Kultur-Ministerium? Abschaffen

Kultur-Ministerium? Abschaffen
(Tageblatt-Archiv)

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Guy Rewenig gilt als leidenschaftlicher Kulturkämpfer. Er liebt Ironie und Provokation und polarisiert wie kaum ein anderer. Wir haben uns mit ihm unterhalten.

Tageblatt: Der aktuelle Anlass unseres Treffens ist nicht gerade erfreulich. Ende des Jahres schließen Sie Ihren im Jahr 2000 gemeinsam mit Roger Manderscheid gegründeten Verlag ultimomondo. Warum?

Guy Rewenig: Es gibt nur einen Grund: Wir hören auf, weil wir das erreicht haben, was wir erreichen wollten. Bei der Verlagsgründung hatten wir uns vorgenommen, insgesamt 100 Bücher herauszugeben, was damals ein verwegenes, wenn nicht tollkühnes Vorhaben war. Das ging aber dann schneller als gedacht, da wir unseren ursprünglichen Plan, vier Bücher pro Jahr herauszubringen, sehr bald selbst gesprengt haben. Wir könnten natürlich endlos weitermachen, aber wir haben uns entschieden, aufzuhören. Unserem Gefühl nach ist unser Gesamtprodukt fertig. Mit unserer Verlagsarbeit sind wir zufrieden und wir sind überhaupt nicht traurig. Und das Wichtigste ist ja: Die Bücher bleiben.

Das 100. Buch fehlt jedoch. Sie hören nun nach 99 Büchern auf.

Das 100. Buch war geplant, aber vor der Drucklegung hat die Autorin ihr Manuskript zurückgezogen, da sie noch kein gutes Gefühl mit ihrem Text hatte. Sie möchte ihr Buch in aller Ruhe überarbeiten. Das ist eine respektable, jedenfalls professionelle Entscheidung. 99 Bücher gefällt mir eigentlich auch besser als 100. 100 ist doch eine banale Zahl (lacht).

Was hat Ihnen besonders Spaß gemacht bei der Arbeit als Verleger?

Eigentlich alles. Die Verlagsarbeit war eine spannende Erfahrung, da wir alles erlernen mussten, vom Schreiben übers Redigieren anderer Texte und dem Layout bis hin zum Vertrieb. All diese Tätigkeiten haben Spaß gemacht. Wir waren ein kleines, ehrenamtliches Team, das alles in Eigenregie bewältigt hat, heute noch bin ich ins Ösling gefahren, um eine Bestellung von elf Büchern in einer Buchhandlung abzuliefern. Genau diese „handwerkliche Basisarbeit“ wird mir auch ein bisschen fehlen.

Was hat Sie geärgert während der Verlagsarbeit?

Geärgert hat mich gelegentlich, dass meine eigenen Schreibprojekte wegen der aufreibenden Verlagsarbeit liegen geblieben sind. Ich habe nun jetzt wirklich Lust, wieder kontinuierlich zu schreiben.

Haben Sie konkrete Projekte?

Ich arbeite gleichzeitig an mehreren Projekten. Ein erstes Buch ist fertig, „Je n’arrive pas à dormir“, eine Art satirische Schlaflosen-Litanei. Das kommt im März 2015 heraus.

Bei welchem Verlag?

Bei mir selbst.

Gibt es einen neuen Verlag?

Nein, eben nicht. Ich mache meine Bücher nun gemeinsam mit Pat Wengler, die eine ausgezeichnete Grafikerin und Buchdesignerin ist. Wir sind schon sehr lange ein eingespieltes Duo und leisten uns jetzt den Luxus, in aller Freiheit und Gelassenheit ein paar schöne Bücher herauszugeben.

