2010 muss zu einem Schlüsseljahr werden

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Im Parlament legt heute Lucien Thiel (CSV) den Bericht der parlamentarischen Finanzkommission zum Entwurf des Staatshaushalts 2010 vor. Im Tageblatt-Interview spricht sich Thiel für einen klaren Sparkurs aus, der 2010 festgelegt werden muss./ Léon Marx

Tageblatt: Sie sind bereits zum zweiten Mal Berichterstatter zum Haushaltsentwurf. War der Bericht zum Budget 2007 eine zu leichte Aufgabe?
Lucien Thiel: „Nein. Das hat etwas mit der Parlamentsarithmetik zu tun. So viele Leute sitzen ja nun auch wieder nicht in der Budgetkommission. Ich muss allerdings sagen, dass ich nicht unfroh war, als man auf mich zukam.
Auch weil mir das die Gelegenheit gibt, auf eine Reihe von Überlegungen zurückzukommen, die in der sogenannten Antikrisenkommission geführt wurden, die aber vor den Wahlen etwas untergingen. Das war als Präsident schon etwas frustrierend. In dieser Kommission wurde u.a. die Idee eines ‚BIP du bien-être‘ angeschnitten. Diese Idee hat die Regierung inzwischen auch in ihr Programm übernommen.“

„T“: Hinter diesem „BIP du bien-être“ versteckt sich doch eigentlich die Kritik, die Luxemburger hätten über ihre Verhältnisse gelebt und noch nicht gemerkt, dass sie zurückstecken müssen …
L. T.: „Nein, das eine hat nicht direkt mit dem anderen zu tun. Was mich immer genervt hat war er politische Diskurs vom Mensch im Mittelpunkt. Wobei der rein materielle Reichtum nach vorne gerückt wird. Die Idee eines BIP, das neben dem rein ökonomischen Aspekt auch die Nachhaltigkeit und das Soziale berücksichtigt, hat mich seit langem angesprochen. Wenn man das wirkliche Reichtum eines Landes messen will, dann darf man nicht nur die rein finanziellen Elemente sehen.
Diese Frage wird auch in anderen Ländern zunehmend diskutiert. Bis internationale Normen für ein solches BIP stehen, ist ein langer Prozess, bei dem Luxemburg nicht abseits stehen darf.“

„T“: Vor allem wird es schwierig sein, den Leuten nach der Krise glaubhaft zu vermitteln, dass es nicht nur darum geht, die Parameter zu verändern und schon geht es uns wieder gut.

L. T.: „Es geht nicht darum, den Leuten Sand in die Augen zu streuen. Es geht darum, längerfristig zu denken. Die Krisenbekämpfung ist eine kurz- bis mittelfristige Sache, das ‚BIP du bien-être‘ eine langfristige, die weiter in die Zukunft geht.
Nicht umsonst hat Frankreich dabei auch auf Prof. Stiglitz zurückgegriffen. Bis diese Parameter stehen, werden noch mindestens zehn Jahre vergehen.“

„T“: Prof. Stiglitz, den Sie erwähnen, war einer der Wissenschaftler, die ziemlich früh vor der Krise warnten. In Ihrem Bericht zum Haushalt 2007 vertraten Sie selbst die Ansicht, dass wir die Krise nur streifen würden …
L. T.: „Das sind wir ja auch zum Teil. Das muss man ganz einfach sehen. Wir sind, mit Nuancen, bislang besser durch die Krise gekommen als andere Länder. Die Industrie allerdings hat es voll erwischt.“

