„Es führt kein Weg an der EVP vorbei“

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Die Luxemburger linken Parteien sind erschreckt über die zahlreichen Stimmen, die der FN bei den Europawahlen erhalten hat. Jean-Claude Juncker seinerseits sieht sich als Brückenbauer.

Jean-Claude Juncker: „Es führt kein Weg an der EVP vorbei. Es führt im Übrigen auch kein Weg daran vorbei, dass Christdemokraten und Sozialisten im nächsten Europaparlament intensiv sachbezogen, aber auch gefühlsmäßig zusammenarbeiten müssen.“ Juncker warnte: „Niemand sollte versuchen, eine andere Mehrheit zustande zu bringen.“

Auf die Frage, ob er es immer noch für möglich halte, dass sein sozialdemokratischer Gegenkandidat Martin Schulz doch noch Kommissionspräsident werde, sagte Juncker: „Ich habe eine fast unbegrenzte Fantasie, aber so weit reicht sie nicht.“ Juncker fügte hinzu: „Ich bin nicht jemand, der anderen nie die Hand reichen würde. Aber ich hätte gerne, dass ich zunächst eine ausgestreckte Hand sehe.“ Er rede gerne „mit allen demokratischen Kräften, mit Sozialdemokraten und Sozialisten“. Er mache aber deutlich, wo Unterschiede lägen: „Ich bin ein Brückenbauer, ein Konsenssüchtiger – aber kein Kompromissler egal zu welchem Preis.“

Xavier Bettel (DP): „Als Luxemburger Premier bin ich froh. Die Luxemburger haben für Europa gewählt, im Gegensatz zu den Bürgern einiger anderer EU-Staaten. Die Situation in Frankreich macht mir Angst. Wenn ein Viertel der Leute eine Partei wählen, die Europa kaputt machen will, dann ist klar, dass wir Europa den Bürgern näher bringen müssen. Als DP-Parteipräsident bin ich natürlich unzufrieden. Die ‚Demokratesch Partei‘ hat leicht an Stimmen eingebüßt. Es darf allerdings nicht vergessen werden, dass diese Wahl strikt von der nationalen Politik getrennt werden muss. Die Leute haben für Juncker gestimmt. Sie wollten einen Luxemburger als Kommissionspräsidenten.“

Jean Asselborn (LSAP): „Ich glaube, es ist noch zu früh, um wirklich eine Aussage machen zu können. Die Lage ist noch unklar. Die EVP liegt im Europaparlament zwar vorn, doch wenn z.B. nur eine Partei, etwa die italienische Forza Italia, nicht mehr zur EVP geht, ist der Vorsprung gegenüber den Sozialdemokraten und Sozialisten hin.

Diesmal wird der Präsident der Kommission allerdings ganz sicher nicht alleine vom Europäischen Rat bestimmt. Die Fraktionen werden großen Einfluss haben. Allerdings hängt die Mehrheitsbildung ja nicht nur von politischen Grundströmungen ab. Es wird auch um Themen und um die Substanz gehen. Wenn z.B. die UMP, so wie es Sarkozy vorschwebt, jetzt das Schengener Abkommen infrage stellt und den Einfluss der Kommission zurückschrauben will, ist nicht klar, ob die EVP hier mitmacht. Ich glaube daher nicht, dass bis morgen, wenn sich die Staats- und Regierungschefs in Brüssel treffen werden, bereits alles klar sein wird. Erschüttert bin ich darüber, dass jeder vierte Franzose die Front national gewählt hat und dass die FN auch in Lothringen erfolgreich war. Wenn das Europa der FN bis an unsere Grenze rankommt und auch Leute, die bei uns arbeiten, Grenzen wieder einführen wollen, frage ich mich, wie es weitergehen soll.

