Mittwoch22. Oktober 2025

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Die Wall Street

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Eigentlich ist die Wall Street gar nicht die Wall Street. Alle Eingänge der Wall Street liegen in der Broad Street. Auch die berühmte Säulenfront liegt in der Broadstreet, einer Seitenstraße der Wall Street.

Es ist ein kleiner Hauseingang mit einer goldenen Tür und der Hausnummer elf, der der berühmtesten Börse der Welt ihren Namen gegeben hat. Die Straße selbst war von 1653 an für 20 Jahre der Holzwall, der die Stadt Neu Amsterdam gegen Eindringlinge schützen sollte. Symbolisch sind in das Kopfsteinplaster der Wall Street an der Stelle des alten Holzzaunes heutzutage Eichenholz-Stücke eingelassen, die den Wall markieren und einen Eindruck von seinem Verlauf geben. Als Georges Washington, dessen überdimensionales Denkmal vor der Federation Hall gleich gegenüber der Wall Street steht, dort 147 Jahre später – 1789 – seinen Eid als erster Präsident der Vereinigten Staaten von Nordamerika ablegt, ist von der hölzernen Schutzmauer schon nichts mehr übrig.

Die Börse, die heutzutage noch die wichtigste der Welt ist, existierte zum Zeipunkt des Amtseides von Georges Washington bereits sieben Jahre. Sie war 1792 gegründet worden. Am Pfingstmontag wird dort normal gehandelt. Der Umsatz wird bei etwa 50 Milliarden Dollar liegen, der Dow Jones Index steht fünf Minuten vor Schluss mit 4,4 Prozent im Plus bei 11.957 Punkten.

Elektronischer Handel

Der Parkett Handel ist an der Börse Frankfurt gerade eingestellt worden. Das Palais Brongniart in Paris, die ehemaligen Börse, sieht dort schon seit Jahren keinen Börsenmakler mehr. Bei den beiden entscheidenden europäischen Börsen ist der Handel heutzutage elektronisch. Das hektische Geschrei gehört in Europa der Vergangenheit an. Bei der New York Stock Exchange (NYSE) wird auch nicht mehr gerufen. Große Bildschirme bestimmen das Geschehen. Aber die Amerikaner haben das Gefühl für den Mythos behalten. Die Börsenmakler auf dem Parkett tragen immer noch ihre seltsamen Westen. Und der Handelssaal wird immer noch von den großen Pilzen gesprägt. Die NYSE hat sich ein Zwischensystem zwischen Parkettsystem und Brokern bewahrt, die von ihren Computern in ihren Büros an der Wall Street die Kurse machen.

Während 21 internationale Journalisten, alle als Preisträger der Citi Finanzgruppe aus einem weltweiten Journalistenwettbewerb hervor gegangen und nun Gast in einem Journalistenseminar der Columbia University in New York, auf der Galerie der NYSE in der Wall Street stehen, werden einige Hundert Kilometer entfernt die letzten Schlachten in einer neuen Etape der NYSE geschlagen. Amerikaner und Deutsche wollen die Börsen fusionieren und unter das Dach einer gemeinsamen Holding in den Niederlanden mit dem Namen “Holdco” bringen.

Fusion soll ausgeweitet werden

Das ist dabei nicht alles. NYSE heißt eigentlich längst “NYSE Euronext”. Im Jahre 2000 haben sich die Börsen von Brüssel, Paris, Amsterdam und Lissabon zu der gemeinsamen Börse “Euronext” zusammengeschlossen. Euronext fusionierte im Jahre 2007 mit der Wall Street, die seitdem unter “NYSE Euronext firmiert”. Diese Fusion soll nun ausgeweitet werden. Die Börse Frankfurt und die New Yorker wollen nun zu einem gemeinsamen Unternehmen fusionieren. “Holdco” soll es heißen und seinen Sitz in den Niederlanden haben. “Holdco” ist ziemlich phantasielos und ist einfach die Abkürzung für “Holding Company”. Die niederländische Holding soll durch Aktientausch entstehen.

Während wir also auf der Galerie stehen, und auf die “closing bell” warten, geschehen die entscheidenden Dinge in Washington und in einer Telephonkonferenz zwischen dem Aufsichtsrat der Deutschen Börse und dem Schweizer Börsenbetreiber Six.