Wie haben Sie sich als Verlag im Verlagswesen Luxemburgs zurechtgefunden? Ultimomondo war zum Beispiel nie Mitglied des Verlegerverbandes …

Wir hatten von Anfang an eine bewusste Außenseiterposition, wir haben uns in der Tradition von Francis van Maele gesehen, wollten im Grunde gegen den Mainstream arbeiten und haben dies auch getan. Und wir waren nicht Mitglied im Verband, was ja zu vielen überflüssigen Konflikten und Scherereien geführt hat. Ein weiteres Problem im Verlagswesen ist, dass immer mehr Bücher veröffentlicht werden, ohne dass jedoch die Leserschaft wächst.
Das bringt mit sich, dass das einzelne Buch immer stärker riskiert, in der Masse zu verschwinden. Ich sehe das vor allem auch bei Kinderbüchern. Vor zwanzig, fünfundzwanzig Jahren gab es kaum luxemburgische Kinderbücher. Heute gibt es jede Menge und viele darunter sind eher fragwürdig.

Wie sehen denn fragwürdige Kinderbücher aus?

Ich rede von den Kinderbüchern, die alles verniedlichen und die Kinder als Teilnehmer der Gesellschaft nicht ernst nehmen.
Es sind diese knallfarbenen Kinderbetäubungsbücher voller Heile-Welt-Klischees, die sich vor allem jetzt zu Weihnachten wieder auf den Tischen stapeln. Bücher, die in die festlich aufgemotzte Dezemberblödigkeit passen mögen, aber ansonsten rein gar nichts mit Literatur zu tun haben.
Zum Glück gibt es die Bestsellerlisten. Sie sagen uns ja, was wir kaufen müssen …
Bestsellerlisten sagen nichts über die Qualität von Büchern aus. Sie sind eine Erfindung vom Verleger- und vom Buchhändlerverband, sie haben eine rein kommerzielle Ausrichtung. Drei größere Buchhandlungen bestimmen, was auf den monatlichen Listen landet. Andere Buchhändler boykottieren zugleich diesen Bestseller-Werberummel. Literarisch repräsentativ sind diese Listen auf keinen Fall.

Außerdem weigert sich der Verlegerverband beharrlich, die Bestsellerlisten wenigstens in Kategorien zu unterteilen, literarische Bücher getrennt von Sachbüchern aufzulisten. Da wird die Literatur zwangsläufig nach hinten heraus gedrückt. Vom Großherzog oder vom Radsport oder von der wachsenden Krimi- und Kochbücherflut. In anderen Worten: Diese Verleger sabotieren eigentlich ihre eigenen literarischen Veröffentlichungen, die nicht länger sichtbar sind. Bestsellerlisten tragen nicht dazu bei, die Luxemburger Literatur zu promoten. Ganz im Gegenteil.

Was trägt denn dazu bei? Der Auftritt des Verlegerverbandes auf der Karlsruher Bücherschau?

Leipzig und Frankfurt sind die Orte, an denen Luxemburger Verleger und Autoren sein sollten. Diese großen Messen verfügen über die ideale Infrastruktur, alle wichtigen Literaturagenturen sind hier vertreten. Karlsruhe ist ein Rückschritt in mehrfacher Hinsicht. Erstens wurden nicht-föderierte Verlage in die Planung aufzuschlagen, ist der völlig falsche Weg. Doch der Verband sieht das aus purem Eigeninteresse anders und das Kulturministerium kuscht. Was wir dringend bräuchten, ist eine unabhängige luxemburgische Literaturagentur, die sich etwa um diese Auftritte im Ausland kümmert.

Apropos Kulturministerium: Unter Octavie Modert haben Sie dem Ministerium vorgeworfen, es sei untätig und faul, denkfaul und reaktionsfaul. Ist es jetzt besser?

Nein, unter der aktuellen Kulturministerin ist alles noch schlimmer geworden. Ich habe immer gedacht, die kulturpolitische Konzeptlosigkeit von Frau Modert sei nicht zu unterbieten, doch jetzt ist die Skala nach unten wirklich offen. Frau Nagel hat weder ein Konzept noch überhaupt einen Bezug zur Kultur. Ich habe noch keinen Satz von dieser Frau gehört, der irgendwie Substanz hätte. Ihr Ministerium reduziert Kulturpolitik unumwunden und selbstherrlich auf Geldpolitik. Diese Politik funktioniert nach rein neoliberalen Kriterien, ohne das geringste Gespür für den emanzipatorischen Wert der Kultur. Das alte Ideal von Kultur als existenziellem Mehrwert besteht nicht mehr, es ist einfach weggebrochen.