Positiv hingegen sehe ich die Tatsache, dass in Italien die Sozialdemokratische Partei als Wahlsieger hervorgegangen ist. Mit einem großen Vorsprung vor der Bewegung eines Beppo Grillo. Für mich ist dies ein Zeichen, dass die Italiener für Reformen sind und diese Tendenz sich auch bei Wahlen durchsetzt.“

André Hoffmann (déi Lénk): „Wir freuen uns, dass wir unser Ergebnis im Vergleich zu den letzten Europawahlen (+2,39%) und zu den letzten Parlamentswahlen (+0,73%) verbessern konnten“, so der faktische Spitzenkandidat von „déi Lénk“, André Hoffmann, gegenüber dem Tageblatt. Dennoch könne man nicht darüber hinwegsehen, „dass es in Luxemburg und besonders in anderen EU-Mitgliedsstaaten zu einem Rechtstrend gekommen“ sei. André Hoffmann forderte in diesem Zusammenhang eine tiefgehende Diskussion über die Ursachen dieses Phänomens. Das Ergebnis der LSAP muss laut Hoffmann „zu einer neuen Orientierung der Partei“ führen. Der Politiker von „déi Lénk“ schlussfolgert, dass „die aktuelle soziale Regression mit einer politischen und kulturellen Regression verbunden ist“.

Sven Clement (Piratenpartei) :“In einem Wort: glücklich“, kommentierte Pirat Sven Clement das Resultat seiner Partei. Er sei mehr als zufrieden. „Wir sind gut in den Marathon der luxemburgischen Politik gestartet“, sagte er gegenüber dem Tageblatt und denkt bereits an kommende Wahlen.

Die Resultate rechtspopulistischer und anti-europäischer Parteien in Frankreich, Italien und Großbritannien betrachtet er mit großer Frustration. Dass 70 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg wieder verstärkt rechte Tendenzen zum Vorschein kommen, bedauert der „Pirat“. Europa habe sich Frieden geschaffen dadurch, dass die Bürger moderate und pro-europäische Parteien gewählt haben. In Anbetracht der aktuellen Tendenzen wünscht sich der „Pirat“, dass mancherorts die Geschichtsbücher wieder herausgekramt werden.

Jean Schoos (ADR):“Natürlich haben wir uns ein besseres Resultat erwarter“, sagte Schoos. Allerdings habe seine Partei immerhin einen ganzen Prozentpunkt mehr erlangt als bei den nationalen Wahlen im letzten Oktober und gegenüber den Europawahlen 2009 ein wenig zugelegt.

Der ADR erreichte rund 7,5 Prozent der Wählerstimmen und erhielt somit keinen Sitz im Europaparlament. Schoos bedauerte im Gespräch mit dem Tageblatt jedoch, dass im Wahlkampf nicht Sachthemen, sondern die Frage um die Kommissionspräsidentschaft im Vordergrund gestanden hätten.

Georges Bach (CSV). Für den CSV-Europaparlamentarier Georges Bach erklärt sich das starke Resultat der CSV vor allem durch zwei Ursachen. Zum einen sei man bei den Menschen immer noch „die“ Europa-Partei. Jetzt würden die schmerzhaften Maßnahmen, die zu Beginn der Krise getroffen wurden, ihre ersten Früchte tragen. Der Wähler würde dies honorieren.

Zum anderen sei man fünf Wochen lang während des Wahlkampfs als Mannschaft aufgetreten. Niemand sei aus der Reihe getanzt, jeder habe an einem Strang gezogen. Dies und der Auftrieb, den man bei der Parteibasis zu spüren bekam, hätten ihre Auswirkungen beim Wähler gehabt.

Nun gelte es, die Bürger – und hier vor allem die Jugend – des Kontinents wieder für das Projekt Europa mitzuziehen. Vieles sei für den Bürger nicht transparent genug, weil die Politik es nicht verstehe, die Sachverhältnisse zu erklären.

Auch der Mittelstand müsse weiter gestärkt werden, da er den Großteil des Wachstums darstelle und nur so die Arbeitslosigkeit abgebaut werden könne.