„T“: Wie kommt das eigentlich? Jahrelang wurde davor gewarnt, Luxemburg müsse weg von den Banken, seine Wirtschaft diversifizieren. Und jetzt, mitten in der Finanzkrise, stellen wir fest, dass es die Industrie am stärksten trifft.
L. T.: „Das ist zu einem Teil darauf zurückzuführen, dass der Finanzplatz relativ gut aufgestellt ist. Der Sektor hat sich über 15 Jahre lang Gedanken darüber gemacht, wie der Standort gesichert werden könnte, selbst wenn das Steuergeheimnis wegbrechen würde. Darüber wurde natürlich nicht offen gesprochen, das hat aber dazu geführt, dass neue Produkte geschaffen wurden, darunter auch Hedgefonds und die Pfandverbriefungen (titrisation), die dazu führten, dass wir heute breit aufgestellt sind. Heute lacht jeder über die Pfandverbriefung. Ich kann nur immer wieder betonen, dass das vom System her nichts neues und auch nichts schlechtes ist. Das Produkt wurde allerdings von den so genannten golden boys“ – nicht in Luxemburg – für Spekulationen mißbraucht wurde. Ein Produkt dieser breiteren Aufstellung des Finanzssektors ist auch der elektronische und der Internethandel. . Der Finanzsektor muss sich permanent infrage stellen und sich alle zehn Jahre neu erfinden.Der hat noch weitre Expansionsmöglichkeiten
Natürlich muss sich die Wirtschaft aus dem Monolithismus des Finanzplatzes befreien. Da gibt es aber nicht endlos viele Möglichkeiten. Manches im industriellen Sektor können wir als Hochlohn-Land einfach nicht mehr machen. Aber Luxemburg braucht neben den Banken und dem Dienstleistungsbereich auch weiterhin die Industrie und das Handwerk. Wir haben derzeit eine ziemlich verjüngte Industrie. Die gilt es zu halten und auszubauen.“

„T“: Vereinzelt wird von der Politik laut über Steuersenkungen nachgedacht, um Betriebe in Luxemburg zu halten und neue anzulocken. Ihr Budgetbericht geht eher in die andere Richtung. Eventuell notwendige Steueranhebungen müssten gerecht zwischen Unternehmen und Privathaushalten aufgeteilt werden, heißt es da.
L. T.: „Ich sage – und da ist nicht jeder mit mir einverstanden –, dass wir prioritär sparen müssen. Erst wenn das nicht reicht, sollten, müssen, wir an der Steuerschraube drehen. Wenn wir jetzt direkt an die Steuern gehen, bekommen wir – und zu Recht – eine riesige Debatte. Und wir riskieren, die Konkurrenzfähigkeit der Betriebe, die schon etwas gelitten hat, weiter zu gefährden. Ich weiß, dass es auch Leute gibt, die den Spitzensteuersatz anheben möchten. Daran würde vermutlich kein Luxemburger zugrunde gehen. Aber das könnte Ausländer abschrecken.
Richtig ist aber auch, dass die Steuerlast heute nicht das erste Kriterium bei Niederlassungen von Betrieben ist. Wichtiger sind die politische und soziale Stabilität.“

„T“: Wenn man einzelne Berichte zum Budget liest … Glauben Sie, dass die Patronatsorganisationen das wirklich so sehen?