Woran liegt dies?

In erster Linie liegt es an dieser verrückten Besessenheit, zu sparen, diesem fast schon manischen Sparwahn der Luxemburger Regierung, der in alle Ministerien eingezogen ist. Es ist natürlich sehr einfach, an der Kultur zu sparen, da hier der Widerstand erwartungsgemäß sehr gering bleibt, obwohl in Kulturkreisen die Enttäuschung über die neue Regierung sehr groß ist.

Warum ist der Widerstand so gering?

Von allen Seiten bekomme ich eine auffällige Unzufriedenheit zu spüren. Alle sind aufgebracht über die nichtexistente Kulturpolitik. Aber in der Regel nur hinter vorgehaltener Hand. Fast niemand möchte wirklich konkret gegensteuern. Die von oben herab verordnete, überarbeitete Subventionspolitik des Ministeriums schüchtert wohl nachhaltig ein.

Was würden Sie denn machen, wenn Sie im Kulturministerium das Sagen hätten?

Das Kulturministerium abschaffen (lacht). Denn es hat unter dieser Form keine Existenzberechtigung mehr. Ich würde es ersetzen durch ein Ministerium für liberale Hochstapelei. Das wäre ehrlicher und konsequenter. Im Ernst: Ich würde mich darum bemühen, dass der Kulturbegriff sach- und sinngemäß definiert und verankert wird, dass also die emanzipatorische Dimension der Kultur endlich wieder zum Vorschein kommt. Unabhängig von Geld und Subventionen, ist Kultur in erster Linie ein Mehrwert, ein echtes Lebensmittel. Doch dieses Verständnis ist mit einer liberalen Kulturpolitik nicht möglich. Eine neoliberale Partei kann grundsätzlich keine Kulturpolitik machen. Schon allein ihr Wirtschaftsverständnis macht dies unmöglich.

Könnte die LSAP es denn besser?

Schwer zu sagen. Zumindest wäre der weltanschauliche Hintergrund ein anderer. Doch die LSAP hat die letzten Koalitionsverhandlungen regelrecht verbockt. Ursprünglich war die LSAP ja für das Kulturministerium vorgesehen, doch weil sie unbedingt den Sport behalten wollte, hat sie die Kultur geopfert. Diese viel zu zögerliche LSAP hätte zum Beispiel eine qualifizierte Kandidatin oder einen Amtsinhaber vorschlagen können, der nicht aus ihrer eigenen Partei stammt, aber für das Kulturministerium gut gerüstet ist. Warum sollten nicht endlich profilierte Kulturmenschen wie Danielle Igniti oder Jo Kox oder Enrico Lunghi zu Ministerwürden kommen?

Handelt es sich nicht um ein Paradox – einerseits eine nicht existente Kulturpolitik, andererseits ein riesengroßes Kulturangebot?

Nein, das ist kein Paradox. Es werden die falschen Prioritäten gesetzt. Wir kaufen lieber im großen Stil ein, Mainstream, große Events, Schmuckstücke aus dem Ausland, die dann in den großen Häusern gezeigt werden, und vernachlässigen die nationale Kreativität. Also das Ureigene, das, was hier entsteht und charakteristisch für Luxemburg ist. Das ist eine fatale Wahl. Ganz nach der Logik: Wir haben Geld, wir regeln die Kultur – wie alles andere übrigens – ruckzuck mit dem Scheckbuch.

Niemand sagt: Es gibt zu viele Autos auf den Luxemburger Straßen. Oder: Es fließt zu viel Alkohol im Marienland. Aber man hört immer wieder, neuerdings sogar aus dem Kulturministerium: Es gibt zu viel Kultur in unserem Land. Genauso gut könnte man behaupten: Hier gibt es zu viel Luft zum Atmen.

Gibt es ähnliche Entwicklungen in der Literaturbranche?