Sein persönliches Ergebnis sieht Georges Bach auch mit Genugtuung. Er sei zwar nicht jemand, der am laufenden Band „Scoops“ produziere, doch die Wähler hätten schon mitbekommen, dass er – vielleicht etwas stiller als andere – eine gute Arbeit leiste und seine Dossiers beherrsche.

Viviane Reding (CSV). Wenn im ersten Satz das Wort „historisch“ fällt, sind die Linien abgesteckt. Für die CSV ist es das höchste je bei Europawahlen eingefahrene Resultat. Die rund 120.000 Stimmen, die die CSV-Spitzenkandidatin Viviane Reding verbuchen konnte, möchte Reding nicht nur auf ihre Person verbucht sehen. „Es ist das Ergebnis von fünf Jahren Arbeit“, so Reding, die voll des Lobes war für ihr „Kompetenzteam“, wie sie ihre Mitkandidaten und sich selber bezeichnete. Reding ist überzeugt, dass dieses Resultat gut für Luxemburg ist. „Wir brauchen starke Luxemburger in Europa – sonst werden wir untergebuttert“, schätzt Reding die Bedeutung dieser Wahl ein.

Viviane Reding sieht das Ergebnis der CSV auch als Desavouierung der aktuell regierenden Dreierkoalition. „Man muss die Frage nach der Legitimität dieser Regierung stellen“, so die langjährige Europapolitikerin. Jean-Claude Junckers Einfluss auf den Wahlausgang schätzt Reding nicht so hoch ein. Den Europa-Wahlkampf für die CSV hätten die sechs Kandidaten geführt, nicht Juncker.

Die Resultate, besonders aus Frankreich, gründen für Viviane Reding (CSV) besonders auf einer Tatsache. Wenn Zentrumsparteien sich eine rechtsextreme Ausdrucksweise aneignen würden, wäre ein solches Resultat, wie der Front National es eingefahren hat, sozusagen eine logische Konsequenz. „Dann wählen die Menschen das Original.“ Und in diesem Fall ist das nun einmal der FN. Die vielen Stimmen, die an den linken und an den rechten Rand gingen, würden für „vill Kaméidi“ im Europaparlament sorgen. Jetzt sei die Zeit gekommen, dass die politische Mitte noch enger zusammenrücken müsse, um diesem Phänomen zu begegnen und die politische Deutungshoheit zu behalten

Charles Goerens (DP). Wegen der Resultate aus dem Ausland, wo sowohl der rechte als auch der linke Rand gestärkt wurden, wird das nächste Europäische Parlament eine große Verantwortung tragen. Davon ist Charles Goerens, Spitzenkandidat der DP, überzeugt. Goerens, der besonders seinen Wählern und seinem Team dankte, zeigt sich entschlossen, auf europäischer Ebene so zu arbeiten, dass das europäische Wesen nicht zerstört wird. Goerens sprach von „Interferenzen“ im Wahlkampf. Eine von diesen war das kontrovers diskutierte Freihandelsabkommen mit den USA, das TTIP. Die DP wisse um die Diktate, die die USA Europa auferlegen wollten – in der Vergangenheit und auch jetzt.

