Der Riss durch den Kontinent

Der Riss durch den Kontinent
(Michel Euler)

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Nach neun Stunden sind in der Nacht auf Sonntag die Verhandlungen der Euro-Finanzminister ohne Ergebnis um Mitternacht vertagt worden. Ein tiefer Riss geht durch die Eurozone.

Griechenland hat fertig gebracht, was in der Eurozone bisher nicht denkbar schien. Es gibt einen tiefen Riss zwischen den Ländern der Eurozone. Dabei geben nicht Sachfragen den Ausschlag. In die Eurozone hat sich eine Vertrauenskrise eingeschlichen. Ein wesentlicher Teil der Euro-Staaten will Griechenland nicht mehr glauben, dass die Regierung es ernst meine mit den Versprechungen, die schriftlich auf dem Tisch liegen. Dabei spielen die Summen, die kolportiert werden, keine Rolle, genannt werden 25 Milliarden, 53 Milliarden sogar 75 Milliarden Euro, die von den Eurozonen-Staaten aufgebracht werden sollen.

Der Riss, der durch die Staaten der gemeinsamen Währung geht, betrifft dabei gerade auch die beiden europäischen Matadoren Frankreich und Deutschland. Hinter Frankreich haben sich Staaten wie Italien, Spanien, Portugal oder auch Irland und – wie zu hören war – auch Luxemburg versammelt. Frankreich tritt dabei gleich mit drei Matadoren auf: Finanzminister Michel Sapin, EU Kommissar Pierre Moscovici und die Generaldirektorin des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde. Alle drei sind oder waren Wirtschafts- und Finanzminister Frankreichs. Hinter Deutschland stehen Staaten wie die baltischen oder zentraleuropäischen, wie Slowenien und die Slowakei und auch Finnland. Die Euro-Runde musste dabei eine neue Erfahrung machen. Härtester Widersacher der Griechenland-Freunde waren die Finnen. Den Verhandlungsführern soll aus Helsinki der Wunsch aus dem Parlament mit auf den Weg gegeben worden sein, so zu verhandeln, dass Griechenland zumindest zeitweise aus dem Euro ausscheidet.

Unterschiedliche Ziele

Die Verhandlungsprobleme ergeben sich aus unterschiedlichen Zielsetzungen. Der Internationale Währungsfonds (IWF) hatte in einer Studie noch vor dem griechischen Referendum festgestellt, dass Griechenland nie in der Lage sein würde, seine Schulden zurückzuzahlen. IWF Chefin Christine Lagarde verlangt daher einen Schuldenschnitt. Deutschland lehnt das rigoros ab. Schuldenschnitte seien in den Verträgen zu den europäischen Rettungsmechanismen nicht vorgesehen. Hier wird es zu einer Auseinandersetzung am Sonntag zwischen der deutschen Kanzlerin und der IWF Chefin kommen.

Aus deutscher Sicht bedeuten Schuldenschnitte eine Ansteckungsgefahr. Schließlich sind da noch Portugal und Spanien oder Irland oder zukünftige Fälle. Anders auch als 2012 würden Schuldenschnitte nicht mehr die Privatwirtschaft mit Banken und Versicherungen betreffen, sondern die nationalen Haushalte.

Griechenland-Lobbyist

Frankreich hat sich spät in die Griechenland-Diskussion eingeschaltet, aber dafür sehr intensiv. Staatspräsident Hollande äußerte sich auf einer Dienstreise in Afrika zu Griechenland, Ministerpräsident Manuel Valls gab eine Regierungserklärung ab, Wirtschaftsminister Emmanuel Macron setzte sich für den Verbleib Griechenlands in der Eurozone ein. Ende vergangener Woche sagte Staatspräsident Hollande kurzfristig eine Reise nach Avignon ab. Am konsequentesten arbeitete Finanzminister Michel Sapin. Der zeigte sich als Griechenland-Lobbyist in den Sitzungen der Eurozone, wünschte noch vor dem Referendum, dass griechische Vorschläge Absatz für Absatz diskutiert würden. Die Vorschläge aus Athen nach dem Referendum, die seit Donnerstag vergangener Woche auf dem Tisch liegen, wurden umgehend von Frankreich als gut und verhandlungsfähig bezeichnet. Eine Position, die auch von Euro-Kommissar Moscovici vertreten wurde.

