Falsch gepolt?

Falsch gepolt?
(AFP)

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Was eine Formalie sein sollte, droht den EU-Gipfel zu blockieren. Ein Überblick zu den wichtigsten Fragen im Streit zwischen Polen und den anderen Europäern.

Was eigentlich eine Formalie sein sollte, droht den ganzen EU-Gipfel zu blockieren. Donald Tusk soll am Donnerstag als Ratspräsident für eine zweite Amtszeit bestätigt werden. Polens rechtsnationale Regierung lehnt ihren Landsmann allerdings ab.

Präsident

Der Präsident des Europäischen Rates ist eines von drei Spitzenämtern der EU – neben dem Kommissionschef und dem Parlamentspräsidenten. Der Ratspräsident organisiert und leitet die Gipfel der Staats- und Regierungschefs. Den Posten gibt es seit 2009. Die Amtszeit beträgt zweieinhalb Jahre. Der Präsident kann einmal wiedergewählt werden. Seit dem 1. Dezember 2014 übt der frühere polnische Regierungschef Donald Tusk diese Funktion aus. Seine erste Amtszeit läuft noch bis zum 31. Mai 2017. Für die Wahl des Ratspräsidenten ist die Unterstützung seines Heimatlandes nicht erforderlich.

Tusk habe sich in die polnische Innenpolitik eingemischt, so der Vorwurf. Was nicht ganz falsch, aber doch nur die halbe Wahrheit ist. Als Polen im vergangenen Dezember die Parlamentsberichtserstattung einschränken wollte, meldete sich Tusk zu Wort, forderte „Respekt“ gegenüber „verfassungsrechtlichen Prinzipien und Werten“.

Es geht immer auch noch schlimmer

Zuvor eskalierte der Streit zwischen Polen und der EU schon einmal. Dabei ging es um die Versuche der Regierung, das Verfassungsgericht so umzubauen, dass es seinen Aufgaben nicht mehr nachkommen kann. Auch Kommissionspräsident Juncker hat dagegen protestiert, ebenso das Europaparlament. Außenminister Jean Asselborn sagte gar, dass das heutige Polen so nicht mehr in die EU käme.

Die Beziehungen zwischen Warschau und Brüssel sind demnach auf einem Tiefpunkt angelangt. Dass es immer auch noch schlimmer geht, beweist Polens Regierung, indem sie einen Gegenkandidaten zu Tusk ins Rennen schickt. Dazu droht Warschau mit der Blockade des gesamten Gipfels der europäischen Staats- und Regierungschefs, sollte Tusk gewählt werden.

Was passiert heute in Brüssel? Ein kurzer Überblick

Trotz der polnischen Blockadedrohung gilt Tusks Wiederwahl quasi als gesichert. Der Rat wählt seinen Präsidenten mit qualifizierter Mehrheit. 21 der 28 Staats- und Regierungschefs müssen demnach für Tusk stimmen. Sie müssen dazu für 65 Prozent der EU-Bürger stehen. Das sollte gelingen. Sogar dann, wenn sich Ungarn, das wie Polen rechtsnational regiert wird, ebenfalls gegen Tusk stellen sollte (was aber keineswegs so kommen muss).

Wie diffamiert die PiS-Regierung Donald Tusk?

Polens Präsident Jaroslaw Kaczynski brandmarkt Tusk als „deutschen Kandidaten“. Damit trifft er einen wunden Punkt. Wenn Tusk in Brüssel etwas vorgeworfen wurde, dann zu sehr auf die deutsche Kanzlerin Angela Merkel zu hören. Kaczynski hat Tusk auch bereits beschuldigt, in eine Verschwörung verstrickt zu sein, die zum Tod von Kaczynskis Bruder Lech führte, der bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam.

Kaczynski ist der starke Mann in Polen. Die PiS ist seine Partei. Wie ein regelmäßiger Gipfel-Insider erzählt, gehen pro Gipfel anderthalb bis zwei Stunden wegen Polen verloren. Dies, weil Premierministerin Beata Szydlo vor jeder Entscheidung den Raum verlassen muss, um sich von ihrem Präsidenten ihre Entscheidung diktieren zu lassen. Ein zumindest höchst ungewöhnlicher Vorgang.

Was bedeutet Warschaus Blockade-Drohung?

Sie bedeutet an allererster Stelle, dass Polen am Donnerstagabend erstmals vollkommen isoliert in der EU dastehen könnte. Nicht einmal auf die Unterstützung der übrigen Visegrad-Staaten Tschechien, Slowakei und Ungarn kann Warschau heute zählen.

Szydlo kann ihre Kollegen allerdings mächtig auf die Nerven gehen. Alle heutigen Ratsbeschlüsse –mit der Ausnahme der Tusk-Wahl – müssen einvernehmlich getroffen werden. Gipfelschlussfolgerungen sind geplant zur Wirtschaftspolitik, ein klares Bekenntnis zum internationalen Handel vor dem Hintergrund des Kurswechsels in den USA, zur Stärkung der EU-Verteidigungspolitik und zum Westbalkan.

Am Freitag stehen Beratungen über die künftige Ausrichtung der EU nach dem Brexit auf dem Programm. Die Staats- und Regierungschefs bereiten dabei ohne Großbritannien eine Erklärung für ihren Sondergipfel Ende März zu 60 Jahre Römische Verträge vor. Es liegt also auf der Hand, Polens Blockade-Drohung als Erpressungsversuch zu sehen. Kaum vorstellbar, dass sich die übrigen 27 dem beugen werden.

Was bedeutet das für Polen?

Sollte Polen den anderen Europäern dieses große Jubiläum tatsächlich vermiesen, das viele als Startschuss in eine neue EU-Zeit sehen wollen, wäre seine Isolierung so sicher wie der Wodka nach deftiger polnischer Kost.
Wird Tusk gegen Warschaus Willen wiedergewählt, dürfte die PiS-Regierung hiermit in Polen weitere EU-feindliche Ressentiments schüren. Zum Beispiel, indem es die Ratspräsidentenwahl als undemokratisch darstellt oder die EU als Deutschland-hörig.

Kann das Ganze noch glimpflich verlaufen?

Zumindest arbeitet man daran. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel kommt noch vor Gipfelbeginn in Brüssel mit Szydlo zusammen. Das Treffen ist für 15.00 Uhr im Gipfelgebäude angesetzt. Ob sich Szyydlo umstimmen lässt? Eher unwahrscheinlich. Einzige Gewissheit ist wohl, dass sie davor mit Kaczynski telefoniert.