Samstag18. Oktober 2025

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„Kein Medikament ohne Nebenwirkungen“

„Kein Medikament ohne Nebenwirkungen“
(dpa-Archiv)

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Beginn im sogenannten CHL-Prozess am Dienstag. Insgesamt zwölf Ärzte und Pfleger stehen wegen fahrlässiger Tötung eines Kleinkindes vor Gericht.

Die Fakten gehen auf den Freitag, 15. Juli 2005 zurück, als ein dreijähriges Mädchen mit einem schweren Hirntrauma in der Notfallstation des „Centre hospitalier de Luxembourg“ (CHL) aufgenommen wurde. Es war kurz vorher von einem Auto angefahren worden. Das Kind war daraufhin mit dem Medikament Diprivan (Propofol) ruhiggestellt worden, um untersucht werden zu können.

Am Dienstag kündigte die zuständige Richterin an, dass die ersten zwei Wochen der öffentlichen Verhandlungen den drei Gutachten vorbehalten seien. Die Staatsanwaltschaft ordnete die Hauptexpertise von Philippe Hantson von der Uniklinik Saint-Luc an und zwei Gegenexpertisen von Philippe Meyer, Narkosearzt am CHU Necker in Paris, und Robert Naeije vom „Laboratory of Physiology“ an der ULB in Brüssel.

Dann trat der Experte Philippe Hantson in den Zeugenstand und stellte das Medikament Diprivan als ein Hypnotikum vor, das in den 80er Jahren sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern regelmäßig in der Reanimation eingesetzt wurde. Propofol hat den Vorteil, dass es kurzfristig einsetzbar ist und der Patient schnell wieder aufwacht. Erst 1992 kamen Bedenken auf, das Mittel bei Kindern unter 15 Jahren einzusetzen. Ab 2001 wurde empfohlen, Propofol bei Kindern unter fünf Jahren nicht mehr anzuwenden.

Abwägung der Risiken

In einem Artikel einer renommierten medizinischen Publikation von 2003 ging die Rede vom Propofol-Infusionssyndrom, der aber keine Anweisung des Produzenten enthielt, ganz auf das Medikament zu verzichten, sondern, es „verantwortungsbewusst“ einzusetzen.

Aus den weiteren Aussagen des Experten schälte sich heraus, dass die Medizin keine genaue Wissenschaft ist. Der Einsatz eines Medikamentes, besonders in Notfällen, sei immer eine individuelle Entscheidung des behandelnden Arztes.

Standard Medikament

Me Philippe Penning wollte wissen, wie lange eine sogenannte längere Ruhigstellung dauert. Der Experte habe in seinem Gutachten 48 bis 72 Stunden geschrieben. Auch wenn es schwierig sei, meinte Philippe Hantson, einigte man sich schließlich auf 72 Stunden.
Zur Erinnerung: Das Mädchen war rund 79 Stunden im CHL behandelt worden, bevor es am 19. Juli 2005 per Nottransport ins Klinikum Saint-Luc nach Brüssel verlegt wurde, wo es kurz darauf starb. Da man damals von einem Unfalltod ausging, gab es keine Autopsie des Kindes.

Der Gutachter sagte, dass die Zahl der Fälle, in denen sich bei Erwachsenen beim Einsatz von Propofol Nebenwirkungen zeigten, unter einem Prozent liege. Außerdem sei Propofol auch bei pädiatrischen Behandlungen nicht verboten, es müsse nur auf die Dosis und die Zeitdauer des Einsatzes geachtet werden.

Wichtige Details

Die Frage von Me Assa, ob das Verhältnis von Dosis und Gewicht des Patienten eine Rolle spiele, bestätigte der Experte, nicht ohne hinzuzufügen, dass auch der Zustand des Patienten zu beachten ist.

Interessant war die Aussage des Experten, dass Kinder, die noch ihre „natürlichen“ Infektionen vor sich haben, genetisch anders auf verschiedene Moleküle reagieren wie Erwachsene.

Allgegegenwärtige Nebenwirkungen

Ob eine Autopsie in diesem speziellen Fall der Aufklärung gedient hätte, wollten mehrere Anwälte wissen, was der Experte jedoch bezweifelte, weil sie keine Aufklärung zu den kausalen Zusammenhängen gegeben hätte.

Warum dieses Medikament nicht verboten wurde, wollte Me Penning wissen. Er musste sich vom Experten sinngemäß sagen lassen, dass es kein Medikament gibt, das ohne Nebenwirkungen ist. Dass Gift und Medizin sich sehr nahekommen, sehe man schon am Stab des Äskulap, um den sich eine Schlange windet.

Der Prozess wird am Mittwoch fortgesetzt.