Frankreichs Spaß an der Polemik

Frankreichs Spaß an der Polemik
(Reuters/Regis Duvignau)

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Darf ein französischer Premierminister ein Staatsflugzeug benutzen, um zu einem Fußballspiel nach Berlin zu fliegen? In Frankreich ist darüber eine erbitterte Polemik ausgebrochen.

Manuael Valls ist ein Kämpfer. Er geht keiner Auseinandersetzung aus dem Weg. Jetzt aber muss der französische Ministerpräsident gegen sich selber kämpfen. Der Grund ist ein Fußballspiel. Manuel Valls ist am vergangenen Samstagabend mit zweien seiner Söhne nach Berlin zum Fußballspiel FC Barcelona gegen Turin geflogen. Dafür hat er den Parteitag der Sozialisten verlassen. Nach dem Spiel flog er zurück und war am nächsten Morgen wieder auf dem Parteitag. Seitdem ist in Frankreich eine erbitterte Diskussion darüber ausgebrochen, ob er dafür ein Staatsflugzeug hätte benutzen dürfen. Die französischen Medien machen im Fernsehen ihre Nachrichten damit auf, Zeitungen nutzen die erste Seite. Frankreich hat sichtlich keine anderen Sorgen als die Frage, ob Manuel Valls diesen Flug nun bezahlen muss. Französische Journalisten entblödeten sich nicht, Staatspräsident Francois Hollande in einer Pessekonferenz danach zu fragen.

In Frankreich liegt die Arbeitslosenzahl auf einem Höchststand. Premierminister Valls kündigte am Dienstag an, dass er den Mittelstand für jeden Arbeitsplatz subventionieren wolle, den er neu schafft. Frankreich steuert auf eine Verschuldungsquote von 100 Prozent zu. Finanzminister Michel Sapin verkündete gerade die frohe Botschaft, dass er das Budgetdefizit gesenkt habe. Alles Nachrichten, bei der eine ernsthafte Presse Schwierigkeiten hätte, zu entscheiden, was auf die erste Seite kommt. Was aber nimmt die sich ernst nehmende linke Tageszeitung als Aufmachung über fast eine ganze erste Seite in ihrer Mitwochs-Ausgabe? Den Ausflug des Premierministers zum Endspiel der Championsliga nach Berlin.

Andere Sorgen

Dabei könnte doch gerade Frankreich dafür Verständnis haben. Das Land verschleudert so viel Geld mit seinen verkürzten Arbeitszeiten, die in der öffentlichen Verwaltung häufig nicht mehr 35 sondern nur noch 32 oder gar 30 Stunden beträgt, wie die Forscherin Angnès Verdier-Molinié in ihrem Buch „On va dans le mur…“ beschreibt. Und in dem es im Schulsystem 1,2 Millionen Beschäftigte für 12,6 Millionen Schüler gibt, wobei die Leistungen der Schüler immer schlechter werden, und nun weitere 60.000 Lehrer eingestellt werden sollen. Eigentlich sollte Frankreich doch auch Verständnis dafür haben, dass der in Barcelona geborene Manuel Valls – Anhänger des FC Barcelona – zur Europa Krönung seines Clubs nach Berlin geflogen ist. Aber: Angesichts der im Land herrschenden „Frankreich- Phobie“ (Nur französische Erdbeeren sind gut. Fleisch muss von französischen Rindern kommen. Der Staatspräsident muss eine französische Brille tragen und keine mit dänischem Gestell. Die französische Armee muss französische Geländewagen fahren, obwohl es keine gibt. Und so fort) muss man schon erstaunt sein, dass ihm nicht angekreidet wird, zu einem Fußballspiel zweier ausländischer Mannschaften ins Ausland geflogen zu sein.

Valls hat die Phobie in Frankreich unterschätzt, mit der sich jeder darauf stürzt, der Regierung oder dem Bürgermeister oder irgendeinem Abgeordneten oder Mandatsträger einen Fehler nachzuweisen. In Frankreich ist es zum Sport geworden, den vermeintlichen oder richtigen Skandal zu suchen und gnadenlos auszuschlachten. Deshalb ist auch davon auszugehen, dass bei den Fragestunden in der Nationalversammlung in der kommenden Woche ein schauerliches Schauspiel veranstaltet wird. Da wird es um das Privatleben des Premierministers und seine Fußball-Leidenschaft gehen.

Frankreich eben

Einer seiner Vorgänger, Francois Fillon, Premierminister von Staatspräsident Sarkozy, wird fast zehn Minuten in dem morgendlichen Kult-Interview des Fernseh-Senders BFMTV zu der Fußballreise von Manuel Valls befragt. „Beim Staatspräsidenten und Ministerpräsidenten ist es Unsinn, zu versuchen, Privatleben und Staatsamt zu trennen. Sie sind 24 Stunden lang Staatspräsident und Ministerpräsident und müssen jederzeit beweglich sein“, sagt er. Gleichwohl meint er, dass Manuel Valls den Preis eines Linienfluges bezahlen sollte. So argumentiert man halt in Frankreich. Man sagt das Eine und gleichzeitig sein Gegenteil.

Manuel Valls hat sich allerdings selbst in die missliche Lage gebracht. Erst hat er argumentiert, dass es eine private Reise sei, dann hielt ihm Staatspräsident Hollande den Rücken frei und behauptete, dass Valls mit UEFA Präsident Michel Platini – auf dessen Einladung er nach Berlin geflogen sei – über die Fußball WM 2016 in Frankreich geredet und einen Platini Besuch in Paris vorbereitet hätte. Überdies hätten beide über die Situation bei der FIFA geredet. Obwohl Platini tatsächlich am Mittwoch früh bei Staatspräsident Hollande war, ist das ein schwacher Versuch gewesen, Valls aus der Schusslinie zu nehmen. Man kann ihn nicht aus der Schusslinie nehmen. Er hat sich selber hinein gebracht in dem Wissen, dass die französischen Polit-Papparazis nur darauf gewartet haben. Auch wenn die Geschichte demnächst aus den Schlagzeilen verschwinden wird, sie wird Valls noch lange verfolgen. Wobei: Wenn man ernsthaft überlegt, was Schusslinie in anderen Staaten bedeutet, die über das Operettenstück zum Fußballflug nur lächeln würden. . .

Überdies: Wenn man überlegt, dass Europa gerade mit Griechenland über das Überleben des Euro zankt und stattdessen in Frankreich die Fußball-Leidenschaft des Premierministers und eine private Dienstreise zu einem Fußballspiel im Vordergrund stehen. . .welch ein Land mit seinen völlig eigenwilligen Prioritäten! Frankreich eben.