„Das macht auch uns Sorgen“, so Goerens. Jedoch böte sich eben nun die Gelegenheit, mit den USA zu verhandeln. Das sei nicht immer der Fall gewesen. „Wir ziehen klare Linien und sagen: Bis hierhin und nicht weiter.“ Aber das TTIP könne auch die Chance sein, europäische Standards durchzusetzen. „Wir wollen erst schauen, dann bewerten – und dann entscheiden.“ Was die nationalen Resultate angeht, fragt sich Goerens laut, ob das mit der späten Bekanntgabe in Zukunft noch Sinn mache. Für eine Analyse des Abschneidens der DP sei es noch zu früh. Diese werde gemacht, aber mit dem nötigen Abstand zu den Ereignissen dieses Wahlabends. Klar für Goerens ist aber, dass der Juncker-Faktor eine Rolle gespielt hat. Jedoch: „Wir haben in schwierigen Zeiten unseren Sitz behalten.“ Das sei ein Erfolg des DP-Teams, in dem die sechs Kandidaten hervorragende Arbeit geleistet hätten. Betroffen zeigte sich der DP-Spitzenkandidat über das Abschneiden der LSAP. Damit habe er nicht gerechnet. Es erschrecke ihn. „Ich bin nicht froh über das Resultat der Sozialisten. Sie haben immer verantwortungsvolle Arbeit geleistet – und jetzt so etwas“, äußerte sich Goerens über das Ergebnis des nationalen Koalitionspartners.

Claude Turmes (déi gréng). Der Spitzenkandidat der Grünen, Claude Turmes, sah in dem Resultat eine Bestätigung für die gute Arbeit der Grünen im Europaparlament und einer Wahlkampagne, die sich bewusst von anderen unterschieden habe und mit klaren Inhalten (etwa eine ablehnende Position zu TTIP). Wohl sei die Partei kritisch gewesen, aber konstruktiv kritisch, ohne in eine „Eurobéatitude“ zu verfallen. Andere seien zwar auch kritisch gewesen, hätten aber keinen konkreten Bezug zu Europa gefunden. Zum Zeitpunkt des Gesprächs war nicht klar, ob die Grünen nun zweit- oder drittstärkste Kraft in Luxemburg seien.

Auf die Frage, ob er Auswirkungen auf die nationale Politik sehe, meinte Turmes, die Europawahl sei nicht mit einer nationalen Wahl zu vergleichen. Die Luxemburger hätten sich ganz klar dafür ausgedrückt, dass Jean-Claude Juncker Kommissionspräsident werden solle, es sei bei vielen eine Pro-Juncker-Entscheidung gewesen.

Dieses Phänomen sei im Übrigen auch in Deutschland zu erkennen, wo die SPD dank Junckers Gegenkandidaten Martin Schulz auch zugelegt hat. RTL, so Turmes, habe zudem sowohl Juncker als auch der CSV während der gesamten Kampagne den „roten Teppich“ ausgelegt.

Bei einer Europawahl mit nur sechs zu Wählenden hätten die Kandidaten eine größere Bedeutung als bei den nationalen Parlamentswahlen: Die LSAP sei zum Teil abgestraft worden, weil sie nicht mit ihrem „sortant“ Robert Goebbels angetreten sei.

Insgesamt seien die Grünen zufrieden, weil der Negativtrend der letzten Parlamentswahl gestoppt werden konnte.

Zu den 25 Prozent, die die Front national in Frankreich erreicht hat, meinte Turmes, Frankreich sei in einem desolaten Zustand, das Land brauche einen regelrechten „sursaut citoyen“; ein „sursaut politique“ reiche da nicht mehr aus.

Frank Engel (CSV). Das historisch beste Ergebnis erklärt sich laut Frank Engel dadurch, dass die CSV als Team aufgetreten sei. „Die Wähler haben unsere Kompetenz honoriert“, meinte der Europaparlamentarier dem Tageblatt gegenüber. Dies sei vor allem dadurch deutlich geworden, da das Ergebnis auch ohne etwa Jean-Claude Juncker oder auch Astrid Lulling auf der Liste so eindeutig ausgefallen sei. „Wir mussten keine Person – wie andere – durch das Land plakatieren.“ Nun sei es an Jean-Claude Juncker und der EVP, Koalitionsgespräche zu führen. Für Frank Engel wäre jede andere Konstellation ein Wortbruch, da die großen europäischen Parteien sich im Vorfeld darauf geeinigt hätten, dass die stärkste Partei zuerst diesen Schritt unternehmen soll.