L. T.: „Die Berichte der einzelnen Berufskammern gehen ziemlich weit auseinander. Es ist auch kein Geheimnis, dass sich diese unterschiedlichen Positionen irgendwie in der Koalition widerspiegelt. Beide Seiten haben mit der Darstellung ihrer Ideen in der Öffentlichkeit natürlich auch ihre Hintergedanken. Hinzu kommt, dass die Einschätzung der Situation derzeit schwierig ist.
Ich fürchte, dass sich hinter der konjunkturellen Krise, die vorbeigehen wird, eine strukturelle verbirgt, die wir in guten Zeiten nicht bemerkt haben. Niemand weiß, welches Wachstum die Wirtschaft nach der Krise wieder erreichen wird. Aber wir wissen alle, dass unsere aktuelle Gesellschaft auf einem Wachstum von vier Prozent basiert. Zumindest die Frage, was es heißt, wenn die Wirtschaft im Schnitt nur noch zwei Prozent wächst, müsste erlaubt sein.
Was die Situation derzeit so schwierig macht, ist die Tatsache, dass die Menschen mit Krisenmeldungen überhäuft wurden, selbst aber davon bislang kaum etwas gemerkt haben. Die Endabrechnung, das unweigerliche Loch bei den Staatseinnahmen, kommt aufgrund der bankinternen Mechanismen erst in drei Jahren. Diese zeitliche Versetzung der Ereignisse macht es schwierig, die Botschaft zu vermitteln. Und da hat auch die Presse eine wichtige Rolle zu spielen.
Derzeit sind sich alle Länder einig, nicht in der Krise zu bremsen, sondern die Investitionen erst später zurückzunehmen. Das Schuldenmachen kann aber nicht endlos weitergehen. Dieser Ausstieg muss 2010 vorbereitet werden. All die Probleme und Lösungen, die sich da stellen, müssen unter den Partnern abgeklärt werden. Erfreulicherweise will die Regierung diesmal neben der Tripartite auch das Parlament einbinden.
Das Budget 2011 wird Mitte 2010 aufgestellt. So ganz viel Zeit bleibt da nicht. Irgendwann müssen wir die Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben wieder zubekommen. Die Patronatsorganisationen möchten früher mit Sparen beginnen. Auf der anderen Seite waren sie es aber auch, die Applaus für die antizyklische Politik spendeten.T.: Gibt es nicht auch innerhalb der Koalitionsfraktionen Leute, die früher mit Sparen anfangen möchten? Wenn sich da an den Auftritt von Michel Wolter im Dezember 2006 denke.L.Th.: Es gab schon 2006 einzelne Leute, die feststellten, dass wir strukturelle Defizite aufbauten. Damals schon ging die Schere zwischen Ein- und Ausgaben auseinander. Die Ausgaben stiegen schneller als die Einnahmen. Jetzt aber gehen die Einnahmen sogar zurück. Damals gab es heftige Diskussionen innerhalb der CSV, ob man diese Entwicklung weiterlaufen lässt.Sparen ist kein Selbstzweck. So masochistisch ist auch in der CSV niemand. Dahinter steht die Sorge, dass wir dabei sind, uns längerfristig in eine ganz gefährliche Situation hinein zu manövrieren.Ziel muss eine neue, breitere Aufstellung der Wirtschaft sein, die mehr Steuereinnahmen für den Staat generiert um so auch kommenden Generationen in Luxemburg ein dem unsrigen vergleichbares Leben zu erlauben. T. Unsere Kinder sollen ja eigentlich ein anderes Leben führen, wenn ich an dieses BIP du bien-être“ zurückkomme.L. Th.: Ja, aber in diesem „BIP du bien-être“ ist auch das klassische BIP noch immer drin.T.: Was heisst das denn konkret. Gut leben mit weniger Geld geht nicht?L.Th.: Nein und deshalb müssen wir mehr Geld verdienen. Und dazu müssen wir unsere Wirtschaft leistungsstark halten. Es gibt keinen Weg zurück. Es geht nur nach vorne. Schöner, besser leben hat auch, aber nicht nur mit Geld zu tun. “

„T“: Vor allem die „golden boys“, die schon wieder anfangen, über die Stränge zu schlagen, kommen in Ihrem Budgetbericht nicht gut weg. Aus dem Mund eines langjährigen ABBL-Direktors (bis 2004) klingt das doch etwas merkwürdig.
L. T.: „Ich habe mein Leben lang immer eine kritische Distanz zu den Dingen gehalten. Ja, ich habe den Bankenplatz verkauft, weil ich dafür bezahlt wurde. Und weil ich daran geglaubt habe. Das heißt aber nicht, dass ich alles, was in den USA und anderswo passierte, nicht in Luxemburg, gutgeheißen hätte. Ich kann mir jetzt den Luxus erlauben, meine kritische Position offen auszuleben.
In Luxemburg wurde immer auf sehr konservative Weise mit dem Geld der Kunden gearbeitet. Deswegen kommen wir auch etwas besser weg als andere Finanzstandort.“