Frankreich sei das Land des „Trait d´union“ (Bindestrich oder auch Bindeglied), wurde Sapin nicht müde, sich als Vermittler darzustellen. Damit hat er allerdings ein Problem. Von Mitte September an wird Frankreich – französischen Pressemeldungen zufolge – seine 5,2 Millionen Beamten nur noch über Kredite bezahlen können. Die Gallier gelten heimlich als der nächste kranke Mann in Europa. „Das Wachstum fehlt, die Einnahmen fehlen, die Ausgaben steigen schneller und übersteigen die Einnahmen“, kritisiert der Rechnungshof in seinem jüngsten Gutachten. Die 2,085 Billionen Euro Schulden stellen 97,5 Prozent der wirtschaftlichen Leistung des Landes dar. Frankreich lebt seit den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts über seine Verhältnisse. Die selbstlose Arbeit an der Zusammenfügung der unterschiedlichen Positionen wird Frankreich daher nicht so ganz abgenommen.

Zerrüttetes Verhältnis

Ein ganz anderes Problem hat Deutschland. Die konservative Finanzpolitik des Finanzministers Blücher in den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts ist erst durch den heutigen Finanzminister Wolfgang Schäuble wieder zu Ehren gekommen. Der gilt in Europa aber als ungeliebter Zuchtmeister. Die Zeit hat sich gewandelt. In der Phase der tiefen Zinsen gelten Schulden als verkraftbar. Ausgaben, vor allem staatliche – per Schulden finanzierte Programme – sind wieder im Kommen. Das Verhältnis zwischen Deutschland und Griechenland gilt überdies als zerrüttet.

Diese Philosophie gilt allerdings bei Staaten wie den Niederlanden, Lettland, Estland und etwa die Slowakei oder Finnland nicht. Diese Staaten verweisen auf ihre strikte Haushaltsdisziplin, vor allem aber darauf, dass sie durch die Krise nach 2008 hindurch gekommen seien, ohne von Europa finanzielle Hilfen erhalten zu haben. Weitere finanzielle Hilfen werden von ihnen auch deswegen abgelehnt, weil der Lebensstandard in ihren Ländern überwiegend niedriger ist als der in Griechenland. Der Vorwurf lautet, dass Griechenland sich mit ihren Unterstützungsgeldern einen hohen Lebensstandard erkauft.

Keine Kredite mehr

Aus diesen unterschiedlichen Positionen entstand am Samstag im Rat der Finanzminister eine „tiefe Diskussion“ über das Vertrauen, das man sich gegenseitig, aber vor allem Griechenland entgegen bringen dürfe. Aus Deutschland gab es ein Papier, in dem ein zeitweiliger Ausschluss Griechenlands aus dem Euro vorgeschlagen wurde. Es soll offiziell keine Rolle gespielt haben. Finnland verlangte, dass Griechenland aus der Eurozone ausscheiden solle. Die zentraleuropäischen Staaten sollen sich strikt gegen neue Kredite ausgesprochen haben. Deutschland verlangte, dass das griechische Parlament am Montag bereits einzelne Vorschläge der Regierung in Gesetze gießen solle, damit man Vertrauen in die auf den Tisch liegenden Vorschläge haben könne. Und wann immer irgendjemand einen Schuldenschnitt ansprach, wurde dieses Thema schnell in den Hintergrund geschoben.

Der neue griechische Finanzminister Euklid Tsakalotos kommt dabei in der Runde der Finanzminister deutlich besser an als sein Vorgänger, heißt es. Allerdings hatte auch er den seltsamen Zickzack-Kurs der griechischen Regierung in den vergangen fünf Monaten mitbestimmt. Er galt im Hintergrund als er Ideengeber. Jetzt saß er eher verloren am Tisch, während sich die Finanzminister der anderen Staaten im Stehen oder im Gehen gegenseitig zu überzeugen versuchten. Zumal sich die Verwaltung einen peinlichen Fehler erlaubt hatte. Sie hatte in der Sitzordnung noch den früheren Finanzminister Varoufakis aufgeführt und erst im letzten Augenblick per Hand seinen Namen eingefügt.

Die Diskussionen dauerten neun Stunden. Sie drehten sich am Ende im Kreis. Um Mitternacht wurden sie unterbrochen. Am Sonntag um 11 Uhr sollen sie fortgeführt werden. Das soll ein neuer Tag der Entscheidung werden, denn dann tagen auch die Regierungschefs und wollen versuchen, eine neue Politik für Griechenland zu finden. Vemutlich werden sich dann erneut zwei Philosophien in Europa gegenüber stehen. Die eine, die Politik auf der Ebene von Verträgen und Vereinbarungen macht und die andere, die Verträge und Vereinbarungen gemäß der Politik dehnt und interpretiert. Griechenland führt Europa den fundamentalen Riss vor Augen, der den Kontinent trennt.

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