Eine Person, vielleicht die wichtigste, fehlt im berühmten Bild aus dem Situation Room des Weissen Hauses, als Präsident Obama und sein Sicherheitskabinett die Kommandoaktion gegen Osama Bin Laden verfolgten. Ein langjähriger CIA-Analyst war im Raum anwesend, wurde aber aus guten Gründen nicht abgelichtet: Er ist der Jäger, der den meistgesuchten Terroristen der Welt aufgespürt hat. Während fast zehn Jahren war das sein Job.
Bin Ladens Angehörige sollen in Pakistan bleiben
Ehefrauen und Kinder des getöteten Osama bin Laden sollen Pakistan nach dem Willen einer Untersuchungskommission vorerst nicht verlassen. Die Kommission forderte die Regierung am Dienstagabend auf, eine Ausreise zu verhindern.
Seit dem US-Kommandoeinsatz in der pakistanischen Stadt Abbottabad am 2. Mai werden in Pakistan drei Ehefrauen bin Ladens und mehrere Kinder festgehalten. Die Untersuchungskommission soll herausfinden, wie bin Laden sich so lange in Abbottabad verstecken konnten. Auch der Kommandoeinsatz und seine genauen Umstände sollen geklärt werden. Die Mitglieder, deren Namen nicht veröffentlicht werden, trafen sich am Dienstagabend zum ersten Mal und sicherten eine eingehende und unabhängige Untersuchung zu.
Dieser Analyst war der erste, der Obama im vergangenen Sommer schriftlich mitteilte, dass die CIA über eine verlässliche Spur zu Bin Laden verfügte. Er und sein Team hatten akribisch alle Hinweise gesammelt, die schließlich zu jenem befestigten Anwesen in Abbottabad, Pakistan, führten. Er selbst darf keine Interviews geben, doch ehemalige und aktuelle Mitarbeiter der CIA gaben der Nachrichtenagentur AP Auskunft über den stillen Helden. Bedingung war, weder seinen Namen noch biografische Details zu nennen, um ihn vor Vergeltungsaktionen der Al Kaida zu schützen. Soviel sei gesagt: Sein zweiter Vorname ist John.
Beförderung ausgeschlagen
John stieß wie viele seiner Generation nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 zur CIA. Früh zeichnete er sich durch seine Fähigkeit aus, vermeintlich unwichtige Details zu einem stimmigen Gesamtbild zusammenzufügen. Dieses analytische Vermögen prädestinierte ihn für die Terroristenjagd. Zwischen 2003 und 2005 war er maßgeblich an einigen der spektakulärsten Fahndungserfolge der CIA beteiligt, darunter Chalid Scheich Mohammed, der Chefplaner von 9/11.
Der Hauptpreis blieb natürlich der Überterrorist Osama Bin Laden. Nachdem dieser 2001 aus den Bergen von Tora Bora entkommen war und vermutlich im Grenzgebiet zu Pakistan Zuflucht gefunden hatte, starte die CIA 2006 die Operation Cannonball. Ziel war, in der Region Stützpunkte zu errichten und Bin Laden zu finden. Trotz unbegrenzter Ressourcen scheiterte der Plan.
Inzwischen hatte die CIA ihren dritten Direktor seit 2001. John hatte mehr Sitzfleisch bewiesen als viele seiner Vorgesetzten, die sich pensionieren liessen oder in andere Jobs gewechselt hatten – die CIA schätzt es nicht, wenn Angestellte zu lange in derselben Position arbeiten. Sie stumpfen ab und verpassen entscheidende Details. John hingegen zeigte über die Jahre eine konstante Lesitung. Die CIA bot ihm eine Beförderung und eine neue Herausforderung an, doch er wollte an Bin Laden dranbleiben.
„Schlinge zieht sich zusammen“
Wieder und wieder betrachtete er all die Informationen über den Terroristen. Wie lebte er, als er sich im Sudan versteckt hielt? Mit wem umgab er sich, als er in Kandahar, Afghanistan, lebte? Wie könnte sein Versteck heute aussehen? Die CIA besaß eine Liste mit möglichen Hinweisen. „Arbeitet einfach diese Liste Punkt für Punkt ab“, sagte John zu seinem Team. „Irgendwo da draussen ist er und wir werden ihn finden.“
2007 entschied eine von Johns Mitarbeiterinnen, ihre Aufmerksamkeit auf einen gewissen Abu Ahmed al-Kuwaiti zu konzentrieren. Er galt als Kurier für ranghohe Al-Kaida-Mitglieder und könnte daher zu Bin Laden führen, dachte sie. Es dauerte drei Jahre, bis der Militärnachrichtendienst NSA ein Telefongespräch al-Kuwaitis abfing. Besagte Analystin verfasste ein Memo an John mit dem Titel „Schlinge um Bin Ladens Kurier zieht sich zusammen“.
Sie und ihre Kollegen glaubten, al-Kuwaiti halte sich in einem Vorort von Islamabad auf. Das Memo wurde während dessen Beschattung ständig mit den neuesten Erkenntnissen aufdatiert – zunächst sehr zurückhaltend, um nicht falsche Hoffnungen zu wecken. Doch John war sich bewusst, dass die Jagd nach al-Kuwaiti faktisch die Jagd nach Bin Laden war.
Zuversicht gegen Misstrauen
Im September 2010 war das Memo fertig. John, inzwischen Chef der Abteilung Pakistan-Afghanistan, verschickte es an die entsprechenden Entscheidungsträger. Der Titel des Memos lautete inzwischen „Anatomie einer Spur“. Die CIA hatte al-Kuwaiti bis zu einem Anwesen in Abbottabad verfolgt. Wenn Bin Laden sich tatsächlich dort – in unmittelbarer Nähe einer pakistanischen Militärakademie – aufhielt, würde das viele bisherige Annahmen über sein Versteck relativieren.
CIA-Direktor Panetta besprach das Memo mit Präsident Obama. In den folgenden Monaten versuchte der Geheimdienst, mit pakistanischen Agenten und Satelliten herauszufinden, wer in jenem Anwesen wohnte – ohne Erfolg. Im Februar 2011 rapportierte John seinen Vorgesetzten, dass die Informationslage sich vermutlich nicht weiter verbessern werde.
In die Luft gesprengt
Trotzdem sei dies die beste Chance seit langem, Bin Laden zu finden, sagte er. Sie werde allerdings nicht ewig währen. Er selbst zeigte sich zu 80 Prozent sicher, dass Bin Laden dort war. Andere waren misstrauischer: Sie hatten vor zwei Jahren miterlebt, wie ein mutmaßlicher Bin-Laden-Kurier sich in Afghanistan selbst in die Luft sprengte und sieben CIA-Agenten mit in den Tod riss. Allen, auch John, war klar, dass ein erneutes Scheitern schwerwiegende Konsequenzen haben würde.
Der Rest ist Geschichte und wurde zur Genüge erzählt. Zwei Tage nach der Tötung Bin Ladens begleitete John den CIA-Direktor, als er die Geheimdienstkommission des Senats über die Aktion informierte. John sprach über die Operation „Neptuns Speer“ und die zugrundeliegenden Informationen, die er und sein Team über Jahre ausgewertet hatten. Wie er den Auftrag beschrieb, der zu seinem Arbeitsinhalt geworden war, versagten dem sonst ruhigen und gefassten Analyst die Worte.
De Maart

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