Anhörung im Senat

In Washington gibt es eine Anhörung vor dem Unterausschuss des Senats zu der geplanten Fusion. Die Senatoren haben Sorgen, dass die Wall Street an Gewicht und an Arbeitsplätzen verlieren könnte. Lawrence Leibowitz von der NYSE erklärt ihnen, dass das Gegenteil der Fall sein werde. Einen Abbau von Arbeitsplätzen gebe es eher im Ausland. Und im übrigen müsse man sich der Entwicklung stellen. Käme es nicht zu der Fusion, dann würde die Wall Street auf Dauer zu einem “charmanten Anachronismus” werden, sprich bedeutungslos, weil die Entwicklung um die Wall Street herum verlaufen werde.

Was das heißt, wird in der Telefonkonferenz zwischen den Mitgliedern des Aufsichtsrates der Deutschen Börse deutlich. Die nämlich arbeitet mit dem Betreiber der Schweizer Börse, Six, im Bereich der Derivate in einem Joint Venture zusammen. Frankfurt ist seit langem daran interessiert, dieses Joint Venture ganz zu übernehmen, was nun endlich gelungen ist, weil Six am Derivatehandel nicht mehr interessiert ist. Der Derivatehandel aber spielt eine wichtige Rolle in den Fusionsverhandlungen mit New York. Frabkfurt soll zukünftig nämlich mehr in diesem Bereich areiten, während der reine Aktienhandel über die Wall Street abgewickelt werden soll, heißen bisher bekannt gewordene, aber nicht bestätigte Pläne. Die Übernahme der 50 Prozent an der Derivate-Börse Eurex steigert daher die Bedeutung Frankfurts in der Fusion. Sie ist jetzt schon eine wichtige Konzernsparte mit einem Anteil von 45 Prozent.

Finanzdatenagentur

Verhandlungen laufen mit Six auch über zwei andere Bereiche, die gemeinsam mit den Schweizern betrieben werden. Es handelt sich dabei um die Finanzdatenagentur Stoxx, die im neuen Konzern zur Nummer eins unter den Finanzdatenagenturen ausgebaut werden soll und um das Joint Venture Scoach, dass die Nummer eins in Europa bei den strukturierten Produkten ist. An eine Übernahme der Schweizer Börse denke Frankfurt aber nicht, heißt es in der Schweizer Handelszeitung. Die hatte der heutige Frankfurter Börsenchef Reto Francioni als Chef des Verwaltungsrates der Schweizer Börse im Jahre 2004 noch abgewehrt. Der Schweizer weiß, wie empfindlich seine Landsleute auf ihre Nachbarn reagieren.

Hinter der Kulisse hat Frankfurt auch längst andere Modelle entwickelt. Die Kooperation der Börsen Wien und Dublin läuft mit Frankfurter Software. Beide Börsen gelten nach außen als eigenständig. Dieses Modell wäre mit der Schweiz eines Tages vorstellbar.

Clearstream betroffen

Die Fusion der NYSE Euronext und der Frankfurter Börse würde daher einen Börsenkonzern unter holländischem Dach schaffen, der die Börsen Wall Street, mit Chicago und San Francisco, den Terminmarkt in London, die Börsen in Amsterdam, in Brüssel, in Lissabon, in Paris, den Derivatemarkt in Frankfurt umfasst und über die Software in andere Börsen wie Wien und Dublin hineinspielt. In Luxemburg wäre von dieser Fusion die internationale Clearing-Plattform Clearstream betroffen. Für die Luxemburger Börse stellt sich damit ein Problem. Wie wird sie sich zukünftig positionieren? Als Aktienbörse ist sie bedeutungslos. Aber als Börse, an der Anleihen notiert werden, hat sie ihren weltweiten Ruf. Mit der bisherigen Schaukelpolitik, sich nirgendwo anzuschließen und dennoch überall mitspielen zu wollen, kommt Luxemburg in der Zukunft wohl nicht weiter.

Die Entscheidungen über die Fusion fallen im Monat Juli. Die Börsen rechnen nicht damit, dass es große Auflagen geben wird. Allerdings wird man in Luxemburg wohl ein Auge auf das Schicksal von Clearstream haben müssen.

Während in Zürich, in Frankfurt und in Washington Strategie gespielt wird, brandet auf dem Parkett in New York bei der NYSE Beifall auf. Die Schlussglocke wird vom Vorstandsvorsitzenden der panamesischen Fluggesellschaft Copa geläutet. Die nämlich ist am Pfingstmontag genau fünf Jahre an der NYSE Euronext gelistet.