Halb Dandy, halb Hedonist

Halb Dandy, halb Hedonist
(dpa)

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Pete(r) Doherty spielt auf seinem 38. Geburtstag ein ausgiebiges und ausuferndes Set in Luxemburg.

Der Hedonismus feiert Geburtstag – und zelebriert, wie sollte es anders sein, hauptsächlich sich selbst. Doherty und seine neue Tourband Puta Madres hauchen dem etwas biederen Solowerk des „Libertine“ erstaunlich viel Leben und Schwung ein. Leider fühlt sich der Zuschauer mitunter so, als hätte er sich zu spät in eine Party eingeklinkt, auf der jeder Gast schon mindestens drei Promille hat.

Vor einem Pete (mittlerweile mit optionalem „r“) Doherty Konzert stellen sich dem Konzertgänger eine ganze Reihe an Fragen und Befürchtungen: Wie streng, wenn überhaupt, dissoziiert der Mann seine wiederbelebte Rolle als „The Libertines“-Frontmann von seinem Solowerk? Spielt Doherty, der ja fast schon zur Verkörperung des zeitgenössischen Hedonismus verkommen ist, nur Solomaterial? Oder gibt’s auch den ein oder anderen Auszug aus dem Babyshambles- und Libertines-Katalog zu hören? Wie verhält sich ein Musiker, dessen Solowerk zu keinem Zeitpunkt mit den Großtaten seiner Hauptband(s) messen lässt? Funktioniert Pete ohne Carl? Wenn ja, wie? Und vor allem, um in die tiefgründigen Gefilde der Klatsch und Tratsch-Presse einzutauchen: Wie clean ist Doherty wirklich? All diese Unsicherheiten fegt Doherty zu Beginn seines Auftritts mitsamt dem Inhalt einer „Kleiner Feigling“-Flasche weg.

Doherty in Luxemburg

Die obenstehende Liste an Fragen hätte man ja schon vor Jahren mit einer zumindest provisorischen Aussage beantworten können, hätte Doherty damals nicht den Ruf einer auf Alkohol und Drogenkonsum basierenden Unzuverlässigkeit verteidigen müssen und so seine Karriere mit abgesagten Konzerten gepflastert – darunter auch seine Auftritte im Großherzogtum.

Als wolle er dies wieder wettmachen, tritt Doherty in Luxemburg am Sonntag über 2 Stunden auf – fast 3, wenn man den ausufernden Prolog von Jack Jones, dem Leadgitarristen der neuen Tourband Puta Madres, mitrechnet. Im Laufe dieses Auftakts wird dann auch schon die chaotische Blaupause des bevorstehenden Konzerts entworfen: hier ein bisschen akustisches Geschrammel, da ein bisschen Spoken-Word Poesie, irgendwann taucht die Violinistin Miki Beavis auf, abschließend wird ein Song mitsamt improvisierter Band gespielt.

„Fuck Forever“

Das Misstrauen des Publikums ist anschließend spürbar, irgendwo hört man ständig jemanden scherzen, Pete würde bestimmt im letzten Moment absagen. Nervöses Gelächter hängt in der Luft, Gerüchte eines halbnackten, betrunkenen Petes kursieren, man bewegt sich auf dem schmalen Grat zwischen Fakt und Fiktion, zwischen Mythos und Person.

Als Doherty dann endlich auftaucht und die Setlist zu Beginn mit den neuen Singles „I Don’t Love Anyone (But You’re Not Just Anyone)“ und „Kolly Kibber“ recht stark ausfällt, kann man aufatmen: Doherty ist nicht nur physisch anwesend, er ist sogar, obwohl er äußerst angeschlagen wirkt, in großer Form. Er zweckentfremdet das Mikrofon als Drumstick, macht Sit-Ups, gibt den eleganten Dandy genau so überzeugend wie den torkelnden Lebemann, singt tonsicher und neckt das Publikum gelegentlich. Als jemand „Fuck Forever“ fordert, erwidert er: „Ihr wisst doch, dass wir das am Ende bringen,“, spielt dann das nicht minder bekannte „Delivery“ von den Babyshambles – und scheint „Fuck Forever“ dann gänzlich vergessen zu haben.

Hedonistische Lebensphilosophie

Im Laufe des Sets werden rigide Konstellationen auf verschiedenste Art und Weise durchbrochen: Ein Techniker darf auch mal in die Saiten hauen, die räumlich üblicherweise durchstrukturierte Positionierung der einzelnen Musiker lässt immerzu einer Choreographie des organisierten Chaos’ Platz, die Songs gehen fließend ineinander über und ihre Strukturen werden hier zermürbt, da werden sie zum Vorwand ausufernder Jams. Dieser Ode an den Chaos liegt eine trunkene Kollegialität zugrunde – mehr als einmal wird Leadgitarrist Jack Jones von Doherty als Carl Barât-Ersatz zweckentfremdet, regelmäßig taucht jemand jovial mit neuen Drinks auf der Bühne auf.

Dass die Band die hedonistische Lebensphilosophie eines Doherty auch formal reproduzieren will, ist an sich äußerst lobenswert. Das Konzert hört und fühlt sich dadurch aber oft so an, als würde man im Probesaal einer angetrunkenen (zweifelsfrei talentierten) Band stehen.

Eine Art Erleichterung

All dies hat sicherlich seinen Charme, nur verliert man ab der Mitte des Konzerts den Zugriff, da das Geschehen irgendwann zu willkürlich wirkt – als hätte man eine Fallstudie des Hedonismus inszenieren wollen. Auf Dauer verlieren die krachigen Jams an ihrem Charme, und spätestens gegen Ende des Sets merkt man, dass Dohertys Solowerk vom Songwriting her einfach zu abwechslungsarm ist, um auf solcher Länge zu überzeugend. Hier wäre weniger definitiv mehr gewesen.

Das merkt man spätestens beim sehr langen Encore: Als eine wiederum sehr lange Jam endlich in „Fuck Forever“ mündet, tobt das Publikum sich endlich richtig aus. Dies kann man als Befürwortung der Stärke dieses Tracks ansehen – oder es als eine Art Erleichterung, endlich mal einen kompakteren Song zu hören, interpretieren.

„Laissez-faire“-Stimmung

Vorher dem Encore waren die Lichter schon wieder angeschaltet worden, Musik tönte wie zu Konzertenden üblich aus den Boxen, ein Teil des Publikums war schon auf dem Heimweg als Bassist Drew McConnell dann singend auf der Bühne stand bevor die Band dann wieder vollständig war: Auch hier schien die dekonstruktivistische „Laissez-faire“-Stimmung durch, die man sowohl als erfrischend auch als sehr anstrengend empfinden konnte.

Im Endeffekt fragt sich natürlich, wie einstudiert all dies ist. Denn Pete Doherty weiss, dass er einen Ruf zu verteidigen hat – den des unzüchtigen Hedonisten. Er weiss, dass niemand zu einem Doherty Konzert geht, um einen geordneten Auftritt zu erleben. Weshalb ein Pete Doherty Konzert wohl am besten auf einem Freitagabend zu erleben wäre – und nicht unbedingt sonntagabends im Atelier, wo die Bierpreise sich dem hedonistischen Esprit in die Wege stellen.