Die Verantwortung der Chefs

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Der Luxair-Prozess begann seine 7. Woche mit den Plädoyers der Anwälte der Angeklagten. Das Gericht gerät in Zeitnot. Der Arbeitstag wird verlängert.

Das Gericht gerät in Zeitnot. Am Montag wurde entschieden, die Verhandlungen ab Dienstag bereits um 14.15 Uhr zu beginnen. Sie sollen nicht wie bisher um 18, sondern erst um 19 Uhr beendet werden. Vor den Richtern stehen 7 Angeklagte, darunter der Pilot und gleich drei ehemalige Generaldirektoren. Das Gericht muss ihre Verantwortung am Crash klären, der am 6. November 2002 zwanzig Menschen das Leben gekostet hat.

Als erster hatte am Montag Me Ludo Sauwen, ein Verteidiger des ehemaligen Generaldirektors Christian Heinzmann, das Wort. Er betonte eingangs seiner Ausführungen, dass ein Flugzeug- Crash immer mehrere Ursachen hätte. Er sei schockiert gewesen über das, was er auf den Cockpit-Aufnahmen gehört hat, so Sauwen. Die Familien der Opfer, die Passagiere, die Piloten und die Arbeitnehmer der Fluggesellschaft hätten das Recht, Antworten zu erhalten. Verantwortungssinn, Disziplin und Zuverlässigkeit seien die Bausteine der Flugsicherheit.

Wer ist für welche Bereiche zuständig?

Me Sauwen machte einen Ausflug in die internationalen und nationalen Gesetzestexte und Richtlinien, die den Flugverkehr regeln. Eins sei allen Texten gemeinsam: Sie zielten alle darauf, menschliche Fehler zu vermeiden. In diesem Zusammenhang seien die Fähigkeiten des technischen Personals und des Flugpersonals enorm wichtig, unterstrich der belgische Anwalt. Welche Verantwortung wird dem sogenannten „Accountable Manager“ (Generaldirektor) zugesprochen? Er spielt eine wichtige Rolle beim Erhalt der notwendigen Zertifizierungen. Zu seinen Aufgaben zählt ebenfalls, ein Arbeitsumfeld zu schaffen, das eine optimale Flugsicherheit garantiert. Er sei in diesem Zusammenhang aber vor allem für alle finanziellen Fragen verantwortlich, betonte der Verteidiger.

Die Verantwortung für die Umsetzung der Sicherheitspolitik tragen die sogenannten „Postholder“, d.h. die Chefs der verschiedenen Abteilungen (Operationen, Wartung, Ingeneering, Sicherheitsmanagement…) der Fluggesellschaft. Sie müssten regelmäßig dem „Accountable Manager“ Bericht erstatten. Der Sicherheitsmanager und der Operation-Manager seien bei der Luxair ein und dieselbe Person gewesen. Der Verantwortliche für die Flugzeugwartung sei Marc Gallowitch gewesen. Er hätte laut Luxair- Struktur auch die Rolle des „Accountable Managers“ für diesen Bereich übernommen.

Handbücher

Um einen „Postholder“ zu ersetzen, musste zuerst die Genehmigung der D.A.C (Direction de l’aviation civile) eingenommen werden. Ausschlaggebend für die Nominierung eines „Postholders“ seien die Kompetenzen. Die Leitung einer Ingeneering- Abteilung zum Beispiel könne laut Reglement nicht einem Techniker anvertraut werden. Für jede Abteilung existieren des Weiteren Handbücher, die alle obligatorischen Charakter hätten.

Der Einbau der zusätzlichen Sicherheit am Schubhebel sei in den Zuständigkeitsbereich der Wartung gefallen. Und diese hätte nicht die Verpflichtung gehabt, die Generaldirektion über das Problem zu informieren, insbesondere da es sich um eine minimale Investition handelte.
Laut Me Sauwen trägt aber auch der Flugzeugbauer Fokker einen Teil der Mitschuld, auch wenn sie nicht vor Gericht stünden. Die Kommunikation vonseiten des Herstellers sei nämlich alles andere als perfekt gewesen. Dabei würden gleich mehrere internationale Regelwerke die Mitteilungen an die Flugzeugoperateure (u.a. die Servicebulletins- und letters) regeln, immer mit dem Gedanken die Flugsicherheit zu gewährleisten.

Alle betroffenen Stellen seien ab 1994 über die Schwierigkeiten mit dem Schubhebel auf dem Laufenden gewesen, so der Verteidiger. Aber weder bei Fokker noch bei den Behörden sei das Problem zu einer Priorität erklärt worden, da es die Flugtauglichkeit des Flugzeugs nicht beeinträchtigte. Auch glaubte man, dass kein Pilot vorsätzlich den Hebel falsch bedienen würde. So beließ man es bei einer eindringlichen Warnung. Erst nach mehreren Vorfällen und Crashs reagierten die Autoritäten und ordnete den Einbau der zusätzlichen Sicherheit an. Aber nur wenige seien wirklich in die Flugzeuge integriert worden.

