Engagement in Frankreich geschrieben, dass man Frankreich von Luxemburg aus bedienen werde. Das deutet darauf hin, dass der größte Videoclub der Welt sein europäisches Hauptquartier in Luxemburg nicht zur Disposition stellen will.

Erstaunlich ist lediglich, dass sich für Netflix in Luxemburg nicht das Wirtschaftsministerium zuständig fühlt, sondern das Kommunikationsministerium, das bei der Betreuung von Unternehmen und Hilfe bei der Eingliederung in Luxemburg sicher über weniger Erfahrung verfügt als das Wirtschaftsministerium. Diese Aufteilung der Zuständigkeiten könnte sich als nachteilig erweisen.

Rote Briefumschläge

Wer ist Netflix und warum ist das Unternehmen so wichtig in Luxemburg? Reed Hastings und Marc Randolph hatten 1997 die Idee im kalifornischen Los Gatos einen Videoclub zu gründen, den sie „Netflix“ nannten. Das Besondere: Netflix erhielt die Bestellungen online, verschickte seine DVD´s aber per Post in roten Briefumschlägen und somit erkenntlich für Briefträger und die Nachbarn. Netflix schuf so eine Gemeinde. Der Erfolg: In den ersten zehn Jahren von 1997 bis 2007 verschickte der Videoclub eine Milliarde DVD´s. Der Ausbau der Kabelnetze und des Internets führte zu einer Veränderung der Geschäftsidee. Die Filme wurden nicht mehr per Post verschickt sondern wurden per Internet bestellt und heruntergeladen. Weitere Veränderung: Netflix führte die Flatrate ein: Für 7,99 US Dollar pro Monat so viele Filme wie man will. „Fernsehen wie Komasaufen“ nannte der für die deutschen ARD-Fernsehanstalten in Los Angeles arbeitende Korrespondent Wolfgang Stuflesser das.

In einem nächsten Schritt verfeinerte Netflix das Angebot. Mit einem speziellen Logarithmus erkennt das Unternehmen, wo die Vorlieben der Abonnenten liegen und macht ihnen besondere Angebote, zugeschnitten auf ihre Vorlieben. Netflix kam mit dieser Veränderung und Verfeinerung der Geschäftspolitik bis Ende vergangenen Jahres auf gut 33 Millionen Abonnenten in den USA, 44 Millionen weltweit. Netflix ist derzeit in Kanada, in Lateinamerika mit einer Zentrale in Brasilien, und in Europa in den Ländern Großbritannien, Irland, Finnland, Dänemark, Schweden, Norwegen, und in den Niederlanden vertreten. Die skandinavischen Länder werden von Luxemburg aus betreut. Zu bestimmten Tageszeiten füllt Netflix gut 30 Prozent der amerikanischen Kabelnetze.

„Video on Demand“

Das Problem dieses Videoclubs, der sich in ein gigantisches „Video on Demand“ Unternehmen verwandelt hat, sind die Inhalte. Netflix verfügt nicht über die neuesten Serien und Filme. Die Firma veränderte daher erneut ihr Geschäftsmodell, traf Vereinbarungen mit US-Studios und wurde selbst zum Produzenten. Etwa 100 Millionen Dollar steckte sie in die Produktion der mittlerweile berühmtesten Serie „House of Cards“. Der Unterschied zum Fernsehen: Wer House of Cards sehen will, der bekommt gleich alle sechs Serien in einem Stück, kann sich also sechs bis acht Stunden vor seinen Computer oder sein Fernsehgerät setzen und die gesamte Serie anschauen. Netflix – und darin liegt die Bedeutung des Unternehmens – verändert die Gewohnheiten des Fernsehens. In den USA verlieren die Fernsehsender Zuschauer. Netflix verwandelt das Fernsehen vom Angebot zur Nachfrage. Mit dem System des Abonnements reicht ein einfaches Herunterladen eines Films nach eigenem Geschmack und der Fernsehabend ist gesichert. Gelingt Netfix die Durchdringung des europäischen Marktes, müssen sich Fernsehsender auch in Europa auf den Verlust von Zuschauern einstellen, die deren Angebote nicht mehr annehmen. In Frankreich und in Deutschland gibt es längst Anbieter, die den Durchbruch aber noch nicht geschafft haben. Mit einer Netflix Flatrate von 5,95 Euro pro Monat könnte sich das ändern.

Netflix hat längst begonnen, sich auf Europa einzustellen. Ein Blick auf die Stellenanzeigen lässt dies erkennen. Für den Sitz in Amsterdam sucht das Unternehmen Marketingmitarbeiter die auch Deutsch und Französisch sprechen. Für die Zentrale im kalifornischen Los Gatos (Scotts Valley) sucht Netflix Lokalisierungsexperten, die Netflix-Inhalte in Deutsch, Französisch, Polnisch und Ungarisch übersetzen sollen. Der Video Gigant hat sich damit auf die vielfältige europäische Sprachen- und Kulturlandschaft eingestellt. Anders als in den USA und in Kanada kommt er in Europa nur mit Englisch nicht aus. Die Niederländer akzeptieren weitgehend Untertitel zur Originalsprache, in Skandinavien kann man Englisch benutzen. In Deutschland, Frankreich Polen und Ungarn aber muss man die Nationalsprache verwenden. Die Doppelgleisigkeit, mit der Netflix in den USA, und in Europa fahren will, wird sich möglicherweise nicht auszahlen, weil sie höhere Kosten verursacht.

Irgendwer sollte Netflix mitteilen, dass es in Luxemburg eine großzügige Filmförderung für Eigenproduktionen gibt, dass es in Luxemburg Filmstudios gibt und dass Schauspieler aus ganz Europa Luxemburg kennen und daher ohne Schwierigkeiten zum synchronisieren für die wichtigen Märkte Deutschland und Frankreich aber auch Polen und Ungarn zur Verfügung stehen.

Der Artikel ist eine Archiv-Recherche. Benutzt wurden als Quellen: Paperjam.lu, Les Echos, Le Figaro, le Figaro.fr, Le Monde, Spiegel online, Tagesschau online, finanzen.net, wallstreet-online.de, wikipedia, BFMTV, BFMTV.fr.

(Helmut Wyrwich/Tageblatt.lu)