Die Drogenzuflucht

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(dpa)

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In einem Jahr wird in Esch die zweite "Fixerstuff" des Landes ihre Türen öffnen. Das langwierige Projekt kommt zu einem Zeitpunkt, an dem der Süden von Luxemburg mit einer blühenden Drogenszene zu kämpfen hat.

Mit jedem Schritt jammert das alte Treppenhaus. Im ersten Stock hängt ein Bild von Maria an der gelben, bröckelnden Mauer. Mit wohlwollendem Blick schaut sie von ihrem Blumenbeet auf die zahlreichen Besucher hinunter, die an ihr vorbeigehen. Über ihr hängt ein kleiner Stern. Daneben eine abgewetzte Schnur. Es sind die letzten Gegenstände, die im alten Haus in der rue de Luxembourg in Esch an den Vorbesitzer erinnern. Einen neuen wird es nicht mehr geben. In voraussichtlich einem Jahr wird sich hier ein Drogenkonsumraum befinden, im Volksmund auch „Fixerstuff“ genannt.

Im Garten hinter dem Haus tummeln sich die Gäste für den ersten Spatenstich und schlürfen aus Sektgläsern. Sie stehen genau da, wo sich in einem Jahr ein Container mit dem Konsumraum befinden wird. Im Haus selbst werden die Drogensüchtigen sich erholen, mit den Helfern reden und ihre Spritzen tauschen können. Das Prinzip ist einfach: Wer keine Spritze mitnimmt, bekommt auch nur eine zum Konsumieren. Wer 30 abgibt, dem werden auch 30 neue mitgegeben. Damit soll verhindert werden, dass die Spritzen in den Parks, den Straßen oder sogar auf den Spielplätzen rumliegen.

Unter den Gästen im Garten ist ein eher unscheinbarer Mann mit Sakko und Brille: Alain Origer. Er ist der nationale Drogenbeauftragte Luxemburgs. Er versucht, einen Überblick über die Menschen zu bewahren, die nicht gesehen werden wollen und über einen Markt, der jenseits der Kontenbücher Gewinne abwirft. Dabei ist genau dieser Überblick für die Betroffenen überlebenswichtig. „Die Zahl der Drogentote sinkt und steigt mit der Marktentwicklung“, erklärt er. Ein Überblick nützt allerdings nichts, wenn kein Zugang zu den Betroffenen gefunden wird.

Hier kommt der Konsumraum ins Spiel. Es wird, neben der bereits bestehenden Einrichtung in Bonneweg, der einzige Ort im Land sein, in dem Drogen und ihr Konsum legal sind. Dabei soll die Einrichtung auf keinen Fall nur ein gesetzloser Raum für Junkies werden. Mit der „Fixerstuff“ können Leben gerettet werden.

Das hat Bonneweg bereits bewiesen: 2.000 Überdosen wurden hier bisher gezählt und keine einzige endete tödlich. Dafür sorgt eine medizinische Mannschaft vor Ort, die sofort eingreifen kann. Auf lange Sicht ist das Ziel der „Fixerstuff“ viel ambitionierter: Den Leuten soll geholfen werden, auszusteigen. In einem Jahr auch in Esch. Und wenn man Alain Origer zuhört, wird einem klar, dass das bitter nötig wird: „Ein Drittel aller uns bekannten Konsumenten sind aus dem Süden.“

Entwurmungsmittel im Kokain

Die gleiche Beobachtung macht Martina Kap. Die Psychologin arbeitet seit 13 Jahren Tag für Tag mit Drogensüchtigen. „Wir wissen von unseren Klienten, dass Esch ein härteres Pflaster geworden ist“, erklärt sie. Vorher habe sich die Szene vor allem auf Luxemburg-Stadt konzentriert. Doch Esch und die umliegenden Gemeinden ziehen nach. Die Banden seien nun präsent und das Angebot werde größer.

In einem Jahr wird sie die Aufsicht über die neue „Fixerstuff“ in der route de Luxembourg übernehmen. Die Betroffenen in Luxemburg-Stadt seien meistens Obdachlose. In Esch, wo Kap in der bereits bestehenden Drogenhilfe in der rue Saint-Vincent mitarbeitet, wird sie es ihrer Erfahrung nach auch viel mit Menschen zu tun haben, die ein Dach über dem Kopf und sogar teilweise eine normale Arbeit haben.

Dabei ist es nicht mehr das Heroin, das die größten Probleme macht. „Der Konsum von Kokain ist massiv gestiegen“, so Kap seufzend. Selbst eingefleischte Heroinkonsumenten würden wegen der Erhältlichkeit und der sinkenden Preise auf Koks umsteigen. Die Droge sei für die Helfer problematisch, weil die Betroffenen in ihrem Rausch kaum ansprechbar seien. Auch sei das Kokain mittlerweile mit allem Möglichen gestreckt. Der Anteil des reinen Kokains in der Droge betrage weit unter zehn Prozent. Der Rest sei Entwurmungsmittel, Paracetamol „und noch andere synthetische Wirkstoffe“.

Eine Konsumentengruppe, die Kap weniger oft zu Gesicht bekommt, sind die Wochenendkokser. Laut ihr gibt es sie aber durchaus. „Sie koksen das ganze Wochenende über und stehen montags wieder auf der Matte“, so die Psychologin. Das gehe aber auf lange Sicht nicht gut. „Irgendwann können sie dann am Montag nicht mehr aufstehen.“ Die Psychologin verweist darauf, dass das Gleiche auch für exzessiven Alkoholkonsum gelte.

Die Maria auf dem Bild in der route de Luxembourg wird diesen Menschen wohl kaum helfen können. Sehr konkrete Menschen wie Martina Kap dagegen schon. Möglicherweise werden sie es sogar schaffen, dass statt der 5 im jährlichen Bericht der Drogentoten mit der neuen „Fixerstuff“ eine 0 stehen wird.