Das, was man als authentische Luxemburger Literatur bezeichnen könnte, also die Werke Luxemburger Autoren, wird immer stärker in den Hintergrund gedrängt. Schauen Sie sich zum Beispiel die Übersetzungen von Büchern an: Anstatt den Schwerpunkt darauf zu legen, luxemburgische Literatur in andere Sprachen zu übersetzen und ihr so zumindest die Chance zu geben, auch über den Landesgrenzen hinaus Leser zu finden, geht die Tendenz dahin, etwa deutschsprachige Bücher ins Luxemburgische zu übersetzen. Das braucht doch niemand.
Ich denke, hier macht sich der immer noch tief sitzende Minderwertigkeitskomplex Luxemburgs bemerkbar: Man greift lieber auf ausländische Produkte zurück und „verluxemburgisiert“ sie, statt kulturelle Kreativität und ihre Produkte hier zu fördern. Diese luxemburgischen Fassungen ausländischer Erfolgsbücher erscheinen dann auf den heimischen Bestsellerlisten in der Rubrik „nationale Veröffentlichungen“, ganz so, als seien sie hier entstanden. So wird der kommerzielle Bluff auf die Spitze getrieben.

Und die Gesellschaft macht bei all diesem kommerziellen Bluffen mit …

Nicht nur beim kommerziellen Bluffen. Die Gesellschaft ist ja keine abstrakte Größe, wir alle sind die Gesellschaft. Und wir alle haben offenbar ein starkes Bedürfnis, immer wieder betrogen zu werden. Neulich sagte Herr Juncker in einem RTL-Interview allen Ernstes: „Die CSV wird die nächsten Parlamentswahlen haushoch gewinnen.“ Ja, auf welcher Grundlage denn? Da wird eine Partei, die nicht nur ihr bombastisches Versagen als herausragende Leistung verkauft, sondern die offenbar längst klinisch tot ist, zynischerweise als Retterin der Nation verkauft. Es fragt sich natürlich, wer solche Behauptungen in die Welt setzt.

Und da sind wir dann in den höheren Sphären des politischen Bluffs angekommen: Herrn Junckers gesamte Politikerkarriere fußt nachweislich auf Tricksen, Manipulieren, Vorspiegeln falscher Tatsachen. Das kommt in der verallgemeinerten Bluff-Society an, mit diesen Taschenspieler-Eigenschaften kann man ohne maßgeblichen Widerstand Präsident der EU-Kommission werden. Und genau dieses Europa soll uns dann Vorbild sein …

Politischer Bluff, kommerzieller Bluff, in Ordnung. Aber kultureller Bluff?

Die Frage ist, ob nicht auch die Kultur ein beträchtliches „Bluffpotenzial“ hat. Denn die Kultur ist ja Teil des Systems, sie spielt sich ja nicht im Niemandsland ab. Kultur wird immer dann hochgehalten, wenn in der Gesellschaft alles drunter und drüber geht. Sie wird dann zum Firnis, zur Glasur, die alle tiefen Risse in der Gesellschaft übertünchen soll.

Die Kultur soll tröstlich sein, sie erscheint als eine Art letzte Fluchtburg („ultimo mondo“), wo wir das Schöne, Gute, Wahre preisen dürfen. Wahrscheinlich sind auch diese Anwandlungen nur Illusion, also im Kern ein gepflegter Selbstbetrug. Denn die Welt ist vollends aus den Fugen geraten, eine generell immer brutalere Gewaltbereitschaft setzt alle edlen Empfindungen und Ansinnen außer Kraft. Immerhin tut die Selbsttäuschung per Kultur keinem weh. Weil sie wenigstens gewaltfrei ist. Wenn ich mich zum Beispiel mit einem guten Buch über die realen Verhältnisse hinwegsetze und mich in eine Parallelwelt hinüberrette, bin ich zwar ein romantischer Träumer, also gesellschaftlich eigentlich irrelevant, aber ich verschärfe wenigstens nicht die herrschenden Konflikte. So. Das war jetzt ein nettes Wort zum Sonntag.