„Gott hat keine Adresse“

„Gott hat keine Adresse“
(AP)

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In aberwitzigen Gerichtsverfahren erstreiten Anwälte in den USA Rekordsummen. Jeder kann für so ziemlich jeden Grund verklagt werden - selbst Tote oder Gott.

Es war ein einziger Becher Kaffee, der Stella Liebecks Leben für immer verändern sollte. Nicht nur, weil sie das Heißgetränk der Fast-Food-Kette McDonald’s versehentlich in ihren Schoß kippte und dabei schwerste Verbrennungen erlitt. Sondern vor allem weil der darauffolgende Prozess ihr viel Geld einbrachte – aber auch sehr viel Ärger, Kritik und weltweiten Medienrummel.

Zu satten 2,7 Millionen Dollar (rund 2 Mio. Euro) Strafzahlung an Liebeck verdonnerte ein Geschworenengericht die US-Imbisskette. Derzeit muss McDonald’s sich wieder vor Gericht verantworten, und wieder geht es um verkippten Kaffee. Diesmal sei der Deckel „fahrlässig, sorglos und unsachgemäß auf den Kaffeebecher gesetzt“ worden, heißt es in der Klageschrift aus Los Angeles. Paulette Carr, die sich an dem Heißgetränk verbrannte, will nun nicht nur die Arztkosten erstreiten, sondern fordert auch Schadenersatz für entgangenen Lohn und den Verlust ihrer Erwerbsfähigkeit gleich mit.

Millionensummen

Es sind teils groteske Fälle, mit denen Anwälte in den USA vor Gericht ziehen, und nicht selten schlagen sie für ihre Mandanten unglaubliche Summen heraus. Für die skurrilsten Klagen gab es einige Jahre den „Stella Award“ – den Preis für die absurdeste Beschwerde, benannt nach Stella Liebeck. Auf 67,3 Millionen Dollar verklagte etwa ein Richter in Washington eine Reinigungsfirma, die seine wertvolle Hose verlegte. Wie die Beteiligten sich nach endlosem juristischen Hickhack einigten, wurde allerdings nicht bekannt.

Noch befremdlicher schien die Klage eines Mannes aus Portland (Oregon), der behauptete, ständig für die Basketball-Legende Michael Jordan gehalten zu werden und deshalb für Verleumdung und dauerhafte Schädigung 52 Millionen Dollar verlangte. Hinzu kamen unfassbare 832 Million Dollar Schadenersatz, die er von Jordan und einem Mitgründer des Sportartikel-Produzenten Nike für „emotionalen Schmerz und Leid“ forderte. Erst nach Gesprächen mit Nike ließ er die Klage fallen.

Gott

In Chicago wurde selbst ein Toter schon verklagt: Der Mann war von einem Zug überfahren und getötet worden, woraufhin der leblose Körper in die Luft geschleudert wurde und eine Frau am Bahnsteig traf. Sie wurde zu Boden geworfen und brach sich mehrere Knochen – und klagte, jedoch erfolglos. Zur Begründung des Gerichts hieß es, das Unfallopfer habe ihre Verletzungen nicht vorhersehen können.

Gewissermaßen bis zum höchsten Gericht zog ein US-Abgeordneter, der Gott wegen vergangener und andauernder „Terrordrohungen“ verklagte. Die Anklage gegen den Allmächtigen wurde abgewiesen. „Gott hat keine Adresse“, hieß es in der Begründung des Gerichts im Jahr 2008. Der Politiker wollte zeigen, dass man in den USA praktisch jeden aus jedem Grund verklagen könne.

„Durchstehen“

Stella Liebeck wird auch 20 Jahre nach ihrer McDonald’s-Klage aus all diesen Fällen herausstechen. Im globalen Medienrummel strickten sich die Zeitungen nach und nach ihre eigene Version des legendären Prozesses. Was viele nicht berichteten: Ein Richter reduzierte die Rekordsumme von 2,7 Millionen Dollar deutlich. Nach Angaben der „New York Times“ einigten sich die Beteiligten letztlich auf eine Zahlung von weniger als 500.000 Dollar.

Doch die juristischen Scharmützel sind nicht das leicht verdiente Geld, das Beobachter beim Blick auf die USA manchmal vermuten wollen. „Um vor Gericht zu ziehen und jemanden zu verklagen, muss man viel Ärger durchstehen“, sagt ein Experte in der Dokumentation „Hot Coffee“ zum Liebeck-Fall. „Es betrifft Dein Leben. Du wirst auf alle möglichen Weisen attackiert werden. Vor Gericht zu ziehen und Gerechtigkeit zu erlangen, ist heroisch.“