Denken statt nachdenken

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Luxemburg ist ein politisches Produkt aus dem 19. Jahrhundert, ein für diese Zeit sogar sehr typisches./Alvin Sold

Luxemburg ist ein politisches Produkt aus dem 19. Jahrhundert, ein für diese Zeit sogar sehr typisches. Keine der damaligen, rivalisierenden Großmächte sollte es besitzen dürfen; man musste es irgendwie zum Neutrum machen. Das Ding halte Distanz insbesondere zu Frankreich und zu Preußen. Es bekomme Nassauer als Monarchen, oranische zuerst, dann, nach dynastischem Recht, halt weilburgische, sowie eine Lokalregierung, die eines zu verinnerlichen hat, nämlich: So klein ist das Land! So klein!
Zum Überleben hätte diese Grundlage natürlich nicht gereicht.
Es bedurfte einiger Zufälle der wirtschaftlichen Art, um die materielle Existenz des Mini-Staates abzusichern. Als die Festung 1867 geschleift wurde und die Hauptstadt somit ihrer wirtschaftlichen Grundlage beraubt ward, wurde im Minett das Erz verhüttbar und es entstand auf engstem Raum eine überaus profitable Stahlindustrie. Fast 100 Jahre später, als der Riese Arbed wankte, brauchte EU-Europa einen Finanz- und Bankenplatz, und den konnten wir souverän einrichten, schnell und lukrativ für die inzwischen ungedämmten Geldströme.
Jetzt, wo der Nebel sich lichtet und erkennbar wird, dass die freie Marktwirtschaft zum Selbstbedienungsladen für Spekulanten verkommen war, beginnt das Nachdenken.
Wie konnte das geschehen? Wusste keiner, dass die 10 und 15 und 20 und mehr Prozent, die von Investmentfonds und deren Banken in Aussicht gestellt wurden, auf die Dauer nicht verdient werden können? Weder in der Industrie noch im Handwerk und im Handel, und daher, daher!!! auch nicht im Dienstleistungssektor?
Keiner wusste es, keiner wollte es wissen, aber alle ahnten es. Sagen sie heute. La bonne excuse!
Tatsache ist, dass die Fähigkeit zum Kaufen und zum Genießen in den 90er Jahren ein Selektionskriterium wurde. Man musste sich heute dies leisten können und morgen das, um im kleinen wie im großen Kreis bestehen zu können.
Welch Armutszeichen, im Grunde genommen, für die sogenannte freie westliche Welt, in der man leichtfertig die in Jahrzehnten erkämpften politischen und sozialen Rechte der Allgemeinheit über Bord zu werfen bereit war, wegen der persönlichen Interessen!
Wer und was heutzutage gerettet wird, bis in die obersten Finanz- und Business-Etagen, verdankt sein Noch-Dasein der Solidarität.
Deren Fürsprecher sollten nach vorne preschen und Tribut für ihre grundsätzlich richtige Idee verlangen. Tribut in Form eines demokratischeren, sozial gerechteren Staatswesens in Luxemburg und, warum nicht, über Luxemburg hinaus, denn es gibt der modern Gesinnten viele.
Ein demokratisches, sozial gerechteres Luxemburg? Ist damit nicht die Kernfrage der in sechs Monaten anstehenden Wahlen gestellt?
Der Großherzog beliebte klarzustellen, dass ihm der erste kleine Schritt zu einer zeitgemäßeren Verfassung nicht aufgezwungen wurde, sondern von ihm selber gewollt war. Das kann ich bestätigen, weil er mir in einem persönlichen Gespräch versicherte, er habe schon vor Jahresfrist den Premierminister darum gebeten. Vor Jahresfrist.

Im weiten Sinne des Wortes

Ein Referendum, wie es der ominöse Kartheiser, des Ex-Wirtes aus Differdingen Hintermann, anstrebt, ist somit eine Perfidie auf Kosten und zu Lasten Henris, dessen Bereitschaft zu Novellen man nutzen sollte. Der Fürst wünscht weniger Macht. Warum sollten wir ihm nicht weniger Macht gönnen?
Und uns endlich wieder dem Hauptthema der Politik zuwenden, das da heißt: Soziale Gerechtigkeit, im weitesten Sinne des Wortes, also mit all den kulturellen, gesundheits-, bildungs- und umweltpolitischen Bestandteilen, die dazugehören.
Denken wir darüber nach. Eigenständig. Um die Parteien-Angebote, wenn sie denn vorliegen, besser zu prüfen.

LEITARTIKELblogs.tageblatt.lu

Alvin Sold
asold@tageblatt.lu