„Vor seiner Zeit“

Die „Service- Dokumente“ über die Probleme mit dem Schubhebel seien alle vor der Zeit des ehemaligen Generaldirektors Christian Heinzmann bei der Luxair (2000 – 2003) eingegangen, so der Verteidiger Ludo Sauwen über seinen Mandanten. Auch hätte man ihn nie über die Risiken informiert. Durch die Arbeits- und Verantwortungsaufteilung bei der Luxair hatte er sich nie mit der Frage des Einbaus einer zusätzlichen Sicherheit befasst. Sein Mandant sei vom Crash schwer betroffen. Schuld an der Katastrophe sei er aber nicht, sagte Ludo Sauwen abschließend, ehe er das Rednerpult seinem Kollegen Me Benoît Entringer überließ.

Dieser betonte, dass im Verfahren gegen seinen Klienten kein Platz für eine strafrechtliche Verfolgung sei. Man werfe Christian Heinzmann vor, nicht als „bon père de famille“ gehandelt zu haben weil er die zusätzliche Sicherheit nicht einbauen ließ. Dies treffe dann aber ebenfalls auf andere Akteure zu, zum Beispiel auf andere Fluggesellschaften und den Hersteller. Sie hätten alle nicht auf den Einbau des Teils gedrängt. Heinzmann hätte auch die Integration des Sicherheitssystems nicht einfach anordnen können, da seit 1998 die Regel galt, dass niemand, außer Ingenieuren, technische Modifizierungen befehlen konnte. Diese Verantwortung sei innerhalb der Luxair an das geeignete Personal weitergereicht worden.

Während seiner Zeit als Chef der Luxair hätte Heinzmann sogar versucht, die Kommunikation zwischen den Fluggesellschaften und den Flugzeugherstellern durch die Anordnung von zwei Audits zu verbessern, betonte Entringer. Wenn kein persönlicher Fehler vorliege, könne man den Ex- Direktor nicht strafrechtlich belangen. Folglich beantragte Entringer den Freispruch seines Mandanten.

„Juristisch-technische Angelegenheit“

Nach den Anwälten von Christian Heinzmann war es an der Reihe der Verteidiger von Jean-Donat Calmes, einem weiteren Ex-Generaldirektor der Luxair, ihr Plädoyer zu halten. Me Patrick Kinsch sagte, dass es nicht darum gehe, sich von seiner Verantwortung freizusprechen, wie einige Anwälte der Nebenklage behaupteten. Jeder Angeklagte hätte das Recht, sich zu verteidigen. Es sei eine juristisch- technische Angelegenheit. Sein Mandant war zum Zeitpunkt des Crashs nicht mehr Generaldirektor des Unternehmens. Er sei nicht geflogen. Man werfe ihm vor, durch seine Passivität, die optimale Sicherheit des Flugzeugs nicht gewährleistet zu haben. Calmes habe jedoch nie etwas von den betreffenden „Bulletins“ und „Letters“ gehört. Sie seien vor seiner Zeit an die Luxair-Spitze gesendet worden. Niemand hätte mit ihm über die Risiken einer Fehlmanipulierung des Schubhebels gesprochen, betonte Kinsch.

Calmes hätte des weiteren auf das niederschmetternde interne Audit bei der Luxair reagiert und eine Restrukturierung angeordnet. Eine Analyse hatte Sicherheits- und Organisationsmängel bei der Fluggesellschaft festgestellt, aber keine grundlegenden Probleme bei der Behandlung der „Service-bulletins“ gefunden. Er sei wegen seiner Kompetenzen im Bereich des Managements und nicht der Flugzeugtechnik eingestellt worden, argumentierte der Verteidiger, der insistierte, dass die Luxair kein „Saftladen“ gewesen sei.

Verschiedene Vertreter der Nebenklage hatten die Sicherheitspolitik bei der nationalen Fluggesellschaft bemängelt. In diesem Zusammenhang kritisierte Patrick Kinsch die Reaktion des für die Behandlung der „Service- Dokumente“ verantwortlichen externen Büros. Jean-Donat Calmes hätte auch versucht, die Kommunikation zwischen den Fluggesellschaften und den Flugzeugbauern sowie zwischen den verschiedenen Abteilungen der Luxair zu verbessern. Wie schon sein Kollege Me Entringer sagte, betonte auch Me Kinsch, dass sein Klient keinen persönlichen Fehler begangen hätte. Um Jean-Donat Calmes in seiner Funktion als Firmenchef zur Verantwortung ziehen zu können, müsse ihm ein persönlicher Fehler nachgewiesen werden.

„Postholder“ besaßen notwendige Vollmachten

Eine Kollegin von Me Kinsch erklärte anschließend, dass im Fall der Luxair ein gültiger Transfer der Verantwortung stattgefunden hat und der Firmenchef strafrechtlich nur im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses zur Verantwortung gezogen werden kann. Bei der Luxair seien gemäß der geltenden Gesetze die Namen von Firmen- und Abteilungschefs sowie deren Aufgaben an die zuständigen Behörden weitergeleitet worden. Auch diese Verteidigerin betonte, dass die zuständigen „Postholder“ die notwendigen Vollmachten besaßen, um Modifikationen an den Flugzeugen vorzunehmen, ohne ihre Vorgesetzten darüber in Kenntnis setzen zu müssen. Die Verteidiger beantragten den Freispruch für ihren Klienten.

Am Dienstag wird der Anwalt von Roger Siezen an das Rednerpult treten.